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# taz.de -- Debatte: Rapper haften für ihre Texte
> Sexistischer und Gewalt verherrlichender Hiphop kann Jugendliche in ihrer
> Entwicklung stören. Deshalb gehört er auf den Index gesetzt.
"Warum wollen Sie eigentlich Hiphop-Musik verbieten?". Fast immer, wenn ich
mit Schulklassen diskutiere, wartet diese Frage auf mich. Ich kann es den
Schülerinnen und Schülern kaum verübeln: Da ich die Medien, die sich die
Mühe gemacht haben, meinen tatsächlichen Standpunkt zu schildern, leider an
einer Hand abzählen kann, ergreife ich gern die Chance, meine Position in
Diskussionen oder Antwortmails zu erläutern. Ich erkläre dann, dass ich
nichts gegen Hiphop-Musik habe und mir nicht in den Sinn käme, diese zu
verbieten. Im Gegenteil: Ich freue mich über den Erfolg des Hiphop in
Deutschland und persönlich ganz besonders über Bands wie die Fantastischen
Vier, Fettes Brot oder Absolute Beginner.
Ich habe allerdings etwas dagegen, wenn pornografische, Gewalt
verherrlichende, frauenfeindliche und rassistische Texte erstens
unwidersprochen hingenommen und zweitens Kindern und Jugendlichen ständig
zugemutet werden. Bei Letzterem erfahre ich selbst von Fans Zustimmung.
"Dass es für kleine Kinder nicht wirklich geeignet ist, die Videos und Raps
im TV zu sehen bzw. zu hören, verstehe ich ja! Aber die Verbote sollten
sich im Rahmen halten", schreibt mir etwa ein weiblicher Hiphop-Fan namens
Ronja. Weiter schreibt sie, dass sie und ihre Freunde zwar mit so etwas
umgehen könnten, aber sie auch glaube, dass nicht jeder diese
Voraussetzungen mitbrächte.
Wissenschaftliche Untersuchungen wie die von Olaf Kessler bestätigen diese
Aussage. Sie zeigen, dass Kinder und Jugendliche, die nicht in einem
sicheren sozialen Umfeld und in einer intakten Familie aufwachsen, ein viel
höheres Aggressionspotenzial haben, wenn sie 15-mal am Tag Textzeilen wie
"Ich fick dich in die Urinblase" hören. Solche Inhalte gehören eindeutig
nicht ins Tagesprogramm von Radio- und Fernsehsendern.
Meine Bitte an die Landesmedienanstalten und Musiksender, ihre Sendelisten
noch besser auf solche Inhalte hin zu überprüfen, stieß auf ein erfreulich
großes Echo. MTV und Viva kündigten beispielsweise an, ein internes
"Jugendschutz-Gremium" bilden zu wollen, das die Videos bewerte. Ich habe
nichts dagegen, wenn jugendgefährdende CDs mit einer Altersfreigabe
verkauft und solche Videos und Songs erst ab einer Zeit in den Medien
gespielt werden, zu der sie keine Kinder und Jugendlichen mehr gefährden
können. Damit muss eine demokratische Gesellschaft, in der das Grundgesetz
die Meinungs- und die Kunstfreiheit sichert, umgehen können. Doch womit
eine demokratische Gesellschaft nicht umgehen kann, das sind die Ignoranz
und das Wegschauen bei Sexismus, Schwulenfeindlichkeit,
Fremdenfeindlichkeit und Gewaltverherrlichung.
So, wie ich mit meinen Kindern Medieninhalte und den Umgang damit
thematisiere und problematisiere, erwarte ich das auch von der
Öffentlichkeit - vor allem aber von Fans, Lehrern, Eltern, Künstlern und
Plattenlabels. Rechtliche Regelungen können vielleicht eine Richtschnur
bieten für das, was in unserer Gesellschaft nicht in die Hände von Kindern
und Jugendlichen gehört. Aber sie ersetzen nicht die kontinuierliche
Debatte darüber.
In seinem sogenannten "Arschficksong" rappt Sido: "Katrin hat geschrien vor
Schmerz, aber mir hat es gefallen", "ihr Arsch hat geblutet, doch ich bin
gekommen". In einem Bravo-Gespräch bekannte er, er würde es seinem eigenen
Sohn nicht erlauben, diesen Titel zu hören. Gleichzeitig bestreitet er,
dass seine Texte Jugendliche in ihrer Entwicklung stören könnten.
