# taz.de -- Debatte Online-Lebensmittelhandel: Konkurrenz auf Rädern | |
> Auf dem Lebensmittelmarkt tobt ein Kampf um die Marktführerschaft im | |
> Online-Segment. Das ist Risiko und Chance zugleich. | |
Bild: Beim Einkauf im Supermarkt kann einem schon mal schwindlig werden – das… | |
Berlin taz | Illegal geklebte Plakate, so weit das Auge reicht. An | |
Laternen, in dicken Schichten auf Stromkästen und an Häuserwänden. „Nur | |
Deppen schleppen“, steht drauf. | |
Wahrscheinlich war es ungewollte Ironie, dass das mit den Plakaten werbende | |
Unternehmen indirekt seine Angestellten als Deppen bezeichnete: Einkäufer | |
für Menschen, die sich den Gang zum Supermarkt sparen wollen. Und ihre | |
Lebensmittel deshalb lieber online bestellen. | |
Genützt hat es dem Start-up aus dem Hause des Risikoinvestors Rocket | |
Internet nichts. Im Juli wurde der Betrieb hierzulande eingestellt, nicht | |
mal ein Jahr nach dem Start. Die Diagnose: In Deutschland sei mit dem | |
Liefern frischer Lebensmittel auf absehbare Zeit kein Geschäft zu machen. | |
Das will etwas heißen. Wenn Rocket Internet, ein Unternehmen, das | |
aggressive Werbekampagnen fährt und ganze Innenstädte plakatiert, das immer | |
wieder mit zweifelhaften Arbeitsbedingungen Schlagzeilen macht, das ein | |
Start-up mit Millionen füttert, solange es nur die Perspektive gibt, dass | |
die Neugründung irgendwann zur Nummer eins auf dem jeweiligen Markt wird, | |
wenn dieser Konzern also die Reißleine zieht – dann muss es wirklich | |
schlecht aussehen. Für das betreffende Geschäftsmodell zumindest. | |
## Kleine Einkäufe | |
Auf den ersten Blick scheint das so zu sein. Der Lebensmitteleinzelhandel | |
in Deutschland ist kein einfaches Pflaster. Aus Händlersicht liegt das vor | |
allem am Einkaufsverhalten der Kunden. Elf Prozent seines Einkommens | |
investiert ein Verbraucher hierzulande in Lebensmittel. In Frankreich sind | |
es knapp 14 Prozent. In Griechenland 17 Prozent. Und der für Deutschland | |
typische Kunde füllt nicht etwa einmal die Woche seinen Einkaufswagen, das | |
würde sich ja noch lohnen für eine Lieferung. Stattdessen kauft er immer | |
ein bisschen. Rund 15 Euro reicht er pro Einkauf über die Kasse. Die paar | |
Sachen liefern, bei den geringen Margen und dem Aufwand, was das | |
Zusammenstellen einer Lieferung, das Verpacken, das Ausliefern alles | |
verursacht? Lohnt nicht. | |
Dennoch tobt ein Konkurrenzkampf um Online-Kunden und -Marktanteile. Und | |
das hat zwei Ursachen: Eine ist die enorme Konzentration im deutschen | |
Lebensmitteleinzelhandel. Vier Unternehmen stellen 85 Prozent des Marktes, | |
beklagte das Bundeskartellamt bereits im vergangenen Jahr. | |
Der Markt ist weitgehend gesättigt, viel neu eröffnen lässt sich da nicht | |
mehr. Übernahmen – wie es derzeit etwa Edeka mit den | |
Kaiser‘s-Tengelmann-Supermärkten versucht, sind wenig vielversprechend: | |
Sowohl das Bundeskartellamt als auch die Monopolkommission haben schon | |
abgewunken. Bleiben zwei Möglichkeiten: Ins Ausland expandieren, sei es mit | |
neuen Filialen oder einer Übernahme. Oder: ins Internet. | |
So prognostiziert etwa die Gesellschaft für Konsumforschung in einer Studie | |
vom Juli vor allem dem Lebensmittel- und Drogeriemarkt in den nächsten | |
Jahren online ein starkes Wachstum – die Marktanteile sollen sich bis 2025 | |
