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# taz.de -- Fallende Börsenkurse: Im Abwärtsstrudel
> Weltweit fallen die Börsenkurse. Warum ist das so? Wer profitiert? Droht
> die nächste Weltwirtschaftskrise?
Bild: Schon echt verrückt: Mal geht es an der Börse rauf, mal runter.
Der DAX fällt unter 10.000 Punkte. Verlieren die Spekulanten jetzt ihr
Vermögen?
Die meisten langfristig orientierten Aktienanleger verlieren nichts – weil
sie ihre Papiere schon länger besitzen und auch weiter besitzen wollen. Sie
haben erst Buchgewinne gemacht, und jetzt machen sie Buchverluste. Aber das
ist eher virtuell, diese Anleger kassieren ja weiter ihre Dividenden.
Richtig verloren haben bisher nur die Spekulanten, die seit Januar 2015
eingestiegen sind und seitdem auf steigende Kurse gehofft haben. Jetzt
müssen sie enttäuscht feststellen, dass der DAX nach einem kurzen Höhenflug
wieder dort angekommen ist, wo er im Januar war.
Gibt es auch Gewinner?
Auch bei sinkenden Kursen können einzelne Spekulanten Gewinne machen, indem
sie auf fallende Kurse setzen. Aber das ist immer nur eine kleine
Minderheit.
Noch vor Kurzem war der DAX bei über 12.000 Punkten. Warum war er überhaupt
so stark gestiegen?
Eine wichtige Rolle spielten die niedrigen Zinsen. In den USA, in der
Eurozone und auch in Japan liegen die Leitzinsen bei 0 Prozent. Also haben
viele Spekulanten nach Anlageobjekten gesucht, die mehr Rendite bringen,
und in Aktien investiert, sodass die Börsenkurse stiegen. Da die Dividenden
nicht entsprechend zugelegt haben, ist die Dividendenrendite pro Aktie
gesunken und hat sich den niedrigen Zinsen angenähert. Dies ist übrigens
ganz logisch: Die Finanzmärkte hängen zusammen, sodass die Renditen in
allen Anlageklassen am Ende ähnlich sind. Ein verwandtes Phänomen zeigt
sich bei den Immobilien: Weil die Zinsen so niedrig sind, steigen die
Preise für Wohnungen und Häuser, jedenfalls in den begehrten Lagen in den
Großstädten.
Jetzt ist der DAX wieder dort, wo er im Januar 2015 war. Warum also die
Aufregung? Ist das nicht nur ein normales Auf und Ab der Börsen?
Es ist ein Warnzeichen, dass die Spekulanten nervös werden, obwohl
Deutschland bisher von der Eurokrise profitiert hat und die
wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen hierzulande bestens sind. Die Zinsen
sind niedrig – Firmen und Haushalte könnten also eigentlich Kredite
aufnehmen, um zu investieren und zu konsumieren. Der Ölpreis fällt, was die
Produktionskosten der Firmen senkt. Zudem steigen die Löhne, sodass die
Deutschen eigentlich in Kauflaune sein müssten. Und der Euro ist gegenüber
dem Dollar um 20 Prozent gefallen, so dass die deutschen Produkte auf dem
Weltmarkt billiger werden – was die Exporte ankurbelt. Doch obwohl die
deutsche Wirtschaft derzeit eine Art Sonderkonjunkturprogramm bekommt –
durch niedrige Zinsen, niedrigen Ölpreis, niedrigen Eurokurs und steigende
Löhne – ist sie im zweiten Quartal nur um 0,4 Prozent gewachsen. Kein
Wunder, dass sich die Spekulanten Sorgen machen.
Die Unternehmen im DAX machen gerade so viel Gewinn wie noch nie. Warum
fällt der DAX trotzdem?
Die steigenden Umsätze der DAX-Unternehmen sind zum Teil eine optische
Täuschung. Selbst wenn die Firmen im Währungsausland nur genauso viel
verkaufen wie bisher, scheinen sie mehr abzusetzen – einfach wegen des
fallenden Eurokurses. Denn der bedeutet ja, dass man jetzt mehr Euro
erhält, wenn man ausländische Währungen zurücktauscht. Zudem ist zu
befürchten, dass die Exporte künftig sinken könnten. Denn die Aktienmärkte
brechen weltweit ein – vorneweg in China.
Warum stürzen die Aktienmärkte in China ab?
Weil es zuvor ein fast einjähriges Börsenfieber gab, das die chinesische
Führung gezielt befeuert hatte. Die Finanzmärkte wurden liberalisiert, auch
um die schwächelnde Wirtschaft zu beleben. Chinas Zentralbank öffnete die
Geldschleusen, vergab großzügig Kredite und ermunterte die Bürger in Massen
dazu, Aktiendepots zu eröffnen. Trotz schwächelnder Realwirtschaft wirkte
der Anreiz. Bis Mitte Juni schossen die Kurse um mehr als 150 Prozent in
die Höhe. Doch Anfang Juli wurden der chinesischen Führung die hohen
Kurssprünge doch zu unheimlich. Aus Furcht vor einer zu großen Blase
schränkte sie die Kreditvergabe wieder ein. Prompt kam es zum Knall.
