# taz.de -- Experte über Energiewende: „Rückstellungen verzocken geht nicht… | |
> Norbert Allnoch, Leiter des Internationalen Wirtschaftsforums | |
> Regenerative Energien, über neue Geschäftsfelder für Atomkonzerne und | |
> Kohle als Vorbild. | |
Bild: Wenn‘s nicht mehr raucht, müssen für die Unternehmen andere Geschäft… | |
taz: Herr Allnoch, zum Thema Atomrückstellungen kursieren viele falsche | |
Vorstellungen. Erklären Sie doch mal. | |
Norbert Allnoch: Es wird gerne suggeriert, die AKW-Betreiber hätten Geld | |
auf die hohe Kante gelegt. Aber das stimmt natürlich nicht, Rückstellungen | |
sind keine Rücklagen. Eine Rückstellung ist eine Verbindlichkeit, eine Art | |
Rechnung, deren Höhe und Fälligkeitszeitpunkt unsicher ist. Aber weil diese | |
Rechnung von der Sache her absehbar ist, wird sie vorab verbucht und | |
mindert damit den Gewinn des Unternehmens. Damit werden weniger Steuern | |
fällig, ansonsten passiert nichts. Das verstehen viele Bürger allerdings | |
falsch. | |
Wenn nun aber zum Beispiel RWE gut zehn Milliarden Euro an | |
Atomrückstellungen in der Bilanz hat, müssen diesen absehbaren Kosten doch | |
auch Werte gegenüberstehen, die Konzernbilanz muss schließlich ausgeglichen | |
sein. | |
Genau das ist der Punkt. Den Rückstellungen stehen zwar beispielsweise | |
Kraftwerke gegenüber, mit denen wird aber eigentlich das Geld verdient, um | |
die Schulden bezahlen zu können. | |
RWE-Chef Peter Terium hatte das kürzlich erklärt mit Bezug auf die | |
Braunkohlekraftwerke. Greenpeace empörte sich daraufhin, RWE habe seine | |
Atomrückstellungen „verzockt“ … | |
… was natürlich Quatsch ist, Rückstellungen kann man nicht verzocken. | |
Aber sicher ist die Finanzierung der Entsorgung trotzdem nicht. | |
Natürlich nicht, aber RWE ist der falsche Adressat für die Kritik. RWE | |
macht nichts anderes, als es die Bilanzierungsregeln vorgeben. | |
Die aber bergen das Risiko, dass am Ende nicht mehr genug Geld da ist. Und | |
da man von der Kohle ja auch möglichst zügig weg will, bleibt die Frage: Wo | |
soll das ganze Geld dafür dann herkommen? | |
Die Atomkonzerne brauchen neue Geschäftsfelder, die so viel Geld abwerfen, | |
dass sie die Summen bezahlen können, die in den Rückstellungen stehen. | |
Um noch mal zu RWE zurückzukommen: Der Börsenwert des Konzerns ist | |
inzwischen auf 12 Milliarden Euro gefallen, das ist kaum noch mehr als die | |
Höhe der Rückstellungen. Was passiert, wenn der Firmenwert unter die Höhe | |
der Rückstellungen fällt? | |
Nichts, das hat nicht einmal symbolische Bedeutung. Der Börsenwert – auch | |
Marktkapitalisierung genannt – wird von vielen Faktoren bestimmt, auch von | |
subjektiven Erwartungen der Anleger und von der Psychologie. Für die Frage, | |
ob die Entsorgung finanzierbar ist, spielt der Börsenwert keine Rolle, | |
entscheidend ist die Liquidität, und die ergibt sich aus dem operativen | |
Geschäft. | |
Die Erkenntnis, dass das bisherige System der Rückstellungen der | |
Atomkonzerne nicht mehr tragfähig ist, kommt nun endlich in der | |
Gesellschaft an. Was muss jetzt geschehen? | |
Sigmar Gabriel lässt ja gerade einen Stresstest machen, der zeigen soll, ob | |
die Konzerne für die Entsorgungskosten gewappnet sind. Ich rechne fest | |
damit, dass man im Anschluss die Finanzierung der Abrisskosten und der | |
atomaren Ewigkeitslasten neu regeln wird. | |
Bei der Kohle sollen die Erträge der Firma Evonik die Ewigkeitskosten | |
tragen, ist das ein Vorbild für die Atomwirtschaft? | |
Im Ansatz durchaus. Denn zur Finanzierung der Entsorgung müssen neue | |
Geschäftsfelder her, die das Geld erwirtschaften. Man könnte darüber | |
nachdenken, eine Firma zu gründen, die weltweit Atomkraftwerke zurückbaut. | |
Hier könnte Deutschland sich frühzeitig als Marktführer etablieren. Mit den | |
Erträgen könnte man dann die Entsorgung bezahlen. Der globale Markt dafür | |
wird schließlich riesig sein. | |
17 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Bernward Janzing | |
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