# taz.de -- 3. Staffel „Orange Is The New Black“: Knast ↔ Ghetto | |
> Am Freitag startet die neue Staffel der Netflix-Gefängnisserie. | |
> Rassistisch, finden Kritiker. Aber Knast ohne Rassismus – geht das? | |
Bild: Man kann keine in den USA handelnde Knastserie machen, ohne dass Latinas … | |
„Es ist nicht deine Schuld“, sagt Piper zu ihrer Exfreundin Alex, als diese | |
in der ersten Folge der neuen Staffel von „Orange Is The New Black“ wieder | |
zurück im Knast ist. Wir sehen zwei weiße Frauen in Gefängniskleidung, die | |
sich küssen und gegenseitig Halt geben. „Es ist das System,“ sagt Piper, | |
„du bist gefangen im System.“ | |
Eine Folge später setzt sich Pennsatucky, eine ex-Meth-abhängige, | |
jesusvernarrte Frau mit typischen White-Trash-Attributen an einen Tisch mit | |
sechs schwarzen Insassinnen. Mit kollektiven Beschimpfungen und | |
Drohgebärden wird sie zurückgewiesen: „Selbst wenn Rosa Parks persönlich | |
durch diese Tür käme, müsste ihr Arsch auf die hinteren Plätze wandern, | |
genau wie du, Schlampe.“ | |
Beide Szenen widmen sich dem „System“, nur in der einen wird es besprochen, | |
hinterfragt und als unbekannter Schuldiger für die eigenen Lebensumstände | |
ausgemacht – in der anderen wird es schlicht akzeptiert und gelebt. | |
Jenji Kohans preisgekrönte Serie „Orange Is The New Black“, die am Freitag | |
in die dritte Staffel geht, exerziert dieses Spiel mit den verschiedenen | |
Perspektiven auf den Gefängnisalltag so meisterhaft, dass sie es schafft, | |
Themen wie Race, Class und Gender für ein Mainstreampublikum interessant zu | |
machen. Das mag vor allem an Protagonistin Piper Chapman liegen, dem | |
blonden Mädchen von nebenan, der Luxusbadeseifen-Händlerin, deren | |
Gefängnisstrafe eher die Konsequenz eines erotischen Abenteuers ist, als | |
ein unausweichliches und mit sozialen Umständen zusammenhängendes | |
Schicksal. Letzteres ist hingegen bei vielen ihrer Mitinsassinnen der Fall, | |
wie deren ausschnitthaft nacherzählten Biografien deutlich machen. | |
## Stereotypische Bilder von schwarzen Frauen und Latinas | |
Genau das sehen manche Zuschauer aber als das große Problem von „Orange Is | |
The New Black“: Die Serie reproduziere stereotypische Bilder von schwarzen | |
Frauen und Latinas, die als ungebildete, unreflektierte und gewalttätige | |
Menschen erschienen. Protagonistin Pipers weißer, privilegierter Blick auf | |
die women of color sei exotistisch und verächtlich, so die Vorwürfe | |
zahlreicher Blogger und Kritiker. | |
Dabei kann die Kritik als ungerechter, weil redundanter Blick auf ein | |
ausgezeichnet arrangiertes Figurenensemble gesehen werden, das Regisseurin | |
Kohan für die Netflix-Produktion zusammengestellt hat. So simpel, wie die | |
Dinge in einer Szene erscheinen mögen, sind sie in der nächsten Szene meist | |
nicht mehr. | |
Eine puerto-ricanische Mutter etwa, die ihrer Tochter rät, mit ihren | |
sexuellen Reizen zu spielen, um aus einer ungünstigen Situation | |
herauszukommen, tut das nicht, weil sie das Stereotyp der feurigen Latina | |
verkörpert. Sondern weil einer enteigneten, eingesperrten, ständig mit | |
Einzelhaft bedrohten Frau im Knast nicht viel Werkzeug übrig bleibt, um ein | |
Stück weit Herrin ihrer selbst zu bleiben. | |
Eines muss man nämlich Regisseurin Kohan hoch anrechnen: Sie versucht, das | |
System Knast in all seiner Barbarei und Härte abzubilden, ohne den Rahmen | |
der US-Mainstreamunterhaltung zu sprengen. Der Authentizitätsanspruch, den | |
sich die Produktion setzt, wird schon im Intro der Serie deutlich: Eine | |
Collage aus Mündern und Augen echter Gefängnisinsassinnen ist zu sehen, | |
dazu läuft ein Song von Regina Spektor: „The animals, the animals / trapped | |
trapped trapped till the cage is full.“ | |
Der Knast in „Orange Is The New Black“ ist keineswegs nur ein spektakuläres | |
Set, vor dessen Hintergrund ein paar wilde Kriminellen-, Lesben- und | |
Transgeschichten erzählt werden. So wie schon der Kern von Kohans erster | |
Serie „Weeds“ trotz reichlich Sex, Witz und Drogen doch durchweg von den | |
abgrundtiefen Abstiegsängsten der verwitweten Mittelstandsmutter Nancy | |
Botwin bestimmt war, so folgt „Orange Is the New Black“ in all den | |
Handlungssträngen und Figurenzeichnungen einzig und allein der Knastlogik. | |
Das bildet sich in der autoritären Willkür des maßlos überforderten | |
Sicherheitspersonals einer unterfinanzierten, staatlichen Einrichtung ab. | |
Vor allem aber zeigt es sich im schonungslosen Blick auf die Insassinnen | |
und ihre brutalen Umgangsformen. | |
## Der Knast ist rassistisch – und produziert Rassismus | |
Man kann keine in den USA spielende Knastserie machen, ohne dass Latinas | |
und Schwarze eine dominante Rolle spielen – Ende 2013 machten | |
