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# taz.de -- Regierungsbildung in der Türkei: Koalition unwahrscheinlich
> In Ankara ist das neue Parlament zusammengetreten. Doch einer
> mehrheitsfähigen Koalition stehen ideologische Unterschiede im Weg.
Bild: Vereidigungszeremonie in Ankara: Nach dieser Wahl gehören mehr Frauen de…
ISTANBUL taz | Über zehn Stunden dauerte am Dienstag die konstituierende
Sitzung des neuen türkischen Parlaments, dann waren alle 550 Abgeordneten
einzeln vereidigt. Obwohl das Verfahren reine Routine ist, sorgte eine
Personalie für Aufsehen. Mit der 27-jährigen Dilek Öcalan zog für die
kurdisch-linke HDP eine Nichte des inhaftierten [1][PKK-Chefs Abdullah
Öcalan] ins Parlament.
Nicht nur wegen Dilek Öcalan, sondern auch mit weiteren, bislang eher
ungewöhnlichen VertreterInnen, sorgte die HDP dafür, dass die neue
Volksvertretung bunter ist. 36 der 80 HDP-Abgeordneten sind Frauen.
Darunter ist eine Jesidin, die Deutsch-Türkin Feleknas Uca, die zuvor für
die Linke im Europaparlament war. Ein weiterer Jeside, ein Armenier und
mehrere Aleviten finden sich ebenfalls unter den HDP-Abgeordneten.
Da auch die sozialdemokratisch-kemalistische CHP mehr Kandiatinnen
nominiert hatte als früher, sitzen jetzt knapp 20 Prozent Frauen im
Parlament – der bisherige Höchststand.
Allerdings stellt sich die Frage, wie lange das neue Parlament Bestand
haben wird. Wenn am Sonntag voraussichtlich ein neuer Parlamentspräsident
gewählt ist, will Präsident Recep Tayyip Erdogan dem Vorsitzenden der AKP,
Ahmet Davutoglu, dem Chef der größten Fraktion offiziell den Auftrag zur
Regierungsbildung erteilen. Dann beginnt die Frist von 45 Tagen, innerhalb
der ein Kabinett gebildet werden muss. Schaffen die Parteien dies nicht,
kann der Präsident Neuwahlen anordnen.
## Koalition um keinen Preis
Nach mehr als 13 Jahren, in denen die AKP alleine die Regierung stellte,
fällt es der Partei extrem schwer, sich eine Koalitionsregierung
vorzustellen. Das trifft auch auf die anderen Parteien zu. Die rechnerische
Möglichkeit, eine Regierung ohne die AKP zu bilden, werden die drei
Oppositionsparteien wohl nicht nutzen können.
Das liegt vor allem daran, dass die ultranationalistische, rechte MHP eine
Zusammenarbeit mit der HDP kategorisch ausschließt. Parteichef Devlet
Bahçeli mochte eine solche Regierung noch nicht einmal in Erwägung ziehen,
als der Chef der wesentlich größeren CHP, Kemal Kilicdaroglu, ihm anbot, er
könne das Amt des Ministerpräsidenten übernehmen.
Damit bleibt nur eine Koalitionsregierung unter Führung der AKP. Da die HDP
eine solche Koalition ausgeschlossen hat, bleiben nur zwei Optionen: eine
große Koalition zwischen AKP und CHP oder eine rechts-islamische Koalition
aus AKP und MHP. Die Wirtschaft drängt auf eine große Koalition, weil sie
sich davon am ehesten stabile Verhältnisse und eine gesellschaftliche
Aussöhnung verspricht.
Doch die Gräben zwischen AKP und CHP sind tief, das Misstrauen zwischen
Islamisten und Säkularen ist kaum überbrückbar. Von der Sozialpolitik über
die Meinungsfreiheit, eine unabhängige Justiz und die Verfolgung der seit
Ende 2013 anhängigen Korruptionsvorwürfe gegen Exminister und AKP-nahe
Geschäftsleute ist fast alles zwischen beiden Parteien strittig.
Hinzu kommt, dass CHP und MHP als Voraussetzung für Koalitionsverhandlungen
fordern, dass Erdogan sich zukünftig auf seine repräsentative Rolle als
Präsident beschränkt. Doch Erdogan denkt gar nicht daran. Als MHP-Chef
Bahceli kürzlich forderte, auch der [2][Sohn des Präsidenten, Bilal], müsse
in die Korruptionsverfahren einbezogen werden, sagte Erdogan, es sei wohl
besser, [3][wenn die Nation entscheide], wie es weiter geht. Der Präsident
setzt auf Neuwahlen Ende des Jahres in der Hoffnung, dass die Wähler ihm
die absolute Mehrheit zurückgeben.
23 Jun 2015
## LINKS
[1] /!5072372/
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[3] /!5205776/
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
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