# taz.de -- Griechische Parlamentspräsidentin: Das linke Gewissen des Chefs | |
> Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou fordert Premier Tsipras heraus. | |
> Sie will die Wahlversprechen von Syriza einlösen. | |
Bild: Nummer 3 im Staat: Zoe Konstantopoulou im Athener Parlament. | |
ATHEN taz | Mit ihrer kraftvollen Statur und ihrer jugendlichen | |
Unbekümmertheit ist diese Frau nicht zu übersehen. Energischen Schrittes | |
betritt Zoe Konstantopoulou den schlichten Veranstaltungsraum des | |
Parlaments, in dem über ein zentrales Wahlversprechen ihrer Partei beraten | |
wird: Nach zweijähriger Zwangspause wegen leerer Kassen soll [1][der | |
Staatsrundfunk ERT wiedereröffnet] werden. | |
Auf Vorschlag des zuständigen Ministers wird der Medienmanager Lampis | |
Tagmatarchis zum geschäftsführenden Direktor gekürt – aber nur, wenn der | |
zuständige Parlamentsausschuss unter Leitung von Konstantopoulou zustimmt. | |
Eine heikle Situation. Ausgerechnet Tagmatarchis hatte schon einmal die | |
gleiche Führungsposition inne und machte sich damals nicht nur Freunde bei | |
den ERT-Kollegen. Womit sich die Frage stellt, ob der erhoffte Neuanfang | |
des Staatssenders nach endloser Vetternwirtschaft so aussehen soll. | |
Andererseits: Tagmatarchis hat nun mal den Segen des Ministers, eines | |
Vertrauten des Regierungschefs Alexis Tsipras. Und wer mag schon Tsipras | |
offen widersprechen? | |
Konstantopoulou, als Parlamentspräsidentin auf Rang drei der Athener | |
Polithierarchie, kann es. Unumwunden erzählt sie, dass sie mit der | |
umstrittenen Personalie nicht einverstanden sei, und bittet Tagmatarchis zu | |
einem Verhör, das insgesamt zehn Stunden dauert. | |
## Festangestellter Klavierstimmer | |
Oft reden die beiden aneinander vorbei – etwa wenn es um flexible | |
Arbeitsverhältnisse beim Staatsfunk geht: „Wir brauchten mal jemanden, der | |
das Klavier für das ERT-Orchester stimmt, und konnten niemanden finden, da | |
freie Mitarbeit bei uns grundsätzlich verboten war. Das heißt, laut Gesetz | |
hätten wir jemanden für mindestens ein Jahr einstellen sollen, damit unser | |
Klavier endlich gestimmt wird“, moniert Tagmatarchis mit entwaffnendem | |
Lächeln. | |
Für den vermeintlichen Witz hat Konstantopoulou nicht viel übrig: „Wenn Sie | |
schon ein ständiges Orchester bei ERT haben, dann brauchen Sie auch einen | |
festangestellten Klavierstimmer“, erwidert die Juristin sachlich-nüchtern | |
und weigert sich, dem neuen ERT-Chef ihre Stimme zu geben. | |
Gewählt wird er trotzdem, aber: Da sind sie wieder, die „roten Linien“ der | |
regierenden Linkspartei Syriza, die den fulminanten Wahlsieg am 25. Januar | |
überhaupt ermöglichten und deren Einhaltung die streitbare Juristin nach | |
bestem Wissen und Gewissen überwacht: Kein Abbau von Arbeitnehmerrechten, | |
keine Marktliberalisierung, Schluss mit der Austeritätspolitik. | |
Mit der Verteidigung der reinen Lehre gibt sich die 38-Jährige nicht | |
zufrieden. Allzu gern schaltet sie auch auf Angriff um. Ihr bevorzugtes | |
Angriffsmittel ist der parlamentarische Ausschuss. Auf ihre Initiative hin | |
laufen derzeit zahlreiche Ausschussverfahren mit offenem Ausgang: Eine | |
Kommission soll überprüfen, welcher Teil der griechischen Staatsschulden | |
„illegal“ oder „illegitim“ ist und aus diesem Grund auch nicht | |
zurückgezahlt wird. | |
Ein Untersuchungsausschuss ermittelt gegen „für das Memorandum der | |
Sparpolitik Verantwortliche“ und soll angeblich auch frühere Finanzminister | |
und ausländische Politiker als Zeugen laden. Ein weiterer Ausschuss kümmert | |
sich um „offene Reparationsforderungen“ aus dem Zweiten Weltkrieg. Nicht | |
zuletzt Korruptionsvorwürfe an den Siemens-Konzern werden im Parlament neu | |
aufgerollt, ein außergerichtlicher Vergleich zwischen Siemens und dem | |
griechischen Staat aus dem Jahr 2012 steht somit anscheinend auf der Kippe. | |
