# taz.de -- Was bleibt vom Flüchtlingsprotest?: Der Glaube an den Widerstand | |
> Im Frühling 2014 wurde das Zeltlager auf dem Berliner Oranienplatz | |
> geräumt. Der Kampf der Flüchtlinge aber geht weiter. | |
Bild: Noch immer ein Symbol: Protestcamp am „O-Platz“ in Berlin-Kreuzberg. | |
BERLIN taz | Gescheitert sei die Flüchtlingsbewegung nicht. Darauf legt | |
Komi Edzro wert. Der 36-Jährige sitzt in der langen, schmalen Küche der | |
Initiative Togo Action Plus, die er mitgegründet hat. Eine Organisation für | |
geflüchtete Menschen und – wichtiger noch – von geflüchteten Menschen mit | |
Sitz in Berlin-Friedrichshain. | |
Es gibt ein Büro, dazu zwei Klassenräume, in denen Ehrenamtliche dreimal | |
pro Woche Deutsch unterrichten. An den Wänden hängen gerahmte Bilder von | |
Protestaktionen, Demos, Sit-ins und Mahnwachen. Ein Jahr ist es her, dass | |
das improvisierte Zeltlager der Flüchtlinge am Kreuzberger Oranienplatz, | |
von vielen „O-Platz“ genannt, gewaltsam geräumt wurde. Was ist vom Protest | |
geblieben? | |
Ein Teil der BesetzerInnen kämpfte in der Gerhart-Hauptmann-Schule in der | |
Ohlauer Straße weiter – dafür, dass ihnen das Aufenthaltsrecht gewährt | |
wird, und um die Möglichkeit, ein selbst verwaltetes Flüchtlingszentrum | |
aufzubauen. Inzwischen steht aber auch der besetzten Schule jederzeit die | |
Räumung bevor. Der Kampf der Flüchtlinge um ihre Anerkennung würde damit | |
vollständig aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwinden. | |
Flüchtlingsaktivist Komi sieht das nicht so. „Die Bewegung wurde | |
verkleinert, ja. Aber an sich war der Oranienplatz ein Erfolg. Die | |
Öffentlichkeitsarbeit hat sehr gut funktioniert. Ohne sie wüsste heute kaum | |
jemand von unseren Problemen.“ Die Probleme, das sind für ihn vor allem die | |
Isolation und die fehlende Perspektiven, unter denen Flüchtlinge in | |
Deutschland leiden. Davon kann er aus eigener Erfahrung berichten. | |
## Gegen die Entwürdigung | |
2003 floh Komi vor der Diktatur in Togo nach Deutschland und kam als | |
Asylsuchender in ein Heim in Sachsen-Anhalt. Ein Jahr nach seiner Ankunft | |
nahm sich dort ein Mitbewohner das Leben – aus Verzweiflung. Nach mehreren | |
Jahren im Heim hatte er die Hoffnung verloren. | |
Komi und andere BewohnerInnen gründeten daraufhin die Initiative Togo | |
Action Plus, um sich der entwürdigenden Behandlung, die ihnen durch den | |
staatlichen Asylapparat widerfährt, entgegenzustellen. Es geht ihnen dabei | |
nicht nur um ein „Ja“ oder „Nein“ bezüglich ihres Asylantrags, sondern… | |
darum, wie ihr Aufenthalt in Deutschland gestaltet ist. | |
Asylbewerberin oder Asylbewerber in Deutschland zu sein, bedeutet vor allem | |
eines: warten. Nachdem der Asylantrag gestellt ist, werden die | |
BewerberInnen in eine Unterkunft gebracht; medial bekannt als | |
„Asylbewerberheim“, die Betroffenen sprechen hingegen vom „Lager“. | |
Dieses Lager kann überall sein. Relativ gut erreichbar in Berlin-Spandau | |
oder irgendwo im Nirgendwo von Mitteldeutschland. Für Komi lautet das | |
Urteil damals: Saalekreis, eine strukturschwache Region in Sachsen-Anhalt, | |
