# taz.de -- Gipfel in Baden-Württemberg: Konsequent mit Task Force | |
> Die Flüchtlingszahlen steigen stärker als erwartet. Im Südwesten greift | |
> die grün-rote Landesregierung nun zu Maßnahmen, um der Probleme Herr zu | |
> werden. | |
Bild: Flüchtlingsgipfel in Stuttgart: Tür zu | |
Stuttgart dpa | Es war ein dramatischer Appell, den die | |
baden-württembergischen Kommunen vor einigen Tagen an die Politik im Land | |
und im Bund richteten. „Es ist eher drei vor zwölf als fünf vor zwölf“, | |
sagte der Präsident des Landkreistags, Joachim Walter (CDU). Nahe Karlsruhe | |
ging ein geplantes Flüchtlingsheim in Flammen auf – durch Brandstiftung. | |
Und Landesintegrationsministerin Bilkay Öney (SPD) sah sich in Heidelberg | |
mit teils aufgebrachten Bürgern konfrontiert – angesichts einer völlig | |
überbelegten Flüchtlingsunterkunft. | |
Schließlich fuhr Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) selber nach | |
Heidelberg, um zur Beruhigung der angespannten Lage beizutragen. Nach einem | |
Flüchtlingsgipfel am Montag stellte er Maßnahmen vor, die die Situation | |
entschärfen sollen. | |
Siebeneinhalb Monate vor der Landtagswahl wächst sich das Flüchtlingsthema | |
für die grün-rote Landesregierung zu einem schwerwiegenden Problem aus. | |
Baden-Württemberg nimmt rund 13 Prozent aller neuen Asylbewerber in | |
Deutschland auf – in diesem Jahr werden es mehr als 50.000, wahrscheinlich | |
sogar 80.000 Menschen sein. | |
Aber die Erstaufnahmen des Landes sind überfüllt. Und Asylbewerber dürfen | |
dort nur höchstens drei Monate bleiben. Manche werden von dort aus in die | |
Kommunen geschickt, obwohl sie noch nicht identifiziert und nicht | |
gesundheitlich untersucht sind. Mittlerweile räumt Grün-Rot auch | |
„zwischenmenschliche Probleme“ ein – etwa, wenn Asylbewerber Frauen | |
anmachen oder ihre Notdurft öffentlich verrichten. | |
## Handlungsfähigkeit demonstrieren | |
Ministerpräsident Kretschmann will jetzt Handlungsfähigkeit demonstrieren: | |
Eine interministerielle Task Force (Lenkungsgruppe) soll her und es soll | |
mehr Plätze in den Erstaufnahmeeinrichtungen geben. Auch das Thema | |
Abschiebungen will Grün-Rot konsequenter angehen – obwohl es unter den | |
eigenen Parteianhängern umstritten ist. Und von der gut gemeinten | |
Entscheidung, Flüchtlingen eine Mindestwohnfläche von sieben Quadratmetern | |
zu gewähren, wird Grün-Rot gezwungenermaßen erst einmal Abstand nehmen | |
müssen. | |
Wie Hohn müssen in den Ohren der Kommunen Forderungen klingen, Flüchtlinge | |
nicht in Industriegebieten unterzubringen. „Die Not ist ja so groß, dass | |
wir derzeit gar nicht mehr groß heraussuchen können, wo wir die | |
Gemeinschaftsunterkünfte hinstellen“, sagt Städtetagspräsidentin Barbara | |
Bosch (parteilos). | |
Wie konnte es so weit kommen? Die Verantwortung dafür schiebt sich die | |
Politik gegenseitig zu. Die Opposition und die Kommunen werfen der | |
Landesregierung vor, die Flüchtlingszahlen und die Probleme unterschätzt zu | |
haben. Die Landesregierung verweist auf den Bund – schließlich liege das | |
Nadelöhr beim Bundesamt für Migration und Flüchtlingen (Bamf), da die | |
Bearbeitung von Asylanträgen im Durchschnitt rund sieben Monate dauere. Und | |
es sei der Bund gewesen, der Flüchtlingszahlen prognostiziert habe, die | |
längst überholt sein dürften. „Wir waren letztes Jahr gewarnt worden vor | |