Seitdem geht es an Chinas Börsen zu wie auf einer Achterbahnfahrt.
Was tut die chinesische Regierung, um einen Börsencrash im Land zu
verhindern?
Die chinesische Führung versucht, allzu krasse Aktienabstürze abzubremsen,
indem sie massiv interveniert. So hat sie bereits die Zinsen gesenkt und
nimmt immer wieder Aktien aus dem Handel, wenn die Kursverluste zu groß
werden. Zudem verpflichtet sie staatseigene Unternehmen, Aktien zu
erwerben. Am Wochenende hat sie zudem angekündigt, dass auch der staatliche
Pensionsfond in den heimischen Aktienmarkt investieren soll.
Der IWF findet, man solle die Lage in China nicht überbewerten. Wie geht es
dort weiter?
Chinas Wirtschaft durchläuft schwierige Zeiten. Doppelstellige
Wachstumsraten gehören der Vergangenheit an. Es gibt Überkapazitäten, viele
Fabriken sind nicht ausgelastet, und die Umwelt leidet an dem extrem hohen
Schadstoffausstoß. Nicht zuletzt wegen der hohen Umweltbelastung will China
die Dominanz der verarbeitenden Industrie reduzieren und stattdessen
stärker auf den Dienstleistungssektor setzen. Diese Umstrukturierung
verlangsamt das Wachstum noch mehr. Mit einem Totalabsturz ist aber nicht
zu rechnen. Selbst die größten Pessimisten erwarten noch ein Wachstum von
mehreren Prozent für 2015.
Auch andere Schwellenländer geraten in Bedrängnis. Warum?
Viele Schwellenländer hängen von ihren Rohstoffexporten ab. Sollte sich das
Wachstum in China verlangsamen, fallen auch die Preise für die Rohstoffe.
Spekulanten haben immer Angst, sie könnten die Letzten sein, weil dann die
Verluste am höchsten sind. Also versuchen sie, die Ersten zu sein und
Entwicklungen vorwegzunehmen. Daher ziehen die Spekulanten schon jetzt ihr
Geld aus den Schwellenländern ab – was die Krise in diesen Staaten prompt
verschärft.
Welche Folgen haben die Börsenturbulenzen für die deutsche Realwirtschaft?
An den Börsen werden Erwartungen gehandelt, also Einschätzungen der
Zukunft. Für Deutschland wäre es eine schlechte Nachricht, wenn die
Börsianer recht behalten sollten mit ihrer Sorge, dass die Wirtschaft in
China und den Schwellenländern einbricht. Die deutsche Exportwirtschaft ist
stark gefährdet, wenn das Ausland in Schwierigkeiten gerät. Zumal diese
Turbulenzen nicht nur direkt auf Deutschland zurückwirken, sondern auch
indirekt, indem die anderen Euroländer erschüttert werden. Die Eurokrise
ist nämlich keineswegs vorbei – sie wurde nur verdeckt, weil wenigstens die
Schwellenländer kräftig wuchsen.
Droht eine neue weltweite Wirtschaftskrise?
Das ist unklar. Besonders gefährlich wird ein Aktiencrash, wenn auf Kredit
spekuliert wurde – weil dann diese Darlehen nicht mehr zurückgezahlt werden
können und auch viele Banken in die Pleite rutschen. Die
Wirtschaftsberatungsgesellschaft McKinsey hat kürzlich in einer Studie
vorgerechnet, dass die weltweite Verschuldung seit der letzten Finanzkrise
2008 um 57 Billionen Dollar gestiegen sei. Die Kredite haben also deutlich
stärker zugelegt als die Wirtschaftsleistung. Das ist ein Alarmzeichen.
Sollte ich mein Aktiendepot jetzt möglichst schnell auflösen?
Von Hektik ist immer abzuraten. Wer Aktien hat, sollte sie behalten. Aktien
sind sowieso nur sinnvoll, wenn man das Geld nicht braucht und langfristig
anlegen will. Aber dieser Tipp ist genauso gut oder schlecht wie jeder
andere Tipp.
Wie lange berichtet die ARD noch live von der Börse?
Millionen ZuschauerInnen der ARD fragen sich täglich: Warum schalten die
immer live an die Börse? Egal was dort passiert. Das wäre, wie wenn von
Montag bis Freitag eine Reporterin vor dem Reichstag steht und erzählt, was
da drinnen so los war, auch wenn nur der Sportausschuss zum
Tagesordnungspunkt „Verschiedenes“ tagt. Eine taz-Anfrage über Gerüchte,
die tägliche Börsenberichterstattung werde eingestellt, beantwortete ein
Sprecher schlicht mit: „Da ist nichts dran.“ Sie schalten weiter zu Anja
Kohl nach Frankfurt. Bis ans Ende aller Tage.
24 Aug 2015
## AUTOREN
Ulrike Herrmann
Felix Lee
Ingo Arzt
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