# taz.de -- Jannis Varoufakis in Berlin: Weniger Hybris tut‘s auch | |
> Der griechische Finanzminister wirbt mal wieder für seine Position. | |
> Jenseits der offiziellen Politik bilden sich bemerkenswerte Allianzen. | |
Bild: Gute Laune in Berlin: Jannis Varoufakis. | |
BERLIN taz | Die Veranstaltung mit dem griechischen Finanzminister Jannis | |
Varoufakis ist fast vorbei – da steht Klaus-Peter Willsch auf. Der Hesse | |
sitzt für die CDU im Bundestag und ist ein robuster Hinterbänkler, der | |
schon 2010 gegen das erste Hilfspaket für Griechenland gestimmt hat. „Sie | |
haben Wahlkampf gegen Merkel, gegen Schäuble, gegen Brüssel gemacht“, | |
startet er seinen Frontalangriff. „Wie soll ich meinen Wählern erklären, | |
dass sie Ihre Schulden übernehmen?“ | |
Varoufakis bleibt ganz freundlich. „Sie müssen Ihren Wählern sagen, dass | |
wir Griechen unsere Schulden nur zurückzahlen können, wenn unsere | |
Wirtschaft wächst.“ Lächelnd versichert er dem CDU-Mann: „Wir sind | |
Bündnispartner.“ Da Willsch etwas unwillig guckt, setzt Varoufakis mit | |
einem Ratschlag nach: „Vergessen Sie einfach, dass ich der angeblich | |
verrückte Linke bin.“ | |
Varoufakis ist am Montag nach Berlin gekommen, um erneut für die | |
griechische Position zu werben. Das Land ist Ende Juni pleite, wenn es | |
keine neuen Kredite erhält, um alte Schulden zu bezahlen. Tagsüber hatte | |
Varoufakis mit Finanzminister Wolfgang Schäuble gesprochen; abends war er | |
von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung eingeladen, einen Vortrag | |
im Französischen Dom am Gendarmenmarkt zu halten. | |
Griechenlands Verhandlungen mit seinen Gläubigern müssen spätestens nächste | |
Woche abgeschlossen sein, wenn das Rettungspaket noch rechtzeitig durch die | |
Parlamente der Euroländer geschleust werden soll. Doch momentan stockt der | |
Dialog. Das Kernproblem sind „drei Variablen in drei Gleichungen“, wie es | |
Varoufakis ausdrückte, dem man den einstigen Wirtschaftsmathematiker | |
anmerkte. | |
## Alle ärmer, auch die Gläubiger | |
Es geht um geschätzte Wachstumsraten, prognostizierte Steuereinnahmen und | |
den sogenannten „Primärüberschuss“. Damit ist das Plus im Staatshaushalt | |
gemeint, wenn man den Schuldendienst ausklammert. In der Summe verlangt die | |
Troika von Athen, dass es noch einmal etwa fünf Milliarden Euro einspart. | |
Varoufakis findet das grotesk: Die Kürzungen würden „den Privatsektor | |
abwürgen, so dass er gar keinen Primärüberschuss erwirtschaften kann.“ Am | |
Ende seien alle ärmer, auch die Gläubiger. | |
Varoufakis will daher die Logik umdrehen und die Schulden erst bedienen, | |
wenn die griechische Wirtschaft wieder wächst. Dieser Vorschlag ist | |
keineswegs revolutionär, sondern wird auch von deutschen Ökonomen | |
vertreten, die entsetzt wären, wenn man sie zu den Linken zählen würde. | |
Jenseits der offiziellen Politik formieren sich bemerkenswerte Allianzen, | |
wie auch der Abend im Französischen Dom zeigte. So war Michael Hüther vom | |
arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft eigentlich eingeladen, | |
damit auch die Kritiker vertreten sind. Doch Hüther hatte kaum Kritik an | |
Varoufakis. Stattdessen schlug er gleich einen „30-Jahres-Plan“ für | |
Griechenland vor – und forderte zudem eine europäische | |
Verteidigungsgemeinschaft, die aus europäischen Steuern finanziert wird. | |
„Das stabilisiert dann auch die Krisenländer“. | |
## Unabhängige Steuerbehörde von Deutschen geleitet? | |
Hüther führte diesen Plan nicht näher aus, aber das Vorbild wäre die USA, | |
wo die Armee dazu beiträgt, dass arme Bundesstaaten wie Missouri oder | |
Alabama regelmäßige Einkünfte erzielen. | |
Auf dem Podium bildete sich eine Art Allparteien-Koalition. Es war Konsens, | |
dass es Wahnsinn ist, ständig vom „Grexit“ zu reden, weil dann niemand mehr | |
in Griechenland investiert und die Wirtschaft kollabiert. Genauso waren | |
sich alle einig, dass sich Griechenland reformieren muss. Nur halb im | |
Scherz bot Varoufakis an, eine unabhängige Steuerbehörde zu gründen, die | |
„Deutsche bemannen und sogar leiten können“. | |
Überhaupt die Deutschen. Der grüne Finanzexperte Gerhard Schick kritisierte | |
die Arroganz der Bundesbürger: Von anderen würden sie zwar gern Reformen | |
einfordern, selbst aber keinerlei Veränderungen zustande bringen. Noch | |
nicht einmal die Mehrwertsteuer würde angegangen, „die jeder Logik | |
widerspricht“. Schick wurde geradezu streng: „Ein bisschen weniger Hybris | |
in Deutschland fände ich nicht schlecht.“ | |
9 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Herrmann | |
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