| # taz.de -- Die Wahrheit: Führen wie eine Flunder | |
| > Neue Managementtheorien erobern die Coaching-Zone. Besuch eines Seminars | |
| > für Unternehmenslenker in der schönen, neuen Arbeitswelt. | |
| Bild: Im Seminar lernt der Chef, seine Beißhemmung zu verlieren. | |
| „Ihre Angestellten sind flauschige knuddelweiche Kaninchenbabys, und Sie, | |
| meine verehrten Herren, Sie sind die vor Hunger sabbernden Füchse! Mit | |
| Tollwut!“ Die letzten Worte brüllt Klaus Wallmeier, sodass ihm | |
| Speichelfäden aus dem Mundwinkel fliegen. Dieser kleine rhetorische Kniff | |
| verfehlt nicht seine Wirkung. Wallmeier schaut zufrieden in die Runde der | |
| Topmanager. Zaghaft nicken erste Köpfe. Ein graumelierter Mann in Anzug | |
| murmelt: „Jawoll.“ Wallmeier weiß, ab sofort werden sie wie gebannt an | |
| seinen Lippen hängen. | |
| Klaus Wallmeier arbeitete ursprünglich in einem Imbiss, musste aber wegen | |
| seiner Fettunverträglichkeit den Beruf wechseln. Seit drei Monaten | |
| veranstaltet er nun Coaching-Seminare für Manager, und das mit großem | |
| Erfolg. Seine ungewöhnliche Mischung aus Sozialdarwinismus und Tierromantik | |
| kommt an in der Welt der Unternehmenslenker. | |
| Tatsächlich leiden viele Manager unter den Ansprüchen ihrer Mitarbeiter, | |
| die nach Jahren der stillen Ausbeutung auf einmal flache Hierarchien und | |
| einen sozialen Führungsstil fordern. Das Zeitalter des uneingeschränkt | |
| herrschenden Firmenpatriarchen scheint seinem Ende zuzugehen. Wallmeiers | |
| Seminare beginnen deshalb mit einer offenen Gesprächsrunde, in der die | |
| Kursteilnehmer ihre Sorgen artikulieren dürfen. | |
| ## Kein netter Chef | |
| „Ich bin hier wegen meiner Beißhemmungen“, gibt Thomas Wagner freigiebig | |
| zu. Der Mittvierziger leitet ein großes IT-Unternehmen und beobachtet seit | |
| geraumer Zeit, wie sich die Führungskultur in den Firmen verändert hat - | |
| zum Schlechten, wie Wagner findet. „Ich will nicht mehr der nette Chef | |
| sein, der immer ein Ohr für die Bedürfnisse seiner Mitarbeiter hat!“ | |
| „Sie können ruhig ein Ohr für Ihren Mitarbeiter haben. Aber nur wenn Sie es | |
| ihm vorher abgebissen haben!“, ruft Wallmeier und klappert mit seinen | |
| Zähnen. „Wenn sich der Typ überhaupt ohne Personenschutz in Ihr Büro wagt, | |
| dann haben Sie was falsch gemacht!“ Wallmeier arbeitet mit lebhaften | |
| Bildern. Das Büro des Chefs müsse wie der Löwenkäfig im Zoo sein. Alle | |
| wollten sich den König der Tiere anschauen, aber herein traue sich keiner | |
| freiwillig. | |
| „Wertschätzung der Mitarbeiter, Empathie, Zuhören, höfliches Miteinander - | |
| der ganze moderne Führungsquatsch funktioniert doch nicht!“ Wallmeier | |
| betont allerdings, er vermittle seinen Kursteilnehmern nicht nur einen | |
| aggressiven Führungsstil. „Täuschen, Tarnen, Torpedieren - das sind die | |
| drei weichen Ts meines Konzepts. Also bis auf Torpedieren.“ | |
| Für die Aspekte „Täuschen und Tarnen“ hat der Selfmade-Coach das innovati… | |
| Flunderprinzip entwickelt. Die Manager sollen es in Rollenspielen | |
| ausprobieren. An einem kleinen Tisch mit zwei winzigen Stühlen simulieren | |
| sie eine Gehaltsverhandlung. „So, Herr Schmidt. Sie wollen also mehr | |
| Gehalt. Wie würden Sie denn Ihre eigene Leistung beurteilen?“, beginnt | |
| Gerhard Neumeyer das Gespräch. Für den Versicherungsfachmann ist das in | |
| seinem mittelständischen Betrieb Routine. | |
| ## Falscher Umgang mit Untergebenen | |
| Wallmeier schlägt sich laut hörbar die flache Hand auf die Stirn. „Falsch! | |
| Ganz falsch! Am fälschesten! Ich habe Ihnen doch gesagt: Führen Sie wie | |
| eine Flunder!“ Gerhard Neumeyer wirkt unsicher. Er scheint das Konzept | |
| nicht verstanden zu haben. Wallmeier erklärt noch einmal, worum es dabei | |
| geht. „Eine Flunder passt sich an. Sie schmiegt sich an den Meeresboden, | |
| damit der Feind, also in diesem Fall Ihr Angestellter, sie nicht erkennt! | |
| Machen Sie sich also gemein!“ | |
| Der nächste Durchgang läuft schon eher zur Zufriedenheit des Coaches ab. | |
| Gerhard Neumeyer jammert seinem Gegenüber etwas von Spielschulden, nicht | |
| abbezahltem Reihenhaus und Ehekrise vor. Zudem werde seine Arbeit vom | |
| Vorstand nicht wertgeschätzt und sein Schäferhund leide unter Arthrose. | |
| „Sehr gut!“, lobt Wallmeier, „Sie zeigen damit: Ich bin einer von euch. | |
| Auch mir gehts dreckig. Bei mir ist nichts zu holen.“ Im Optimalfall gehe | |
| der Angestellte nach dem Gespräch weinend zurück in sein Büro, ohne jemals | |
| wieder das Thema Gehaltserhöhung zu erwähnen. | |
| Der Schlüssel zur erfolgreichen Personalführung sei natürlich immer die | |
| Kommunikation, erläutert Wallmeier. Vor allem dann, wenn sie verhindert | |
| werde. Um das zu vermitteln, scheut der Coach nicht vor ungewöhnlichen | |
| Analogien zurück. „Ein Pandabär nimmt am Tag bis zu 20 Kilo Futter zu sich! | |
| Tun Sie es ihm gleich! Rund um die Uhr, ob im Büro oder im Bett! Wer den | |
| Mund voll hat, kann nicht auf bescheuerte Fragen antworten!“ | |
| Die letzte Lerneinheit des Tages findet an einem reichhaltigem Buffet | |
| statt. Die Manager stehen unschlüssig vor Schokoküssen und Salamibrötchen, | |
| doch Wallmeier lässt auch zu fortgeschrittener Stunde kein Zögern zu: „Sie | |
| sind der Panda! Und Sie haben Hunger! Greifen Sie zu!“ | |
| Wohlwollend beobachtet der Seminarleiter seine Kursteilnehmer, die still | |
| vor sich hin kauen. Klaus Wallmeier hat sich wieder einmal selbst bewiesen, | |
| wie gut sein innovatives Führungskonzept funktioniert. | |
| 2 Jun 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Nico Rau | |
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