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# taz.de -- Debatte Neue Familienformen: Jenseits der „Ehe für alle“
> Immer mehr Menschen übernehmen Verantwortung füreinander. Das rechtlich
> abzusichern, ist eine politische Herausforderung.
Bild: Kinder werden nicht mehr nur von biologischen Eltern versorgt
Familie ist da, wo geheiratet wird, und heiraten, das können Mann und Frau.
Diese Gleichungen galten über sehr lange Zeit, bestimmten den Alltag – und
werden nun allmählich infrage gestellt.
Das Referendum in Irland und die Entscheidung des Supreme Court in den USA
haben die Diskussion über die „Ehe für alle“ befeuert. Es ist beschämend
und ärgerlich, dass weltweit ein Land nach dem anderen Homosexuellen den
Schritt vor den Traualtar ermöglicht, sich Kanzlerin Merkel aber „nicht
verbiegen will“ und die „Ehe für alle“ weiterhin ablehnt. Dabei machen
Umfragen klar: Eine breite Mehrheit der Deutschen ist gegen die
Diskriminierung von Homosexuellen. Die „Ehe für alle“ wird kommen. Es ist
nur eine Frage der Zeit.
Dies wäre ein hart errungener und wichtiger Sieg für die
Gleichberechtigung, zur Überwindung der Diskriminierung Homosexueller und
das endgültige Aufbrechen der Gleichung „Heirat ist zwischen Mann und
Frau“.
Bleibt der erste Teil der Gleichung: Familie ist da, wo geheiratet wird. Im
„echten Leben“ ist dies längst aufgebrochen. Rechtlich ist das
Ehegattensplitting aber noch Bestandteil der alten Gleichung, auch wenn bei
Sorgerecht und Unterhalt der Trauschein immer weniger Unterschied macht.
Wer heute eine Familie gründet, stellt sich nicht automatisch die Frage
nach der Ehe. Sehr wohl aber nach gegenseitiger Absicherung und
Verantwortung füreinander.
## Keine Absicherung sozialer Eltern-Kind-Beziehungen
In einer Gesellschaft, die bunter und auch älter wird, muss es nun darum
gehen, tatsächlich gelebte Verantwortungsübernahme auch unabhängig von der
Ehe anzuerkennen und abzusichern. Dies gilt insbesondere, wenn es um Kinder
geht. Ein Drittel von ihnen wächst in nichtehelichen Lebensgemeinschaften
auf, bei Eltern, die nicht miteinander verheiratet sind oder in
Einelternfamilien.
Die Anzahl der Patchwork-Familien steigt, und immer mehr Kinder werden in
Regenbogenfamilien groß. In einer wachsenden Zahl von Familien sind Mama
und Papa nicht Elternteile im biologischen oder gesetzlichen Sinne. Viele
Kinder entwickeln enge Beziehungen zu Menschen, die für sie elterliche
Verantwortung übernehmen. Dies können insbesondere neue Partner*innen der
Eltern nach einer Trennung, einem Todesfall oder bei Alleinerziehenden
sein.
Manche Familien sind schon vor der Geburt eines Kindes darauf angelegt,
dass mehr als zwei Eltern Verantwortung für das Kind übernehmen wollen. Das
Recht in Deutschland kennt eine Absicherung sozialer
Eltern-Kind-Beziehungen kaum. Die sozialen Eltern sind praktisch
Außenstehende. Für Eltern und Kinder ergeben sich damit im Alltag, in der
gesamten Lebensgestaltung große Herausforderungen. So dürfen soziale Eltern
zum Beispiel das Kind aus Krankheitsgründen nicht von der Schule abmelden.
Das sollte sich ändern.
## Die Bandbreite der Arrangements
Mobilität und demografischer Wandel führen dazu, dass immer mehr Menschen
weit entfernt von ihren Angehörigen leben oder auch gar keine haben. Rasant
entwickeln sich neue Wohnformen, vor allem auch im Alter – Alten-WGs, aber
auch Mehrgenerationenhäuser, die auf sozialen, nicht auf
verwandtschaftlichen Beziehungen der Bewohner*innen beruhen – und neue
Pflegearrangements.
Es entstehen neue Verantwortungsgemeinschaften, die auch für unsere
Gesellschaft große Bedeutung haben. Aber auch für sie gibt es keine einfach
zugängliche rechtliche Absicherung – insbesondere keine, die die Bandbreite
der Arrangements aufgreift.
Natürlich kann jeder und jede heute, wie und mit wem auch immer liiert,
einen notariellen Vertrag schließen, in dem sich beide verpflichten, etwa
Unterhalt zu zahlen oder auch Vermögen zu teilen. Häufig fehlen darüber
jedoch Informationen, und die Wege sind kompliziert und in Steuerfragen,
beim Erben, sind den Verträgen Grenzen gesetzt. Deswegen braucht es
vereinfachte Verfahren.
Deutschland steht mit den beschriebenen Entwicklungen nicht allein da.
Deshalb lohnt es sich, über den Tellerrand zu schauen. So hat Frankreich
mit dem 1999 geschaffenen Pacte civil de solidarité (Pacs) eine –
eigentlich für Homosexuelle gedachte – Alternative zur Ehe eingeführt, die
auch für heterosexuelle Verbindungen offensichtlich höchst attraktiv ist.
Er ermöglicht Vergünstigungen bei Steuern, im Renten- und Erbrecht,
beinhaltet aber beispielsweise auch das Recht auf Auskunft und
Mitbestimmung im Krankheitsfall.
Eine Vielzahl von Französ*innen setzen auf den Pacs, auch wenn sie keine
romantische Liebe füreinander empfinden, sehr wohl aber Fürsorge
füreinander leben. Auch in der Schweiz wird seit einiger Zeit über eine
Alternative zur Ehe nachgedacht. Warum soll eine rechtliche Absicherung
zweier Freundinnen, die im Alter zusammenleben und füreinander sorgen, in
Deutschland nicht sinnvoll sein?
## Und die Kinder?
Für das Zusammenleben mit Kindern brauchen wir neue Wege. Kinder, die in
eine lesbische Beziehung hineingeboren werden, sollten von Geburt an zwei
rechtlich gleichberechtigte Mütter haben.
Für Ehepaare gilt die „gesetzliche Fiktion“, dass der mit der Mutter
verheiratete Mann auch der Vater ist – eine Regelung zum Wohle des Kindes,
das auf diesem Weg automatisch zwei sorgende (und unterhaltspflichtige)
Erwachsene an seine Seite bekommt. Eine gleiche Fiktion für lesbische
Partnerschaften ist überfällig, der Weg über die Stiefkindadoption unnötig
und langwierig. Familien, in denen mehr als zwei Eltern faktisch
Verantwortung für Kinder übernehmen, sollten die Möglichkeit haben, im
gegenseitigen Einvernehmen rechtlich verbindliche Vereinbarungen
einzugehen, eine Art „Familienvertrag“ abzuschließen.
Die gelebte Übernahme von Verantwortung und Fürsorge füreinander ist heute
bunt und vielfältig. Sie ist für unsere Gesellschaft überlebenswichtig. Sie
anzuerkennen und rechtlich abzusichern, Pflichten und Rechte in Balance zu
bringen – hier liegen die politischen Herausforderungen der Zukunft.
1 Sep 2015
## AUTOREN
Katja Dörner
Franziska Brantner
Franziska Brantner, Katja Dörner
## TAGS
Patchwork
Familie
Homosexualität
Ehe für alle
Familienpolitik
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Ehegattensplitting
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Katholische Kirche
Adoptionsrecht
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