| # taz.de -- Debatte Frauen und neues Unterhaltsrecht: Und nach der Versorger-Eh… | |
| > Das neue Unterhaltsrecht verlangt, dass Frauen selbstständiger werden. | |
| > Aber dafür fehlen wichtige Voraussetzungen. Gesucht: eine neue Formel für | |
| > Selbstverantwortung. | |
| Bild: Kinder werden nicht mehr nur von biologischen Eltern versorgt | |
| Vor einem Jahr wurde einem bis dahin breit abgesicherten Lebensmodell die | |
| finanzielle Basis entzogen: der Versorger-Ehe. So trat Anfang Januar 2008 | |
| das neue Unterhaltsgesetz in Kraft. Wer ein wenig Pathos nicht abgeneigt | |
| ist, kann hier getrost von einer Revolution sprechen. Die Botschaft dieses | |
| Gesetzes an die Frauen lautet: "Bleib unabhängig, du bist selbst für dich | |
| verantwortlich." Die Konsequenz ist: Ehefrauen werden nun nach einer | |
| Scheidung finanziell schlechter abgesichert. | |
| So richtig die Botschaft ist, das neue Gesetz birgt enorme Nachteile - vor | |
| allem für Frauen. Denn die geforderte Unabhängigkeit kann in Deutschland | |
| nicht ohne weiteres gelebt werden. Um dieses prinzipiell richtige Modell | |
| lebbar zu machen, brauchen wir daher nichts weniger als eine | |
| Neuformulierung von Eigenständigkeit und gesellschaftlicher Solidarität. | |
| In der "klassischen" Ehe war der Mann berufstätig, die Frau betreute die | |
| Kinder und gab ihre eigene berufliche Karriere auf. Dafür erhielt die Frau | |
| die gesetzliche Garantie, auch nach einer Scheidung den in der Ehe | |
| erwirtschafteten Lebensstandard unbefristet von ihrem Mann gesichert zu | |
| bekommen. Das war oft der Fall, etwa wenn sie mit ihrem neuen Teilzeitjob | |
| den alten Standard nicht erreichte. | |
| Seit Januar 2008 ist das anders. Lässt sich eine Frau heute scheiden, soll | |
| sie für sich selbst sorgen, sobald die Kinder drei Jahre alt sind - auch | |
| wenn sie ihren Lebensstil einschränken muss. Frauen müssten also bereits in | |
| der Ehe darauf achten, in einem qualifizierten Beruf am Ball zu bleiben. | |
| Aber dieses Modell wird in der deutschen Lebensrealität im Moment zumindest | |
| stark behindert, wenn nicht unmöglich gemacht. Arbeitsbedingungen, | |
| Steueranreize und (Weiter-)Bildungsmöglichkeiten, die eine Unabhängigkeit | |
| überhaupt erst ermöglichen können, gibt es nur wenige. | |
| Hat eine Frau ihrem Ehemann zwanzig Jahre den Rücken freigehalten und die | |
| Kinder großgezogen, während er Karriere machte, dann kann es ihr nach der | |
| Scheidung jetzt gut passieren, dass sie an der Scannerkasse sitzt oder den | |
| Staat um Solidarität bitten muss. Folgende zusätzliche Veränderungen sind | |
| daher unverzichtbar: | |
| Erstens darf der Staat nicht mehr weiter steuerliche Anreize für das alte | |
| Versorgermodell aufrecht erhalten, indem er mit dem Ehegattensplitting | |
| finanziell unterstützend dafür wirkt. Zweitens brauchen wir eine | |
| flächendeckende, gute, kostenlose Fremdbetreuung für Kinder nach der | |
| Stillzeit. Die Frauen (oder die Männer) können im Moment gar nicht auf | |
| gleichem Niveau weiterarbeiten - es sei denn, sie können sich private | |
| Rundumversorgung leisten. Drittens geht das neue Gesetz implizit davon aus, | |
| dass Frauen und Männer gleichviel verdienen. Das ist aber bisher nicht der | |
| Fall: eine deutsche Durchschnittsfrau verdient immer noch 23 Prozent | |
| weniger als der Durchschnittsmann. Gerade typische Frauenberufe im sozialen | |
| Bereich sind besonders schlecht bezahlt. Sie müssen aufgewertet werden. | |
| Viertens reden Politiker jeder Couleur viel vom lebenslangen Lernen, doch | |
| in der Realität findet dieses kaum statt. Der Staat muss sich dafür | |
| einsetzen, dass alle Frauen - jeden Alters - eine reelle Chance auf Bildung | |
| und Weiterbildung bekommen, damit sie die verlangte Unabhängigkeit von | |
| Staat und Mann umsetzen können. | |
| Schließlich brauchen wir fünftens Übergangsregeln für die Frauen, die sich | |
| vor dreißig Jahren für das damalige Mehrheitsmodell entschieden haben, aber | |
| heute nach neuem Recht geschieden werden. Und eine Frau, die heute | |
