# taz.de -- Kandidatin über Wahlen in Burundi: Die Wütenden | |
> Weil die Regierung korrupt ist, hat Burundis Jugend keine Chance. Cynthia | |
> Munwangari stellt sich deshalb zur Wahl auf – aus dem Exil. | |
Bild: Cynthia Munwangari. | |
KAMPALA taz | Cynthia Munwangari sitzt in einem Restaurant tausend | |
Kilometer von ihrer Heimatstadt entfernt und spielt mit ihren zwei iPhones. | |
Sie trägt pinken Lippenstift und einen goldenen Armreif. Aus der Ferne | |
wirken sie und ihre Freundinnen wie reiche Afrikanerinnen beim | |
Kaffeeklatsch. Wer näher herantritt, hört ihre Gespräche: Es geht um | |
Politik, die Wahlen und das Chaos in ihrem Heimatland Burundi. | |
Sie hat in Kampala Schutz gesucht, erzählt Munwangari. Von Uganda aus | |
versuchte sie in den vergangenen Wochen ihren Wahlkampf zu führen: per | |
Facebook, E-Mail und Twitter. Munwangari ist mit 24 Jahren Burundis jüngste | |
Kandidatin für die Parlamentswahlen, die am Montag nach langem Hin und Her | |
stattfinden sollen – als Vorlauf für die Präsidentschaftswahl im Juli. | |
Seit Burundis Regierungspartei CNDD-FDD (Nationalkomitee/Kräfte zur | |
Verteidigung der Demokratie) im April entschieden hat, den amtierenden | |
Präsidenten Pierre Nkurunziza erneut als Kandidaten aufzustellen, herrscht | |
in dem kleinen Land zwischen Tansania und Kongo Chaos. | |
Gemäß Verfassung darf Nkurunziza eigentlich nicht zu einer dritten Amtszeit | |
antreten, doch das Verfassungsgericht hatte zugestimmt. Daraufhin gingen | |
die Menschen in Bujumbura wochenlang auf die Straße. Die Polizei schlug die | |
Demonstrationen immer wieder nieder. Rund 70 Menschen starben, Tausende | |
wurden verhaftet. | |
## „Ich habe mich nicht mehr sicher gefühlt“ | |
Im Mai wurde der Putschversuch eines Generals vereitelt. Seitdem haben die | |
Menschen in Burundi Angst. Polizisten und die Jugendmiliz der | |
Regierungspartei, die „Imbonerakure“, machen Jagd auf Oppositionelle, gehen | |
von Haus zu Haus, erschießen sogar verletzte Demonstranten in ihren | |
Krankenhausbetten. Fast täglich ist in Bujumbura Gewehrfeuer zu hören, | |
vergangene Woche starben sieben Menschen bei Granatenanschlägen. | |
Über 100.000 Burundier sind nach Nachbarländern wie Uganda und Ruanda | |
geflohen, darunter fast die ganze Opposition. Vizeprädient Gervais | |
Rufyikiri und Parlamentspräsident Pie Ntavyohanyuma setzten sich vergangene | |
Woche nach Belgien ab. Jeder, der nicht auf der Seite des Präsidenten | |
steht, fürchtet jetzt um sein Leben. | |
Deswegen ist auch Munwangari vor drei Wochen ausgereist. „Ich habe Anrufe | |
und SMS bekommen, man warf mir vor, die Opposition zu unterstützen und die | |
Proteste finanziert zu haben“, sagt sie. Ihr Bruder sei angeschossen | |
worden, als er spät abends unterwegs gewesen sei. Ab 23 Uhr gilt | |
Ausgangssperre. „Ich habe mich nicht mehr sicher gefühlt“, sagt sie. Sie | |
schaut auf ihr Smartphone. | |
Munwangari ist es nicht gewohnt, nicht gemocht zu werden. Sie ist Model und | |
in Burundi berühmt wie Claudia Schiffer in Deutschland. Sie hat im | |
vergangenen Juli die Modemesse in Bujumbura veranstaltet, mit Hunderten | |
Gästen aus aller Welt. An Geld mangelt es ihr nicht: Sie stammt aus einer | |
wohlhabenden Familie und verdient mit ihrem eigenen Modelabel so viel, dass | |
es auch für einen Wahlkampf reicht. | |
## Junge Leute führen die Proteste an | |
Noch dazu kennt sie einflussreiche Geschäftsleute in Bujumbura. „Viele | |
haben die Korruption und die Rechtsunsicherheit so satt, dass sie | |
Oppositionelle wie mich unterstützen“, sagt sie. Als Model steht sie gern | |
im Rampenlicht. Das gibt sie offen zu. Mode sei zwar ihre Leidenschaft. | |
Aber schon als kleines Mädchen habe sie Präsidentin werden wollen. „Ich | |
habe vor dem Spiegel Volksansprachen geübt.“ Sie flippt durch die Fotos auf | |
ihrem Telefon. | |
Munwangari vertritt eine junge, aufstrebende Generation Burundier, die fast | |
die Hälfte der Bevölkerung ausmacht und die zum größten Teil nach dem | |
Bürgerkrieg aufgewachsen ist. Sie studiert Psychologie und gehört zur | |
urbanen Elite, die in dem sonst so ländlich geprägten Land ein anderes | |
Lebensgefühl verkörpert, die Partys feiert und über soziale Netzwerke mit | |
der ganzen Welt kommuniziert. Eine Generation, deren junge Frauen | |
Masterabschlüsse machen und Karrieren anstreben, anstatt früh Kinder zu | |