Sozialpädagogen wie Werner Meyer-Deters sehen das anders. Im Gespräch mit
jugendlichen Sexualstraftätern fand er heraus, dass 11- bis 15-Jährigen die
Unterscheidung zwischen Song und Realität schwerfalle.
Damit müssen wir uns auseinandersetzen. Ein 13-jähriges Mädchen erzählte
mir, dass sie und ihre Freundinnen in der Schule mit Begriffen wie "Huren",
"Schlampen" und "Scheißnutten" angesprochen würden und nicht wüssten, was
sie dagegen tun sollten, wenn dies in Hiphop-Texten doch als "cool" gälte.
Hier beginnt der Einfluss von sexistischen und frauenfeindlichen Songs zu
wirken. Er kann, wie in Hamburg, in tatsächlicher Gewalt enden, wo zwei
15-Jährige ein 12 und ein 13 Jahre altes Mädchen vergewaltigten. Experten
stellten hier ebenfalls einen Zusammenhang zwischen Gewalt verherrlichender
Musik und sexueller Verrohung her.
Wenn ein Rapper wie Bushido sogar bei Johannes B. Kerner seine fragwürdige
Unterscheidung zwischen "verachtenswerten Schlampen" und "seiner eigenen
Freundin" unwidersprochen vertreten darf, ist zu bezweifeln, dass seine
Fans diese scheinheiligen Differenzierungen nachvollziehen können. Und auch
wenn Fler sagt, er sei kein Nazi, so kaufen diese doch mit Begeisterung
seine Alben.
Ich würde mir wünschen, dass sich Künstler und Labels nicht nur gegenüber
ihren eigenen Kindern, sondern auch gegenüber ihren Fans verantwortlich
fühlen. Viele verstecken sich gerne hinter der Behauptung, dass Gewalt
verherrlichende, pornografische oder rechtsradikale Songtexte nur ihren
Alltag spiegeln würden. Doch, wie es ein Hiphop-Fan namens David in einer
E-Mail ausdrückt: "Das Ghetto ist doch nur in den Köpfen der Leute." Der
Rekurs auf Verhältnisse wie in amerikanischen Großstädten dient lediglich
als Rechtfertigung für einen geborgten Ghetto-Slang. Und Begriffe wie
"primitive Neger", "schwule Zigeuner", "geldgeile Schlampen" oder
"Ostnigger" sind schlicht menschenverachtend, frauenfeindlich und
rechtsradikal - egal wer sie äußert und aus welchem Stadtteil er stammt.
Die Schutzbehauptungen der Künstler werden ohnehin in dem Moment
zweifelhaft, in dem die Provokation nur noch der besseren Vermarktung der
Alben dient. An dieser Stelle müssen noch mehr Menschen aufstehen und
"Nein" sagen. Seit ich das getan habe, muss ich damit leben, dass mich
manche Hiphopper in ihren Kanon von Feindbildern integriert haben.
Beruhigend daran ist wohl nur, dass wir in einem Land zu leben scheinen, in
dem das Zusammenleben so verhältnismäßig sicher und harmonisch abläuft,
dass Politikerinnen, die nur ihre Meinung äußern, aus Not an realen Feinden
zu solchen stilisiert werden.
Die Debatte über Sexismus und Rassismus in der Rap-Kultur, die nun endlich
in Gang gekommen ist, finde ich erfreulich - ebenso wie die zunehmende
Sensibilität, nicht zuletzt in der Szene selbst. So haben sich nicht nur
vereinzelte Rapperinnen bereits gegen die Frauenfeindlichkeit im Hiphop
gewandt. Auch die Initiative "Brothers Keepers", mit der unter anderem
Künstler wie Smudo, Xavier Naidoo oder Afrob ein Zeichen gegen Rassismus im
Hiphop gesetzt haben, meldete sich erst kürzlich in dieser Hinsicht zu
Wort.
Wichtiger als gesetzliche Verbote ist in einer Demokratie die
gesellschaftliche Diskussion über Werte und Normen. Und die liegt auch im
Interesse der Hiphop-Szene, die nicht wegen der Eskapaden einiger
Publizitätsbesessener in eine Schublade gesteckt werden will.
19 Jul 2007
## AUTOREN
Monika Griefahn
## TAGS
Politische Kunst
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