| heiratet, weiß vielleicht noch nichts von ihrer neuen Situation nach einer | |
| späteren Scheidung. Für sie sollte es spätestens im Standesamt eine | |
| Aufklärung geben. Nur so ist Selbstverantwortung möglich. | |
| Gleichzeitig muss man sich auch fragen: Welche Form von Solidarität wollen | |
| wir in unserer Gesellschaft leben? Sollte unser gesellschaftliches Ziel | |
| nicht sein, dass Menschen füreinander einstehen, Verantwortung übernehmen? | |
| Verantwortung nicht im patriarchalischen, sondern im modernen Sinn: Frauen | |
| gegenüber Frauen. Männer gegenüber Männern. Frauen gegenüber Männern. | |
| Männer gegenüber Frauen. | |
| Deshalb brauchen wir erstens Solidaritätsverträge für nicht Verheiratete | |
| ohne steuerliche Benachteiligung für diese Partnerschaftsformen. Darin kann | |
| dann auch vereinbart werden, wie man nach einer Trennung miteinander umgeht | |
| und vor allem: wie es für den- oder diejenige ausgeht, der oder die die | |
| Kinder betreut. In Frankreich gibt es mit dem pacte civil de solidarité | |
| (PACS) seit 1999 eine gesetzliche Institution, in der sich Menschen egal | |
| welchen Geschlechts zu gegenseitiger Hilfe und Solidarität verpflichten. | |
| Der PACS ermöglicht fernab der Ehe eine Gütergemeinschaft und steuerlich | |
| günstige Erbbestimmungen. Ein ziviler Solidaritätspakt wäre als Ergänzung | |
| zur klassischen Ehe auch für Deutschland sinnvoll. Anders als im PACS, der | |
| eine gemeinsame Steuerveranlagung vorsieht, muss jedoch das feministische | |
| Ziel der Individualbesteuerung in beiden Institutionen umgesetzt werden, in | |
| der Ehe genauso wie im Solidaritätspakt. Es muss eine Balance zwischen den | |
| Nachteilen der absoluten Individualisierung und denen der ungesunden | |
| Abhängigkeit voneinander ermöglicht werden. Unabhängigkeit und Solidarität | |
| sind keine natürlichen Gegensätze, sie können sich gegenseitig ergänzen und | |
| auch in den unterschiedlichen Lebensphasen abwechseln. Einer Phase der | |
| Fürsorge für Kinder oder alte Menschen folgt wieder eine Phase der eigenen | |
| Bildung oder Karriere und umgekehrt. | |
| Zum Zweiten muss die Gesellschaft solidarisch sein mit Menschen, die ihre | |
| Kinder alleine großziehen. Sie tragen im Moment ein enormes Armutsrisiko. | |
| Arbeitswelt und Lebenswelt sind oft gar nicht mehr unter einen Hut zu | |
| bekommen. Einer Frau, die keine Betreuung für ihre Kinder bekommt, kommen | |
| ein eigenes Einkommen, Berufserfahrung und Weiterbildung abhanden. Hartz IV | |
| wird zum einzigen Einkommen für sie und ihre Kinder. Für diese Frauen | |
| müssen schnellstmöglich Auswege gefunden werden. Als Sofortmaßnahme | |
| brauchen wir einen Rechtsanspruch für Alleinerziehende auf Betreuung ihrer | |
| Kinder nach finnischem Vorbild: Kommt eine Kommune diesem Anspruch nicht | |
| institutionell nach, so muss sie die private Fremdbetreuung finanzieren. | |
| Darüber hinaus ist eine Kombilohnregelung für Alleinerziehende notwendig. | |
| Modellprojekte zum Kombilohn zeigen, dass vor allem Frauen Gebrauch davon | |
| machten. Damit würde auch ihnen eine "Work-Life-Balance" ermöglicht. | |
| Die neue Formel für Selbstverantwortung plus Solidarität bedeutet für die | |
| Politik also: flächendeckend kostenfreie Kinderbetreuung, gleicher Lohn für | |
| gleichwertige Arbeit, gerechteren Lohn für soziale Berufe und lebenslange | |
| Weiterbildung. Und dieses alles: für Verheiratete, Nicht-Verheiratete und | |
| gleichgeschlechtliche Paare. | |
| 14 Jan 2009 | |
| ## AUTOREN | |
| F. Brantner | |
| K. Rönicke | |
| ## TAGS | |
| Patchwork | |
| Alleinerziehende | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Debatte Neue Familienformen: Jenseits der „Ehe für alle“ | |
| Immer mehr Menschen übernehmen Verantwortung füreinander. Das rechtlich | |
| abzusichern, ist eine politische Herausforderung. | |
| Koalition hebt Steuerfreibetrag an: Alleinerziehende kriegen mehr Geld | |
| Die Fraktionsspitzen von CDU, CSU und SPD haben sich geeinigt: Der | |
| Steuerfreibetrag für Alleinerziehende wird angehoben. Betroffen sind 20 | |
| Prozent der Haushalte. |