mit wenig öffentlichem Nahverkehr, vor allem aber mit wenig Arbeit. Arbeit | |
ist für Geflüchtete jedoch die einzige Aussicht darauf, in ihrer neuen | |
Heimat Anschluss zu finden. | |
## Essen und schlafen | |
Komi und seine MitstreiterInnen beschlossen, sich vor allem für mehr | |
Teilhabe von Asylsuchenden in Deutschland einzusetzen. Dazu gehören für sie | |
Bewegungsfreiheit, Arbeit und die Möglichkeit, sich politisch zu | |
artikulieren. Das erste Hindernis, gegen das die Initiative anging, war | |
deshalb die „Residenzpflicht“. | |
Sie verbot AsylbewerberInnen, ohne Erlaubnis der Ausländerbehörde den ihnen | |
zugewiesenen Landkreis zu verlassen. Bis 2010 mussten sie für eine solche | |
Erlaubnis sogar eine Gebühr von 10 Euro zahlen. „Das Einzige, was man in | |
den Heimen tun darf, ist essen und schlafen, Tag für Tag“, sagt Komi. | |
Die Mitglieder der Initiative wehrten sich – und bekamen Recht. Befeuert | |
von diesem Erfolg setzten sich die AktivistInnen das Ziel, die | |
Residenzpflicht ganz abzuschaffen – mit Erfolg. Seit dem 1. Januar ist die | |
Residenzpflicht aufgehoben. Seitdem dürfen sich AsylbewerberInnen frei in | |
Deutschland bewegen. Zumindest in der Theorie. | |
Tatsächlich bedeutet die neue Gesetzeslage nicht, dass sich Geflüchtete | |
einfach so Arbeit und Wohnungen suchen können. Die „Wohnsitzauflage“ bleibt | |
bestehen: Die besagt, dass AsylbewerberInnen genau an dem Ort wohnen | |
müssen, der ihnen nach ihrem Asylantrag zugewiesen wird. | |
In der Praxis bedeutet das: Wer in einer 100 Kilometer entfernten Großstadt | |
arbeiten möchte, darf das tun, muss sich aber jeden Abend wieder im Heim | |
zurückmelden. „Rechtlich hat sich eine Tür geöffnet und die nächste | |
geschlossen“, sagt Komi. Er weiß aber auch, dass es schwierig ist, | |
diejenigen für das Thema zu interessieren, die sich ganz selbstverständlich | |
frei bewegen können. | |
## Integration unerwünscht | |
Das ist auch politisch kalkuliert: Juristisch spricht man von | |
„Aufenthaltsverfestigung“, wenn ein Asylbewerber oder eine Asylbewerberin | |
schon lange im Land lebt und dadurch die Abschiebung unwahrscheinlich wird, | |
eben weil er oder sie Deutsch spricht und eine Stelle hat. Genau das ist | |
nicht erwünscht, weil es die Abschiebung erschwert. | |
Selbsthilfenetzwerke wie die Initiative Togo Action Plus kämpfen vor allem | |
gegen diesen trägen Widerstand von Politik und Justiz. 2007 zog die | |
Initiative nach Berlin und wurde ein eingetragener Verein. Die GründerInnen | |
verteilen sich über ganz Deutschland und bilden so ein Netzwerk, über das | |
sich Aktive gegenseitig informieren und unterstützen können. | |
Unabhängig davon, ob das Thema Flüchtlinge gerade medial Konjunktur hat, | |
arbeiten Komi Edzro und andere Aktive unermüdlich und kleinteilig an der | |
Verbesserung der Umstände. Das gelingt nicht ohne Ernüchterung. | |
„Wenn man jahrelang, so wie ich, gegen dieses System angeht, lernt man | |
eins: Erst wenn sie tatsächlich etwas für dich tun, darfst du ihnen | |