kriegen. Die Zugehörigkeit, Hutu oder Tutsi, spiele kaum mehr eine Rolle, | |
sagt Munwangari: „Ich bin Tutsi, aber wir jungen Leute lassen uns nicht | |
mehr gegeneinander aufhetzen.“ | |
Die Massenproteste gegen den Präsidenten werden angeführt von den jungen | |
Leuten, die sich gemeinsam gegen ein Regime auflehnen, das ihnen wegen der | |
Vetternwirtschaft keine Chancen gibt. Dabei ist Präsident Nkurunziza selbst | |
erst 42 Jahre alt, Priester und leidenschaftlicher Fußballspieler in seinem | |
Halleluja-Team. „Eigentlich ein netter Gentleman“, sagt Munwangari. Es gibt | |
keinen anderen Präsidenten in Afrika, dem man sonntags zuerst beim Predigen | |
und anschließend beim Fußballspielen zusehen kann – am Strand des | |
Tanganjikasees. | |
Sie zeigt Fotos auf ihrem Smartphone, auf denen sie neben dem Präsidenten | |
steht. Er hatte sie vergangenes Jahr eingeladen, um ihr zu danken, dass | |
ihre Modenschau Burundi ein frisches Image in der Welt verschafft habe. Sie | |
kannte ihn auch davor schon, ihr Vater stammt aus derselben Provinz im | |
Norden, Ngozi, und war in seiner Jugend mit dem Präsidenten in die Kirche | |
gegangen. Heute ist sie von Nkurunziza enttäuscht: „In seiner Rede nach dem | |
Putsch war er so wütend auf die Demonstranten“, sagt sie. „Dabei sollte er | |
wie ein Vater Verständnis für seine Kinder aufbringen.“ | |
## Politikverdrossene mobilisieren | |
Vor wenigen Tagen hat sie ihm geschrieben. Ihre Anklage trägt den Titel | |
„Brief an den Präsidenten – von einer Mutter“. Darin steht: „Herr | |
Präsident, es gibt ein paar Dinge, die ich verstehen möchte: Können Sie das | |
Wohl unserer Kinder sicherstellen, obwohl die Schulen und sämtliche | |
Sozialeinrichtungen geschlossen sind?“ Sie selbst habe zwar noch keine | |
Kinder, sagt sie. „Doch wer in die Politik geht, muss sich als Mutter oder | |
Vater einer Nation verstehen.“ Sie hat sich gegen eine Partei entschieden. | |
Als unabhängige Kandidatin, sagt sie, vertritt sie die jungen Leute aus der | |
Hauptstadt, die eigentlich sonst nicht wählen gehen würden. Sie hofft auf | |
ihre Stimmen. | |
Doch genau da liegt auch das Grundproblem der Opposition in Burundi. Der | |
Staat zählt zu den ärmsten und am wenigsten entwickelten Ländern der Welt. | |
Die Mehrheit der Bevölkerung lebt auf dem Land, jenseits von | |
Stromanschlüssen, Internet, Facebook und Twitter. Die Landbevölkerung | |
unterstützt Präsident Nkurunziza, denn er gilt als einer von ihnen. Mit | |
Fußball und Predigten erreicht er die Bauern in den Dörfern. | |
Munwangari lebt mit ihren Smartphones in einer ganz anderen Welt, wie so | |
viele Oppositionelle, die meist aus der Hauptstadt stammen und andere | |
Ansprüche an die Regierung stellen als die verarmte Mehrheit der | |
Bevölkerung. | |
Auch die Politikverdrossenen zu mobilisieren ist nicht einfach. Munwangari | |
gibt zu, dass sie bei den vergangenen Wahlen im Jahr 2010 zwar alt genug | |
gewesen sei, um abstimmen zu können, aber keinen Sinn darin gesehen habe. | |
Wenn sie ehrlich sei, glaube sie, dass es keine Rolle spiele, wer gewählt | |
werde. „Die tatsächliche Macht haben Männer im Hinterzimmer“, sagt sie. | |
Damit meint sie zum Beispiel den Exgeheimdienstchef General Adolphe | |
Nshimirimana, der auch die Niederschlagung des Putsches und der Proteste | |
organisiert haben soll und der gerade die Jugendmiliz steuert. | |
## Kein Wahlkampf in Burundi | |
Er gilt als der Puppenspieler hinter Präsident Nkurunziza, der tatsächlich | |
oft wie eine Marionette wirkt. Nshimirimana ist einer der reichsten | |
Geschäftsleute in der Region. Sollte der Präsident die Macht abgeben, | |
verliert auch Nshimirimana alles. Da riskiert er lieber einen Bürgerkrieg, | |
um an der Macht zu bleiben. | |
„Ich bin gegen diese endlose Korruption, Vetternwirtschaft und | |
Ungerechtigkeit“, sagt Munwangari. Deshalb tritt sie an. Sie zeigt stolz | |
ein Foto von der Kandidatenliste des Wahlbezirks Bujumbura. Ihr Name steht | |
auf Platz fünf von zwölf. | |
Sie wollte eigentlich kurz vor der Wahl zurück nach Burundi reisen, um noch | |
ein bisschen Wahlkampf zu machen. Aber als der Vizepräsident geflohen sei, | |
habe sie sich dagegen entschieden. Zu gefährlich. „Oppositionelle werden | |
gezielt getötet“, sagt sie. „Diese Wahlen sind nicht glaubwürdig.“ | |
28 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Simone Schlindwein | |
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