Afroamerikaner und Menschen hispanischer Herkunft über 60 Prozent der | |
Gefängnisinsassen aus (und gerade mal knapp 30 Prozent der US-Bevölkerung). | |
Vor allem aber kann man keine Knastserie drehen, die sich in den sauber | |
abgesteckten Grenzen der Political Correctness bewegt. Denn der Knast ist | |
rassistisch, und nicht nur das: Der Knast produziert regelrecht Rassismus. | |
Zumindest laut den Thesen des Soziologen Loïc Wacquant, einem | |
Pierre-Bourdieu-Schüler, der seit den neunziger Jahren an der Universität | |
Berkeley zu urbaner Armut, Rassismus und Gefängnissen in den USA forscht. | |
Zur unverhältnismäßig hohen Rate von Häftlingen afroamerikanischer und | |
hispanischer Herkunft stellt Wacquant fest, dass es sich hier vor allem um | |
Menschen aus bestimmten urbanen Gegenden handelt. Kurz: dem Ghetto. | |
Das führt Wacquant nicht nur, aber zum Großteil auch auf die | |
War-on-Drugs-Politik zurück, die in den 1980er Jahren unter Ronald Reagan | |
eingeführt wurde und sich vor allem auf die Inhaftierung von Straßendealern | |
aus crackverseuchten, mehrheitlich schwarzen Problembezirken richtete. Zu | |
exakt derselben Zeit sorgte die Sozialreform für Kürzungen und zeitliche | |
Begrenzungen von finanziellen Leistungen für bedürftige Familien. | |
Die Beziehung zwischen Ghetto und Knast begreift Wacquant allerdings nicht | |
als Einbahnstraße, sondern als Symbiose. Das heißt: Seit der Entstehung des | |
Hyperghettos – so nennt der Soziologe das Ghetto der 1980er Jahre, in dem | |
nicht mehr wie einst zur Civil-Rights-Ära auch eine schwarze Mittelschicht | |
mit positiver ökonomischer Funktion lebt, sondern die sozial Schwachen sich | |
selbst überlassen sind – hat sich der Knast in ein Ghetto und das Ghetto in | |
einen Knast verwandelt. Es handelt sich in beiden Fällen um Orte, an die | |
schwierige Sozialfälle abgeschoben werden, wo sie kontrolliert und | |
definiert werden können. „Lagerhäuser“, wie sie Wacquant auch nennt. | |
## Draußen oder drinnen? Kein Unterschied | |
In „Orange Is The New Black“ wird diese funktionelle und strukturelle | |
Gemeinsamkeit zwischen Knast und Ghetto am deutlichsten, als Taystee, eine | |
schwarze Insassin, nach ihrer Freilassung bewusst gegen die | |
Bewährungsauflagen verstößt, um zurück ins Gefängnis zu ihren Freundinnen | |
zu gehen. Denn das Leben draußen und das Leben drinnen unterscheiden sich | |
für Taystee nicht sonderlich, außer dass sie draußen keine Freunde mehr | |
hat. Und: „Wenigstens bekommt man hier jeden Abend was zu essen.“ | |
Auch was kulturelle Strukturen angeht, stellt Wacquant eine Fusion zwischen | |
Ghetto- und Knastbevölkerung fest. Die ethnienbasierte und rivalisierende | |
Gangbildung etwa. Nicht nur am Essenstisch sitzen Schwarze, Latinas und | |
Weiße bei „Orange Is The New Black“ getrennt. Sie benutzen auch getrennte | |
Bäder, haben jeweils eine Anführerin und vertrauen sich lediglich | |
untereinander an (Asiatinnen gesellen sich zu Weißen; die Clique älterer | |
Insassinnen überlagert ethnische Grenzen). | |
Um sich im Alltag durchzuschlagen, muss jede neue Insassin versuchen, | |
härter und stärker als der Rest zu sein oder sich auf irgendeine Weise den | |
Respekt der Härtesten zu verschaffen. Das geht auf den als hypermaskulin | |
erachteten Straßencode zurück, der aber – wie in „Orange Is The New Black… | |
– auch Hierarchien unter weiblichen Insassen regelt. | |
Auch Seifenhändlerin Piper lernt das nach einer verstörenden Anfangszeit. | |
Dass sie dennoch als personifizierte Form der weißen Privilegiertheit | |
umherstolziert, wird an keiner Stelle außer Acht gelassen, im Gegenteil: Es | |
wird fortwährend von Mithäftlingen thematisiert, belächelt oder bestraft. | |
## Die Hauptfigur als trojanisches Pferd | |
Die Wahl von Piper als Hauptcharakter ist dadurch bedingt, dass „Orange Is | |
The New Black“ auf den Memoiren einer Exinhaftierten namens Piper Kerman | |
basiert. Zugleich dient die Figur Regisseurin Jenji Kohan aber als | |
Schlüssel zur eigentlichen Erzählung, wie sie im Radiointerview zugab: „Du | |
kannst einem großen Unternehmen keine Serie verkaufen, die sich um die | |
faszinierenden Geschichten von schwarzen, hispanischen, alten und | |
kriminellen Frauen dreht. Aber wenn du dieses weiße Mädchen nimmst und ihr | |
nach drinnen folgst, kannst du deine Welt entgrenzen und alle Storys | |
erzählen.“ | |
Kohan schleust also ihre Protagonistin als scheinbar harmloses Objekt in | |
ein hochgesichertes System, um es von innen anzugreifen? Piper Chapman als | |
trojanisches Pferd, eine ziemlich smarte Idee. | |
11 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Fatma Aydemir | |
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