# taz.de -- Die Wahrheit: Autobahn in wild | |
> Es gibt neue Pläne für Deutschlands marode Infrastruktur. Autobahnen | |
> sollen renaturiert werden. Bundesverkehrsminister Dobrindt ist | |
> begeistert. | |
Bild: So sieht sie aus: die Zukunft auf der A2 am Kamener Kreuz. | |
Deutschlands Straßen und Brücken sind marode. Dass überhaupt noch | |
tagtäglich Autofahrer unbeschadet am Zielort ankommen, grenzt an ein Wunder | |
biblischen Ausmaßes. „Schatz, wenn du das Auto nimmst, denk dran: nur bis | |
zur nächsten Ausfahrt!“ – diesen Satz hören immer mehr Menschen morgens v… | |
ihren besorgten Partnern. | |
Verkehrsminister Alexander Dobrindt hat sich vorgenommen, diesen Zustand zu | |
beenden. Um das Land der Schlaglöcher endlich wieder fahrbar zu bekommen, | |
muss Geld her. Doch Finanzminister Schäuble hütet den Staatshaushalt wie | |
ein Drache seinen Goldschatz. Wo der Staat nichts leisten will, muss das | |
Private einspringen: Investoren sollen durch öffentlich-private | |
Partnerschaften für den Staat Autobahnabschnitte und Brücken sanieren und | |
20 bis 30 Jahre in Schuss halten. | |
Gregor Berger reibt sich die Hände. Er hat den Zuschlag für den | |
Autobahnabschnitt der A1 zwischen Münster und Köln bekommen. Der | |
Umweltaktivist aus Neuruppin erbte jüngst jede Menge Geld von seiner Tante | |
aus Amerika und hat „fabulöse Pläne“ für die vielbefahrene Strecke. | |
„Entschleunigung ist nicht nur total in, sondern spart auch Bares! Wir | |
werden den Streckenabschnitt zwischen Wuppertal und Köln komplett | |
renaturieren und einen Wander- und Entdeckungspfad für gestresste | |
Berufspendler anlegen.“ | |
## Schnuppern am Rotwild-Kot | |
Ab Wuppertal-Nord heißt es dann: Das Auto stehen lassen, Schuhe und Schlips | |
aus und auf blanker Sohle endlich wieder Mutter Natur spüren. „Menschen, | |
die auf dem Heimweg sonst Stunden im Stau standen, stromern neugierig durch | |
die Wälder, pflücken wilde Himbeeren und schnuppern an frischem | |
Rotwild-Kot“, begeistert sich Berger. Positiv sei auch, dass | |
Berufskraftfahrer endlich genügend Gebüsche zum Urinieren vorfänden. | |
Sind die Berufspendler dann nach wenigen Tagen in Köln angekommen, plant | |
Berger eine Rückfahrtmöglichkeit per Kanu. „Eventuell müssen wir noch den | |
Rhein Richtung Wuppertal umleiten, aber das ist erst einmal nicht so | |
wichtig. In Köln ist es ja auch schön.“ | |
Eine weitere Nachwuchsinvestorin ist die 42-jährige Jutta Riesmann. Die | |
begeisterte Globetrotterin aus dem Raum Hannover hat sich sofort angeboten | |
die A2 zu betreuen, als sie von Dobrindts Plänen erfuhr. Auf ihren | |
Weltreisen hat sie nach eigener Aussage „kaum etwas gelernt“, dennoch ist | |
sie sich sicher: Fachliche Unkenntnis ist der Grund für den maroden Zustand | |
deutscher Straßen. | |
„Asphalt ist Quatsch. Es ist doch logisch: Wenn sie ein starres Material | |
nehmen, auf das jeden Tag tausende Tonnen einwirken, dann bricht das | |
irgendwann. Sand ist das Fahrbahnmaterial der Zukunft. Ich war in der | |
Wüste! Millionen Kamele können nicht irren. Sand ist flexibel und passt | |
sich an jedes Kamel an.“ | |
Riesmann will die gesamte Asphaltdecke auf der A2 durch feinsten Wüstensand | |
aus Libyen ersetzen lassen und damit auch die Debatte um ein Tempolimit neu | |
befruchten. „Wer einmal auf einem Kamel geritten ist, weiß: Tempo 20 | |
entspannt Geist und Seele!“ Überhaupt sollten mehr Kamele auf deutschen | |
Autobahnen fahren, findet Riesmann und lobt die aerodynamischen | |
Eigenschaften von Kamelhaar. | |
Minister Dobrindt zeigte sich bei der Präsentation von Riesmanns Idee | |
zuerst skeptisch und verwies auf seine Kamelhaar-Allergie. Allerdings gab | |
er unumwunden zu, er sei froh über jeden „der mir ein paar Kilometer von | |
diesen maroden Dauerbaustellen vom Hals schafft!“ Zudem ließen sich die | |
Kamele in die Maut integrieren. Das käme dem Infrastrukturtopf zugute und | |
verstoße auch auf keinen Fall gegen Europarecht. Die Kamele kämen | |
schließlich überhaupt nicht aus Europa. | |
## Marode Brücken sprengen | |
Städteplanung war schon immer die Leidenschaft von Herfried Dauch, einem | |
pensionierten Mathematiklehrer aus dem bayerischen Neukirchen. Er hat | |
Dobrindt eine Brückenpatenschaft angeboten, die dieser nicht ablehnen | |
konnte. Dauchs überzeugendstes Argument: Seine Idee für die | |
Brückensanierung kostet keinen einzigen Cent. Im Gegenteil: „Wir sperren | |
die maroden Brücken komplett für jede Art von Verkehr. Es wird nicht | |
saniert, sondern vielmehr gesprengt!“ | |
Mit dieser drastischen Maßnahme will der Lehrer die Binnennachfrage in den | |
klammen Kommunen stärken. Die finanziellen Probleme vieler Städte hätten | |
bekanntlich erst mit dem Bau der Brücken begonnen. „Plötzlich haben | |
billigere Produkte aus den Nachbarstädten die lokalen Märkte überschwemmt | |
und die Preise für die einheimischen Bauern kaputt gemacht!“, redet sich | |
der Rentner in Rage. Korrupte Warlords in den Ratshäusern hätten von | |
Schmiergeldern profitiert und die Lage verschlimmert. | |
Alexander Dobrindt sieht die eingereichten Konzepte als positives Zeichen, | |
dass die Idee der öffentlich-privaten Partnerschaften funktioniere. | |
Deutschland müsse weiterhin mobil bleiben. Ob dafür in Zukunft Kanus oder | |
Kamele zum Einsatz kämen, sei zweitrangig. Hauptsache, man könne sie | |
besteuern, teilt der Verkehrsminister auf Nachfrage mit. | |
5 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Nico Rau | |
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