# taz.de -- Polizeigewalt: Mit der Waffe am Kopf | |
> Ein Bundespolizist aus Hannover soll nicht nur Flüchtlinge misshandelt | |
> und schikaniert, sondern auch Kollegen mit einer Waffe bedroht und | |
> drangsaliert haben. | |
Bild: Protest: Vor dem Gebäude, in dem ein Bundespolizist einen Flüchtling mi… | |
HAMBURG taz | Seit Ende der vergangenen Woche ermittelt die | |
Staatsanwaltschaft Hannover gegen einen Polizeiobermeister der | |
Bundespolizei in Hannover wegen Körperverletzung und illegalen | |
Waffenbesitzes. Der 39-Jährige soll in einer Arrestzelle im Hauptbahnhof | |
der niedersächsischen Landeshauptstadt mindestens zwei Flüchtlinge | |
misshandelt und gedemütigt sowie eine nicht registrierte Pistole besessen | |
haben. Am gestrigen Dienstag wurden neue Vorwürfe gegen den Beamten | |
bekannt. | |
Nach Recherchen des Norddeutschen Rundfunks, der am Wochenende auch als | |
erstes Medium über die mutmaßlichen Quälereien der beiden 19-jährigen | |
Ausländer berichtet hatte, zog der Polizist an einem Tag im August 2013 im | |
Aufenthaltsraum der Wache seine Dienstwaffe und hielt sie einem Kollegen an | |
die Schläfe. Gleichzeitig habe er ihn zu sexuellen Handlungen aufgefordert. | |
Insgesamt fünf Beamte hätten diesen Vorgang miterlebt, so der Sender unter | |
Berufung auf einen namentlich nicht genannten Insider. Die | |
Staatsanwaltschaft hat nach den Worten von Sprecher Thomas Klinge Kenntnis | |
von der Sache. „Der Vorwurf ist ebenfalls Teil der Anzeige, jedoch steht er | |
bei unseren Ermittlungen zunächst nicht im Fokus“, erklärte er gestern. | |
Ein weiterer Zeuge, der nach NDR-Angaben ebenfalls anonym bleiben wollte, | |
habe geschildert, dass ein entsprechend lockerer Umgang mit den | |
Waffenvorschriften über einen längeren Zeitraum in der Dienststelle an der | |
Tagesordnung war. Mehrmals sei auch auf ihn eine Pistole gerichtet worden. | |
Wörtlich sagte der Zeuge demnach: „Das waren Vorfälle wie: Jemandem eine | |
Waffe an den Kopf halten. Die Waffe einfach auf Beamte richten. Oder | |
Vorfälle wie: Die Waffe einfach aus dem Holster zu nehmen und | |
reinzupusten.“ | |
Wenn die als eine Whats-App-Nachricht verschickten Prahlereien des | |
beschuldigten Polizisten über die Misshandlungen der beiden Flüchtlinge | |
stimmen, dann gab es bereits bei diesen Taten mindestens drei Mitwisser: | |
Den Kollegen, der die Handy-Nachrichten erhielt. Den Beamten, dessen | |
Stiefelspitzen auf einem ebenfalls über das Telefon gesendeten Foto zu | |
sehen sind. Und einen Vorgesetzten, der die Schreie eines der Schikanierten | |
aus der Zelle hörte. | |
Bei der Bedrohung des Kollegen mit der Pistole sollen sogar fünf Polizisten | |
zugegen gewesen sein. Eine Frage ist, warum alle diese Beamten geschwiegen | |
und das schändliche Verhalten so lange gedeckt haben. Thomas Bliesener vom | |
Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen vermutet, dass den | |
fraglichen Beamten ein Unrechtsbewusstsein fehle: „Der Täter wähnt sich im | |
Konsens mit Gesinnungsgenossen“, sagt Bliesener. | |
Und wenn schon nicht Konsens, dann aber doch Korpsgeist. Eine | |
Grundeinstellung also, die besagt, dass man Kameraden nicht belastet und | |
schon gar nicht der Justiz ans Messer liefert. Der Soziologe Rafael Behr | |
von der Polizeiakademie Hamburg sagte der Hannoverschen Allgemeinen | |
Zeitung: „Die Gruppe trägt die Misshandlungen mit, weil jeder weiß, wenn | |
ich die Sache ins Rollen bringe, bin ich das Kameradenschwein.“ Die Angst | |
vor dem Verlust des Status in der Gruppe sei sehr groß, „da ist es | |
einfacher zu schweigen und nichts gesehen zu haben“. | |
Im NDR-Interview präzisierte Behr, er betrachte „solche Polizeigruppen | |
häufig als Gefahrengemeinschaften, in denen auch eine gegenseitige | |
Abhängigkeit besteht, weil jedem im Laufe seiner Dienstzeit einmal etwas | |
passiert, bei dem er auf die Diskretion der Kollegen angewiesen ist“. Das | |
könnten Kleinigkeiten sein. „Aber alle Polizisten wissen etwas von | |
einander, was nicht an die Öffentlichkeit dringen soll – und das macht die | |
Sache so schwierig.“ | |
Eine andere Frage lautet: Ist Hannover ein Einzelfall, ist der rassistische | |
und waffenvernarrte Polizist ein Einzeltäter? „Es hat immer wieder Gerüchte | |
über Misshandlungen bei der Bundespolizei gegeben“, sagt Kai Weber vom | |
Niedersächsischen Flüchtlingsrat. Gerüchte, aber meistens keine Beweise. | |
Der gestern in Internetforen erhobene Vorwurf, Polizeigewalt gegen | |
Flüchtlinge sei in Deutschland an der Tagesordnung, lässt sich so kaum | |
halten. | |
Organisationen wie das Deutsche Institut für Menschenrechte bemängeln aber | |
verbreiteten institutionellen Rassismus, etwa das sogenannte „racial | |
profiling“. Es besagt, dass Polizisten Personen häufig aufgrund ihres | |
physischen Erscheinungsbildes, also etwa der Hautfarbe oder der | |
Gesichtszüge, kontrollieren oder überwachen. | |
20 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Reimar Paul | |
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