glauben. Der Fehler der Bewegung am Oranienplatz und in der Ohlauer Straße | |
war, dass die Menschen dem System vertraut haben.“ | |
## Glaube an den Widerstand | |
Er spielt auf das Einigungspapier an, das ein Teil der Protestierenden in | |
der Gerhart-Hauptmann-Schule im Juli 2014 unterzeichnete. Darin wurde ihnen | |
unter anderem die „wohlwollende Prüfung“ ihrer Asylanträge zugesichert. Im | |
Februar wurde schließlich bekannt: Von 576 Anträgen wurden 3 bewilligt. Das | |
wären sie von Rechts wegen ohnehin. | |
Den Glauben an die Politik hat Komi verloren. Aber nicht den Glauben an den | |
Widerstand. Seine Netzwerkarbeit funktioniert gut, es gelingt im kleinen | |
Rahmen, isolierte Personen zu unterstützen und zu politisieren. Schon lange | |
setzt die Initiative Togo Action Plus auf eigene Ressourcen, anstatt sich | |
etwas von der Justiz, der kommunalen Bürokratie oder dem Gesetzgeber zu | |
erhoffen. Das verbindet sie mit anderen Gruppierungen, die zusammen am | |
Oranienplatz ihren Kristallisationspunkt gefunden hatten. | |
Indem geflüchtete Menschen öffentliche Plätze und Wohnraum einnehmen, | |
setzen sie ein Zeichen gegen die Verdrängung in Randbezirke und | |
strukturschwache Regionen. Und gegen die damit einhergehende Verdrängung | |
aus dem gesellschaftlichen Bewusstsein. | |
Diesem Nichtthematisieren haben die O-Platz-BesetzerInnen eine erstaunliche | |
Zeit lang ein greifbares Symbol entgegengehalten. Mit der Räumung ist | |
dieses Symbol zwar verschwunden, jedoch nicht die politische und soziale | |
Arbeit der Flüchtlingsinitiativen, die ungebrochen weiterläuft. Immer mit | |
dem Ziel würdiger Lebensbedingungen für geflüchtete Menschen in | |
Deutschland. | |
17 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Peter Weissenburger | |
## TAGS | |
Berlin | |
Asylpolitik | |
Asylsuchende | |
Flüchtlinge | |
Oranienplatz | |
Andreas Geisel | |
Gerhart-Hauptmann-Schule | |
Ausstellung | |
Menschenrechte | |
NRW | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Flüchtlinge in Berlin: Oranienplatz, letzte Runde | |
Gegen die verbliebenen Flüchtlinge der besetzten Schule wird geklagt. | |
Derweil such der Innensenator nach Bleibeperspektiven. | |
Von Flüchtlingen besetzte Schule in Berlin: Bezirk klagt gegen die Bewohner | |
Friedrichshain-Kreuzberg will die Geflüchteten aus der ehemaligen Schule | |
klagen. Die Verhandlungen seien gescheitert, sagt die | |
Bezirksbürgermeisterin. | |
Ausstellung zu Flüchtlingsprotest: Ein Bild der Bewegung | |
Am Ostbahnhof wird in einer Ausstellung die Geschichte der | |
Flüchtlingsproteste nachgezeichnet – als Teil des Festivals „Die | |
widerspenstige Internationale“ | |
Kommentar EU-Flüchtlingspolitik: Flucht ist ein Menschenrecht | |
Die EU will immer nur die Flucht von Menschen nach Europa verhindern. Sie | |
muss begreifen, dass allein diese Absicht unmenschlich ist. | |
Flüchtlingsmisshandlungen in Burbach: Inzwischen sind es 50 Beschuldigte | |
Nach den Übergriffen in einer Notunterkunft ermittelt die | |
Staatsanwaltschaft gegen immer mehr Menschen – darunter sind auch zwei | |
Bedienstete der Bezirksregierung. |