# taz.de -- Türkei nach der Wahl: Heftige Grabenkämpfe in der AKP | |
> In der Regierungspartei mehren sich die Stimmen, die eine Koalition mit | |
> den Kemalisten fordern. Hinter den Kulissen bremst Erdogan. | |
Bild: Niemand will mit ihm. Und er will eine Neuwahl. | |
Istanbul taz | Der Spitzenkandidat der linken kurdischen HDP, Selahattin | |
Demirtas, hatte noch in der Wahlnacht die AKP aufgefordert, den „Traum vom | |
Einmannregime Erdogan“ aufzugeben und stattdessen in Kooperation mit den | |
anderen Parteien Lösungen für die Probleme des Landes zu suchen. | |
Demirtas blieb mit dieser Forderung nicht allein. Auch der mächtige | |
Unternehmerverband Tüsid appellierte in einer Stellungnahme an die | |
Noch-Regierungspartei AKP, die Konfrontation und Polarisierung der letzten | |
Jahre nun zu überwinden und möglichst schnell wieder für stabile, | |
friedliche Verhältnisse zu sorgen. | |
In- und ausländische Unternehmen befürchten nach den Wahlen eine längere | |
Phase der Instabilität. Die türkische Börse hatte am Montag mit massiven | |
Verlusten von zunächst 8 Prozent reagiert, die später auf 5 Prozent | |
zurückgingen. Auch die türkische Lira, die in diesem Jahr schon massiv an | |
Wert verloren hat, gab erneut nach. Türken mussten am Dienstag 5 Prozent | |
mehr pro Dollar zahlen. | |
Der türkische Unternehmerverband hofft auf eine große Koalition zwischen | |
der AKP und der sozialdemokratisch-kemalistischen CHP. Eine Große Koalition | |
wie in Deutschland sei die beste Möglichkeit, um die beiden verfeindeten | |
Lager in der Gesellschaft wieder zu versöhnen. Außerdem könnte eine Große | |
Koalition am ehesten eine friedliche Lösung mit den Kurden finden. | |
CHP-Chef Kemal Kilicdaroglu ist einer solchen Variante gegenüber nicht | |
abgeneigt, macht aber zur Bedingung, dass Erdogan sich aus der Politik | |
zukünftig heraushält. Murat Yetkin, einer der am besten informierten | |
Journalisten in Ankara mit guten Kontakten zur CHP, schrieb am Dienstag, | |
die Partei würde eine öffentliche Erklärung Erdogans, mit der er seinen | |
Verzicht auf jede Einflussnahme auf die zukünftige Regierung deutlich | |
macht, zur Vorbedingung einer Koalition machen. | |
## „Eine bittere Niederlage“ | |
Doch seit Sonntagmorgen erlebt die Türkei das erste Mal seit Jahren einen | |
schweigenden Erdogan. Bis auf eine dürre schriftliche Erklärung, in der er | |
alle Parteien zu verantwortlichem Handeln aufrief, kam kein Statement von | |
dem Mann, der sonst zu allem etwas zu sagen hatte. Ein Treffen von Erdogan | |
mit Ministerpräsident Ahmet Davutoglu, das für Montagabend geplant war, | |
wurde auf Dienstagabend verschoben. Auch aus einer Kabinettssitzung am | |
Dienstagmittag drang nichts nach außen. | |
Dafür reden in der AKP jetzt die, die in der Vergangenheit von Erdogan | |
besonders gedemütigt und getäuscht wurden. Zuerst meldete sich der von | |
Erdogan aus der Politik herausgedrängte Expräsident Abdullah Gül und | |
forderte eine schnelle Koalitionsbildung. | |
Numan Kurtulus, einer von vielen stellvertretenden Parteichefs, der von | |
Erdogan schon letztes Jahr ins Abseits gestellt wurde, will nun ebenfalls | |
eine schnelle Koalition. Und Bülent Arinc, der von Erdogan schwer | |
enttäuscht ist, sprach als einziges hohes Regierungsmitglied von „einer | |
bitteren Niederlage“, aus der die Partei nun Konsequenzen ziehen müsse. | |
Allen gemeinsam ist, dass sie keine Neuwahlen wollen und damit indirekt | |
fordern, Erdogan müsse akzeptieren, dass die Bevölkerung sein | |
Präsidialsystem ablehnt. Doch noch glaubt niemand, dass Tayyip Erdogan so | |
schnell aufgeben wird. Da aber alle drei Oppositionsparteien einen Rückzug | |
auf die repräsentative Rolle des Präsidenten zur Vorbedingung für jedwede | |
Zusammenarbeit mit der AKP machen, drängt Erdogan hinter den Kulissen | |
weiter auf Neuwahlen. Der Konflikt innerhalb der AKP ist nach Meinung | |
vieler Beobachter so tief, dass eine Spaltung nicht ausgeschlossen ist. | |
9 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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