# taz.de -- Krankem Flüchtlingskind nicht geholfen: Freispruch für Mitarbeiter | |
> Mitarbeiter einer Flüchtlingsunterkunft riefen keinen Notarzt für ein | |
> krankes Flüchtlingskind. Das Landgericht Nürnberg spricht sie trotzdem | |
> frei. | |
Bild: Warten vor dem Gerichtssaal: Leonardo und seine Eltern. | |
Nürnberg dpa | Die Familie des heute fast fünf Jahre alten Jungen ist nicht | |
im Landgericht in Nürnberg, als am Mittwoch das Urteil fällt. Die Mutter | |
des Flüchtlingskindes leidet noch immer unter den Ereignissen im Dezember | |
2011. | |
Damals erkrankt ihr Kind in der Flüchtlingseinrichtung im fränkischen | |
Zirndorf an einer lebensgefährlichen Bakterien-Infektion. Der | |
eineinhalbjährige Bub bekommt schwarze Flecken auf Gesicht und Händen. | |
Die Eltern flehen mehrere Mitarbeiter der Einrichtung um Hilfe an; sie | |
wollen, dass ein Notarzt gerufen wird. Stattdessen schicken die Mitarbeiter | |
die Familie nach langem Hin und Her zu Fuß und mit einem schlecht kopierten | |
Stadtplan zu einer fast zwei Kilometer entfernten Kinderärztin. | |
Das Urteil ist vermutlich ein erneuter herber Schlag für die Familie. Denn | |
nach Ansicht des Landgerichts Nürnberg haben sich die Mitarbeiter der | |
Einrichtung sowie ein am Abend gerufener Bereitschaftsarzt nichts | |
zuschulden kommen lassen. Oder zumindest kann man es ihnen mehr als drei | |
Jahre später nicht mehr zweifelsfrei nachweisen. Der Richter spricht die | |
Angeklagten frei. | |
## „Im Nachhinein dramatisiert“ | |
Die Erkenntnisse reichten für eine Verurteilung nicht aus, sagt er. Es habe | |
zu viele Widersprüche gegeben, die auch die Zeugen nicht hätten aufklären | |
können. Auch für den Arzt sei an dem Abend noch nicht erkennbar gewesen, | |
dass die Krankheit des Kindes so schwerwiegend war. | |
Möglicherweise seien auch am nächsten Morgen die Flecken für die Pförtner | |
nicht zu sehen gewesen – zumal der Junge in eine Decke gewickelt war. Die | |
beiden Pförtner „konnten den Jungen bei dieser Kälte auch nicht entkleiden | |
lassen“. Der Richter kommt daher zu dem Schluss, der Vater des kranken | |
Kindes habe die Sache wohl „im Nachhinein dramatisiert“. | |
In erster Instanz waren die Wachmänner noch zu Geldstrafen wegen | |
fahrlässiger Körperverletzung verurteilt worden. Den Arzt hingegen sprach | |
auch das Amtsgericht Fürth frei. Das Verfahren gegen eine weitere | |
Mitarbeiterin der Einrichtung, die zunächst ebenfalls verurteilt worden | |
war, wurde vor dem neuen Prozess abgetrennt. | |
Ein Autofahrer war damals zufällig an der Familie vorbeigekommen und hatte | |
sie in die Arztpraxis gebracht. Die Kinderärztin rief sofort den Notarzt. | |
Es stellte sich heraus, dass der Junge eine Meningokokken-Infektion hatte. | |
Die Bakterien lösten das sogenannte Waterhouse-Friderichsen-Syndrom aus. | |
Dabei gerinnt das Blut – und die Haut oder anderes Gewebe sterben ab. | |
## Künstliches Koma und mehrere Operationen | |
Zuerst bekam das Kind hohes Fieber, dann wurde es apathisch und bekam | |
dunkelblaue Flecken auf der Haut. Es wurde in ein künstliches Koma | |
versetzt, mehrfach operiert und musste mehrere Amputationen und mehr als | |
ein Dutzend Hauttransplantationen über sich ergehen lassen. Der Junge | |
überlebte nur knapp. | |
Ein Gutachter sagte in der Verhandlung, dass diese Erkrankung selbst bei | |
Behandlung in 90 Prozent der Fälle tödlich verläuft. Tückisch sei, dass die | |
Symptome am Anfang sehr unspezifisch seien und die Krankheit daher oft spät | |
erkannt wird. | |
Der Staatsanwalt forderte in seinem Plädoyer erneut Geldstrafen für die | |
Männer: Der Arzt habe nicht sichergestellt, dass das Kind in der Nacht | |
engmaschig überwacht wurde. Zu den Pförtnern sagte der Ankläger: „Sie haben | |
nicht wirklich geschaut, doch das wäre ihre Aufgabe gewesen.“ | |
Der Anwalt der Eltern beklagte gravierende Mängel in der Einrichtung: eine | |
„miserable Organisation, unzureichende medizinische Ausrüstung und nachts | |
keine eindeutigen Zuständigkeiten“. Er habe daher auch fast Mitleid mit den | |
Pförtnern: „Sie sind diejenigen, die hier etwas ausbaden müssen, weil die | |
Organisation so schlecht war.“ Zumindest im Fall des Arztes will er nun | |
eine Revision prüfen. | |
28 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Cathérine Simon | |
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Hannover | |
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