verdoppeln. In einer Umfrage des IT-Branchenverbandes Bitkom erklärten 38 | |
Prozent der Befragten, zwar noch nie Lebensmittel im Netz gekauft zu haben, | |
sich das aber für die Zukunft vorstellen zu können. | |
## Angst vor Amazon | |
Und wie das so ist bei einem neuen Markt: Wer früh startet, hat die meiste | |
Erfahrung, den kennen die Kunden. Das kann sich bezahlt machen. Oder es | |
kann nach hinten losgehen, aber das scheint den Handelskonzernen derzeit | |
egal zu sein, denn es kommt noch Ursache zwei für den Kampf um die | |
Online-Kunden dazu: Die Händler haben Angst. Vor einem großen Konkurrenten. | |
Einem, der sich auskennt mit dem Online-Handel, der in den westlichen | |
Industriestaaten Marktführer ist, unangefochten. Amazon. | |
Dass Amazon in den Lebensmittelmarkt einsteigen will, war lange ein | |
Gerücht, mittlerweile gibt es Amazon Fresh in den USA. In Deutschland | |
bietet der Konzern bereits nichtfrische Lebensmittel an. In der Branche | |
rechnet man fest damit, dass Amazon auch hierzulande in das Geschäft mit | |
frischen Lebensmitteln einsteigen wird, die Frage ist nur, wann. Und | |
welches der beiden Szenarien als erstes eintritt: Die grünen Lieferwagen | |
vom Amazon Fresh kommen auch nach Deutschland. Oder: Amazon eröffnet in den | |
USA einen stationären Supermarkt. Die Lebensmitteleinzelhändler dürfen sich | |
schon mal überlegen, welches Szenario sie mehr fürchten. | |
Auch deshalb versuchen die Handelsketten, sich im Online-Segment breit | |
aufzustellen: Tengelmann hat sich als Kapitalgeber unter anderem bei | |
Shopwings, dem inzwischen in Deutschland eingestellten Einkaufs-Start-up, | |
sowie dem regionalen Lieferdienst Bonativo, ebenfalls aus dem Hause Rocket | |
Internet, beteiligt. | |
## Mächtige Konkurrenz | |
Amazon wäre zwar – was das Potenzial an Marktanteilen angeht – eine echte | |
Konkurrenz für die vier Großen in Deutschland. Zu weniger Marktmacht würde | |
das jedoch letztlich kaum führen. Doch genau das wäre nötig. | |
Denn eine hohe Konzentration, eine große Marktmacht weniger Handelskonzerne | |
ist vor allem für eine Seite schlecht: die Lieferanten und Produzenten. Je | |
größer der Abnehmer, desto einfacher kann er bei Preisverhandlungen Druck | |
ausüben. Und der wird weitergegeben bis zum Ende der Lieferkette, zu | |
Kleinbauern und Plantagenarbeitern in den Erzeugerländern. | |
Doch auch Kunden können die Nachteile zu spüren bekommen. Geringe | |
Produktvielfalt und – auch wenn das derzeit nicht der Fall ist – höhere | |
Preise. Was nicht heißt, dass zusätzlich Einnahmen daraus auch an die | |
Produzenten weitergereicht würden. | |
Daher könnte ein neues Marktsegment, wie der Online-Handel mit | |
Lebensmitteln, auch eine Chance sein. Eine Chance, die Marktmacht der | |
großen Handelsketten aufzubrechen. | |
Zum Beispiel, indem sich mehrere kleine Händler etablieren, die nicht | |
direkt von den Großen geschluckt werden, vielleicht zunächst in einer | |
Nische. Oder wenn Produzenten den Direktvertrieb entdecken und ihre Waren | |
nicht nur an Großabnehmer, sondern auch im Netz an Endkunden verkaufen | |
würden. Mehr Arbeit ist das ohne Zweifel. Doch es bietet eine Gelegenheit, | |
an den Handelsketten und deren Druck, Preispolitik und Margen | |
vorbeizukommen. | |
19 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
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