# taz.de -- Bürgerprojekte in Deutschland: Politik grätscht dazwischen | |
> Die Gründung von Energiegenossenschaften brach laut einer neuen Statistik | |
> 2014 um 60 Prozent ein. Die Ursachen sind politischer Natur. | |
Bild: Sonnenenergie war lange ein besonders beliebtes Geschäftsfeld für Energ… | |
Berlin taz | In Sonntagsreden fliegen den Genossenschaften stets die | |
Sympathien zu. In der Praxis jedoch hat die Bundesregierung den | |
Bürgerunternehmen das Leben zuletzt deutlich erschwert, wie sich speziell | |
bei den Energiegenossenschaften zeigt. Laut einer Statistik des Deutschen | |
Genossenschafts- und Raiffeisenverbands (DGRV) ist die Zahl der | |
Neugründungen 2014 gegenüber dem Vorjahr um 60 Prozent auf 54 | |
Energiegenossenschaften eingebrochen. 2011 waren bundesweit noch 167 | |
solcher Unternehmen gegründet worden. | |
Die Ursachen des Rückgangs sind vielfältig – aber sie sind allesamt | |
politischer Natur. Der schwerwiegendste Einschnitt war laut Verband die | |
Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), die den Solarsektor | |
in Deutschland dezimierte. Und da gerade die Photovoltaik aufgrund | |
überschaubarer Investitionssummen für Bürgerprojekte ideal war – mehr als | |
40 Prozent der Energiegenossenschaften sind im Geschäftsfeld der | |
Solarenergie tätig – trifft der Markteinbruch den Genossenschaftssektor | |
entsprechend hart. | |
Neben den deutlich reduzierten Einspeisevergütungen im neuen EEG bremst | |
nach Angaben des DGRV auch das in diesem Jahr gestartete | |
Ausschreibungsverfahren für Solarstrom die Bürgerenergie aus. In der ersten | |
Ausschreibungsrunde im Frühsommer gab es keinen einzigen Zuschlag für | |
Projekte unter einem Megawatt – die Genossenschaften, die meist auf | |
dezentrale Strukturen setzen, gingen somit leer aus. Zugleich wurden mehr | |
als 40 Prozent der ausgeschriebenen Leistung einem einzelnen Unternehmen | |
zugeteilt. Eckhard Ott, Vorstandsvorsitzender des DGRV, kritisiert das: | |
„Akteursvielfalt sieht anders aus.“ | |
Für das bevorstehende Windenergie-Ausschreibungsverfahren schlägt der | |
Verband nun für kleine und mittlere Unternehmen eine Sonderregel vor: Die | |
Vergütungshöhe, die sich im regulären Bieterverfahren der Großen ergibt, | |
sollte automatisch auch für Projekte der Kleinen gelten, ohne dass diese | |
sich an der aufwendigen Ausschreibung beteiligen müssen. | |
## Kleinanlagegesetz hat Bürger verunsichert | |
Unterdessen sind es nicht nur die gesetzlichen Änderungen im | |
Ökostromsektor, die den Bürgern nach Angaben des Verbandes ihr Engagement | |
verleiden. Auch auf Seiten des Kapitalmarktrechtes wurde politisch alles | |
getan, um Genossenschaftsgründer zu verschrecken. So hat die Verunsicherung | |
durch das Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) und das Kleinanlegerschutzgesetz | |
manche Genossenschaftsgründung zumindest hinausgezögert, wenn nicht gar | |
gestoppt. „Das KAGB-Problem ist mittlerweile gelöst“, betont nun immerhin | |
der DGRV. | |
Im Extremfall funkt sogar das Kartellamt dazwischen. Im badischen | |
Titisee-Neustadt hatte der Gemeinderat das Stromnetz eigenen Stadtwerken | |
mit Beteiligung einer Bürgergenossenschaft übertragen. Doch dann | |
zerpflückte das Bundeskartellamt aus der Ferne die vor Ort demokratisch | |
gefällte Entscheidung die Entscheidung – Bürgernähe als Kriterium bei der | |
Konzessionsvergabe sei „diskriminierend“. | |
Zusammen haben diese Hindernisse laut Genossenschaftsverband zu einem | |
Investitionsstau in Höhe von 290 Millionen Euro geführt. Denn in der Summe | |
bringen die Bürger mächtig Geld zusammen: 1,67 Milliarden Euro haben | |
Energiegenossenschaften bislang in erneuerbare Energien investiert und | |
Kapazitäten mit einer Leistung von 933 Megawatt aufgebaut. | |
82 Prozent der Unternehmen sind in der Stromerzeugung tätig, sieben Prozent | |
in der Wärmeerzeugung, ein Prozent der Firmen betreibt ein Stromnetz, 20 | |
Prozent ein Wärmenetz. Manche der Unternehmen decken auch mehrere dieser | |
Geschäftsfelder ab. Mit einer Eigenkapitalquote von 54 Prozent, gemessen am | |
Investitionsvolumen, sind die Projekte sehr solide finanziert. | |
Die Energiegenossenschaften in Deutschland haben zusammen rund 130.000 | |
Mitglieder, und sie legen zumeist Wert darauf, dass auch Kleinanleger | |
mitmachen können: Bei gut 70 Prozent der Unternehmen kann man schon mit 500 | |
Euro einsteigen, bei jedem vierten sogar mit nur 100 Euro. Und noch eine | |
Zahl weist der DGRV in seiner jüngsten Jahresstatistik aus: | |
Durchschnittlich erhielten die Anleger im vergangenen Jahr eine Dividende | |
von 3,59 Prozent – eine Rendite, mit der sich andere Firmen in der Regel | |
bei weitem nicht zufrieden geben. | |
21 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Bernward Janzing | |
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