## Mächtige Familienclans | |
Mit diesen Themen und mit harter Oppositionsarbeit hat die Linkspartei | |
Syriza bei den krisengeplagten Griechen in den vergangenen Jahren fleißig | |
gepunktet. Konstantopoulou will weiter punkten. Nicht zuletzt dank | |
Familientradition: Sie ist Tochter des renommierten Strafverteidigers Nikos | |
Konstantopoulos, der sich im Widerstand gegen die griechische Militärjunta | |
(1967 bis 1974) engagierte und elf Jahre lang die linksreformistische | |
Gruppierung Synaspismos, eine Vorgängerpartei von Syriza, geleitet hat. | |
Derartige Empfehlungen sind wichtig in einem Land, dessen Politik | |
traditionell durch mächtige Familienclans bestimmt wird. | |
Legendär ist der Kommentar des Vaters nach einer Zitterwahl in den | |
neunziger Jahren: Die Leute mögen uns, aber sie stimmen leider nicht für | |
uns. Damals hatte seine Partei den Einzug ins Parlament gerade noch so | |
geschafft, obwohl Konstantopoulos bei allen Umfragen hohe Sympathiewerte | |
erzielt hatte. Die Tochter will es anscheinend genau umgekehrt machen, | |
Wahlsiege sind ihr wichtiger als Sympathiebekundungen. | |
Allerdings: Das populärste Wahlversprechen der Linkspartei, sie werde das | |
verhasste Memorandum der Sparpolitik per Gesetz und im Schnellverfahren | |
abschaffen, sei natürlich „nur ein Wortspiel“ gewesen und nicht so einfach | |
in die Realität umzusetzen, gab sie kürzlich zu. Ob dieser Spruch auch eine | |
Argumentationshilfe für Linkspremier Tsipras liefert, der gerade | |
verzweifelt versucht, die Schlinge der Gläubiger vom Hals zu nehmen? | |
Gesucht wird anscheinend eine Kompromisslösung, mit der Tsipras einen | |
Rückzieher von sämtlichen Wahlversprechen machen kann, ohne vor seinen | |
Wählern das Gesicht zu verlieren. Finanzminister Gianis Varoufakis mahnte | |
jüngst, die Kreditgeber Griechenlands sollten gefälligst ein Viertel des | |
Weges zurücklegen, damit ein Kompromiss zustande kommt. Dem Vernehmen nach | |
liegen die Standpunkte bei sämtlichen Verhandlungspunkten allerdings weit | |
auseinander, insbesondere was Renten-, Arbeitsmarkt- und | |
Mehrwertsteuerreform angeht. | |
## Im Parlament durchboxen | |
Als Stichtag gilt der 5. Juni. An diesem Tag soll Griechenland eine weitere | |
Kredittranche in Höhe von 300 Millionen Euro an den Internationalen | |
Währungsfonds (IWF) zurückzahlen; bis dahin soll auch eine Vereinbarung mit | |
den Geldgebern unter Dach und Fach sein. Sollte es zu einer Einigung | |
kommen, dann müsste der Linkspremier die Vereinbarung mit den Geldgebern im | |
Parlament durchboxen. | |
Dann schlägt die große Stunde der Zoe Konstantopoulou: Setzt sich die | |
Parlamentspräsidentin für eine Verständigung mit den Geldgebern ein? Das | |
würde der Linkspartei auch Planungssicherheit geben und Zeit, ihr | |
Wahlprogramm – oder was auch immer davon übrig bleiben wird – in den | |
nächsten vier Jahren ohne Grexit-Drohgebärden umzusetzen. Oder pocht sie | |
weiterhin auf die reine Lehre und will alles sofort ändern? | |
Derzeit spricht einiges für die zweite Variante. „Dieses Parlament wird | |
keine rezessionsfördernden Sparmaßnahmen verabschieden“, erklärte | |
Konstantopoulou neulich – ohne allerdings zu erläutern, welche Sparauflagen | |
möglicherweise als „nicht rezessionsfördernd“ qualifiziert würden. | |
Ministerpräsident Tsipras hat kürzlich eine Probe aufs Exempel erlebt: Im | |
Zentralkomitee seiner Partei wurde über den Antrag des mächtigen | |
Syriza-Linksflügels abgestimmt, einen Zahlungsstopp für griechische | |
Schulden beim IWF durchzusetzen. 95 ZK-Mitglieder stimmten gegen den | |
Zahlungsstopp, 75 dafür, weitere 30 waren gerade abwesend oder verhindert. | |
Ein lockerer Abstimmungserfolg sieht anders aus. | |
30 May 2015 | |
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## AUTOREN | |
Jannis Papadimitriou | |
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