einem Gewitter, und was uns ereilt, ist ein Tornado“, sagte die Staatsrätin | |
für Zivilgesellschaft, Gisela Erler (Grüne), dem Südkurier (Montag). | |
Als größte Opposition im Land schlachtet die CDU das Thema zwar bislang | |
nicht populistisch aus. Sie zieht damit auch eine Lehre aus 1992, als nach | |
einem Asylwahlkampf die rechtsradikalen Republikaner mit 10,9 Prozent in | |
den Landtag einzogen, während die CDU mit 39,6 Prozent klare Verluste | |
verzeichnete. Doch die Christdemokraten sind in Baden-Württemberg vor allem | |
in den Kommunen stark verankert – mit dem Flüchtlingsthema können sie | |
Grün-Rot bis zur Landtagswahl vor sich hertreiben. Dabei setzt Kretschmann | |
eigentlich darauf, dass er beim Urnengang im März 2016 auch Konservative | |
für sich gewinnen kann. | |
Die extrem guten Umfragewerte für den Regierungschef sind bislang auch | |
darauf zurückzuführen, dass er über die Parteigrenzen hinweg den Ruf hat, | |
integer und glaubwürdig zu sein. Das Flüchtlingsthema ist geeignet, diesen | |
Ruf zu beschädigen. CDU-Landesvize Winfried Mack erinnerte etwa daran, dass | |
die Landesregierung die vertraglich zugesicherten Höchstgrenzen an Menschen | |
in den Flüchtlingsunterkünften in Meßstetten, Ellwangen und Heidelberg | |
nicht einhalten kann. Mack: „Die Bürger dieser Kommunen fühlen sich | |
verschaukelt.“ Verfängt dies, könnte es mit den guten Werten für | |
Kretschmann womöglich bald vorbei sein. | |
## Gipfelergebnisse Baden-Württemberg | |
ERSTAUFNAHME: Baden-Württemberg will die Zahl der Plätze in den | |
Landeserstaufnahmeeinrichtungen (Lea) von rund 9.000 auf 20.000 im Laufe | |
des Jahres 2016 erhöhen. Flüchtlinge ohne Aussicht auf ein Bleiberecht | |
sollen möglichst nicht auf die Kommunen verteilt, sondern schon aus der Lea | |
heraus abgeschoben werden. Flüchtlinge mit guten Chancen auf ein | |
Bleiberecht sollen schneller in die Stadt- und Landkreise verteilt werden. | |
ABSCHIEBUNGEN: Abgelehnte Asylbewerber sollen in frühen und gezielten | |
Beratungen stärker zu einer freiwilligen Rückkehr bewegt werden. Entziehen | |
sich abgelehnte Asylbewerber einer Abschiebung, können Leistungskürzungen – | |
etwa die Kürzung des Taschengeldes – und Beschäftigungsverbote folgen. | |
SYRISCHE FLÜCHTLINGE: Das Land will darauf hinarbeiten, dass syrische | |
Bürgerkriegsflüchtlinge gar nicht erst in die Lea kommen, sondern umgehend | |
in die Kommunen verteilt werden. Das Land will beim Bund erwirken, dass | |
Syrer kein Asylverfahren durchlaufen müssen. | |
MINDESTWOHNFLÄCHE: Die zum Jahresbeginn 2016 von Grün-Rot beschlossene | |
Ausdehnung der Mindestwohnfläche für Flüchtlinge von 4,5 auf 7 Quadratmeter | |
wird zunächst für zwei Jahre ausgesetzt. | |
TASK FORCE: Staats-, Innen-, Integrations- sowie das Wirtschafts- und | |
Finanzministerium sollen in einer gemeinsame Lenkungsgruppe in allen Fragen | |
zur Flüchtlingsproblematik zusammenarbeiten. | |
WOHNRAUMFÖRDERUNG: Für das kommende Jahr stellt das Land mindestens 30 | |
Millionen Euro zur Förderung von Wohnraum für Flüchtlinge in den Kommunen | |
zur Verfügung. | |
ARBEITSMARKT: Die Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten für Flüchtlinge | |
sollen ausgeweitet und Integrationsmaßnahmen gestärkt werden. Das Land | |
fordert den Bund auf, für Flüchtlinge vom Westbalkan legale | |
Zugangsmöglichkeiten zum deutschen Arbeitsmarkt zu schaffen. | |
28 Jul 2015 | |
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