| # taz.de -- Geschichte der Staatspleiten: Korinthenkrise machte Griechen fertig | |
| > Den meisten Staatspleiten ging ein Krieg voraus. In Griechenland war 1893 | |
| > der Einbruch des Korinthen-Exports schuld. | |
| Bild: Daraus kann man keinen Wein mehr machen. Schade. | |
| Berlin dpa | Wenn ein Staat pleitegeht, hat das oft dramatische Folgen für | |
| seine Bürger, vor allem für die, die ohnehin nicht viel haben. Hunger, | |
| Unruhen, sozialer Niedergang. Aber es gibt auch interessante Geschichten zu | |
| erzählen, nicht zuletzt aus Griechenland. | |
| Es war das Jahr 1893, den griechischen Staat gab es noch nicht so lange, | |
| und im Grunde war er schon pleite, bevor er 1830 gegründet war. Aber | |
| richtig ernst wurde es, als die Weltmarktpreise für Korinthen einbrachen. | |
| Denn die getrockneten Weintrauben waren Griechenlands wichtigstes | |
| Exportgut. Nach ganz Europa wurden die Trockenfrüchte verkauft, vor allem, | |
| weil in den französischen Weinbergen Mehltau die Ernte vernichtete. | |
| Doch Anfang der 1890er Jahre hatten sich die französischen Rebstöcke | |
| erholt. Eine weltweite Rezession kam dazu. Als Frankreich Schutzzölle auf | |
| den Import von Korinthen erhob, brachen die Weltmarktpreise ein, berichtet | |
| die Historikerin Korinna Schönhärl, die sich mit der Geschichte der | |
| griechischen Pleiten lange beschäftigt hat. Ministerpräsident Charilaos | |
| Trikoupis musste verkünden: „Wir sind bankrott.“ | |
| Es war nicht die erste und nicht die letzte Staatspleite Griechenlands, | |
| aber auch vielen anderen Ländern ging es kaum besser. Tatsächlich waren die | |
| meisten Staaten schon einmal bankrott. Mindestens einmal. Meistens waren | |
| Krieg schuld. „Ähnlich wie die Pleite von Unternehmen ist die Insolvenz | |
| eines ganzen Landes zwar kein alltäglicher, aber ein nicht unüblicher | |
| Vorgang“, schreibt der Autor Johannes Kallenbach. | |
| So mussten schon die Römer wegen der Punischen Kriege den Sesterz abwerten. | |
| König Edward III. von England konnte 1345 seine im Hundertjährigen Krieg | |
| entstandenen Schulden nicht zurückzahlen. In China kam es 1425 zur ersten | |
| Staatspleite, weitere folgten 1921 und 1939. | |
| ## Dreimal Spanien | |
| Spanien war im 16. Jahrhundert gleich dreimal pleite. Am Vorabend der | |
| Französischen Revolution ist Frankreich unter König Ludwig XVI. faktisch | |
| zahlungsunfähig. Das Land muss den größten Teil seiner Einnahmen für den | |
| Schuldendienst aufwenden – eine der Ursachen der bürgerlichen Revolution. | |
| Österreich war 1811 bankrott, Dänemark zwei Jahre später. | |
| Deutschland war nach dem Ersten und nach dem Zweiten Weltkrieg faktisch | |
| pleite. Viermal gewährten die Gläubiger massive Schuldenschnitte: 1924, | |
| 1929, 1932 und 1953. Vor 62 Jahren handelte die Regierung von Kanzler | |
| Konrad Adenauer mit 20 Staaten das Londoner Schuldenabkommen aus. Weil | |
| übrigens auch Griechenland am Verhandlungstisch dabei war, wird heute | |
| argumentiert, dass Reparationsforderungen Athens an Deutschland nicht | |
| rechtens seien. | |
| Der Wirtschaftshistoriker Albrecht Ritschl nannte Deutschland den größten | |
| Schuldensünder des 20. Jahrhunderts: „Ihre heutige finanzielle Stabilität | |
| und ihren Status als Oberlehrer Europas verdankt die Bundesrepublik allein | |
| den USA, die sowohl nach dem Ersten als auch nach dem Zweiten Weltkrieg auf | |
| sehr viel Geld verzichtet haben“, sagte er „Spiegel Online“. | |
| Auch aus jüngerer Zeit sind einige Staatspleiten erinnerlich. Island war | |
| 2008 als Folge der Lehman-Krise praktisch bankrott, ausländischen Sparern | |
| wurden ihre Einlagen nicht zurückbezahlt. Besonders präsent ist die Pleite | |
| Argentiniens 2001/2002. Sie war Folge einer schweren Rezession, aber auch | |
| der Überbewertung des Pesos durch die Koppelung an den US-Dollar. Die | |
| argentinische Währung wurde drastisch abgewertet, das Bankensystem fiel ins | |
| Chaos, das Bruttoinlandsprodukt sank um 20 Prozent, die sozialen Folgen | |
| waren zunächst verheerend. In den Folgejahren aber brummte die Wirtschaft. | |
| ## Eine Geschichte der Schulden | |
| Kriege, Rezessionen, politische Krisen. Die Ursachen von Staatspleiten | |
| ähneln sich durchaus. Die Folgen auch. Der US-Autor und Occupy-Anhänger | |
| David Graeber stellt fest, dass viele Umstürze und Revolutionen mit | |
| Schulden begonnen haben, die eine Gesellschaft nicht mehr bezahlen kann. | |
| „Schulden – Die ersten 500 Jahre“, heißt sein Buch, das seit 2011 weltwe… | |
| Aufsehen erregt hat. Die Geschichte der Menschheit erzählt Graeber als eine | |
| Geschichte der Schulden: eines moralischen oder besser unmoralischen | |
| Prinzips, das nur die Macht der Herrschenden stütze. | |
| Zu Griechenland sagte Graeber schon 2012 der Zeit: „Niemand glaubt daran, | |
| dass Griechenlands Schulden zurückgezahlt werden können.“ Das Problem sei | |
| „kein wirtschaftliches, sondern ein moralisches“. In allen Gesellschaften | |
| handelten die Eliten in der Gewissheit, dass sie am Ende gerettet würden. | |
| Auf Kosten der Ärmsten der Gesellschaft. | |
| Aber ist dies wirklich zwangsläufig? Seit sich Europa mit der | |
| Griechenland-Krise herumschlägt, wird auch ein Insolvenzrecht für Staaten | |
| gefordert. Eine Konsequenz könnte sein: Ein Insolvenzverwalter, der die | |
| Geschäfte führt. Damit wäre die Regierung entmachtet. Wie das mit | |
| demokratischen Prinzipien zu vereinbaren wäre, bliebe zu klären. | |
| ## Vermittelnde Funktion | |
| Differenzierter ist der Ansatz des Berliner Juristen Christoph Paulus. Er | |
| schlägt für eine Staatsinsolvenz ein internationales Schiedsgericht vor, | |
| das nicht allein den Willen der Gläubiger durchsetzen, sondern eine | |
| vermittelnde Funktion einnehmen soll. Dann wäre im Fall Griechenlands ein | |
| Mittelweg zwischen Teilerlass, Einsparungen und Reformen möglich gewesen. | |
| Vielleicht kommt es auch diesmal wieder so. Selbst eine neuerliche | |
| Staatspleite in Athen wäre vermutlich nur eine Etappe auf einem weiter | |
| beschwerlichen Weg, keine Lösung. Nach 1893 und der Korinthenkrise erholte | |
| sich das Land nur mühsam. Mit der militärischen Niederlage gegen die Türkei | |
| 1922 ging es schnell wieder begab, die Weltwirtschaftskrise 1929 kam hinzu. | |
| 1932 war Griechenland zum vierten Mal bankrott. | |
| 19 Jun 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Thomas Lanig | |
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