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# taz.de -- Debatte: Mitlabern als Waffe
> Wer sich an bestimmten Auswüchsen des Hiphop stört, verkennt die
> Spielregeln des Genres: Es ist eine Laberkultur, bei der jeder mitmachen
> darf.
Viel zu sagen haben sie sich nicht, die beiden Fraktionen. Da gibt es auf
der einen Seite die Kulturkritiker, die dafür plädieren, den Ball flach zu
halten. Aus Liebe zur Popkultur und der Kenntnis ihrer Spielregeln heraus
können sie die Aufregung nicht recht nachvollziehen, die gegenwärtig die
Veröffentlichungen einiger Rapper begleitet. Und es gibt die
Kulturpolitiker, die den Sexismus ebendieser Rapper und die Verheerungen
beklagen, die diese in den Seelen von Kindern und Jugendlichen anrichten
würden.
Aber wie sollten sie sich auch viel zu sagen haben? Erstere sind Kritiker:
Sie versuchen zu erklären, sie setzen sich mit dem künstlerischen Material
auseinander, argumentieren ergebnisoffen. Letztere sind Politiker: Sie
berufen sich auf betroffene Eltern, ratlose Lehrer und wissenschaftliche
Studien. Und leiten Entscheidungen daraus ab. Verbieten? Nicht verbieten?
Sozialarbeiter hinschicken? Subventionen kürzen? Es ist eine Debatte, die
genauso wenig bringt, wie sie in regelmäßigen Abständen immer wieder
aufkommt. Jetzt geht es um Hiphop. Das nächste Mal sind bestimmt wieder die
Killervideospiele dran.
Diese Debatte ist aber auch deshalb so mühsam, weil selten der Versuch
gemacht wird, sich zu so etwas wie einer politischen Kritik von Hiphop
vorzuarbeiten. Einer Kritik, die sich dabei den Spaß am Vulgären nicht
nehmen lässt - ohne den gäbe es nämlich keine Popkultur. Und die außerdem
ihre Kriterien nicht aus dem Wertekanon eines Mittelstands bezieht, der den
Gedanken nicht ertragen kann, seine Sprösslinge könnten sich mit der Musik
der Schmuddelkinder besser amüsieren als mit der "Zauberflöte" oder den
Beatles.
Wie könnte eine solche politische Kritik des Hiphop aber aussehen? Ein
erster Schritt wäre es, die Kinder aus der Debatte herauszuhalten. Wem
gegen eine Platte nichts Besseres einfällt, als dass er oder sie nicht
möchte, dass Kinder sie hören, der sollte sie seinen Kindern im
Zweifelsfalle wegnehmen. Das ist eine altgediente Erziehungsmethode, seit
vielen Generationen bewährt. Wie viele Eltern haben diese Methode nicht
schon erprobt, als es um französische Romane und Elvis-, Rolling-Stones-
oder Sex-Pistols-Platten in den Händen ihrer Schützlinge ging? Man sollte
sich dieses Vorgehen nicht durch sein liberales Selbstbild vermiesen
lassen.
Ein zweiter Schritt wäre es, aufzuhören, den Rappern ihre "Dummheit"
vorzuhalten. Das ist zum einen ohnehin kein Kriterium, mit dem in der
Popkultur ein Blumentopf zu gewinnen wäre. Ohne die "Dummheit" der Mehrzahl
ihrer Protagonisten gäbe es gar keinen Pop. Zum anderen aber demaskiert
sich darin nur der Klassendünkel von Leuten mit guter Ausbildung, die
Leuten mit schlechter oder keiner Ausbildung den Mund verbieten wollen.
Wie funktioniert Hiphop? Viele Debatten rund um Hiphop sind in den
Neunzigern geführt worden, auch in Deutschland, immer an der amerikanischen
Szene entlangargumentierend - auch weil Hiphop als Modell gehandelt wurde,
wie minoritäres Sprechen aussehen könnte. Das hat auch heute noch seine
Richtigkeit, auch wenn sich die amerikanischen Verhältnisse nur bedingt auf
Europa übertragen lassen - die Konsequenzen der modernen Arbeitsmigration
sind andere als die Folgen der langen Unterdrückungsgeschichte der
Afroamerikaner.
In einem ist Hiphop aber ganz auf der Höhe der Zeit - egal ob nun auf
dieser oder jener Seite des Atlantiks. Es ist eine Musik, die auf die
gesellschaftlichen Veränderungen reagiert, die das Ende der
Arbeitsgesellschaft alten Typs mit sich gebracht hat. Die prototypische
Geste des Rock war die Rebellion. Es war ein einziges musikalisches
Anrennen gegen die verschiedensten Autoritäten und Einschließungsmilieus,
gegen die eigenen Eltern, die Schule, die Arbeit, das Militär. Der
grundlegende Sprechakt im Hiphop ist hingegen ein vollkommen anderer:
Hiphop ist die Musik des postfordistischen Zeitalters. Die Rapper sind
Kinder einer Zeit, in der diese Milieus zerbröseln und große Teile der
Bevölkerung vom Verwertungsprozess ausgeschlossen, ja ökonomisch
überflüssig geworden sind - oder sich zumindest so fühlen. Dieser Situation
begegnen die Protagonisten der Hiphop-Szene durch lautes "ich"-Sagen. Hier
wird nicht gegen den Leistungskanon angerannt. Hiphop handelt vielmehr
davon, Sichtbarkeit herzustellen. Es ist eine Strategie, um gegen das
Gefühl des Überflüssigseins anzugehen. So wie der männliche Rockrebell sich
seinen testosterongetriebenen Spaß von niemandem einschränken lassen will,
ist die Männlichkeit das Feld, in dem viele Protagonisten des Hiphop ihr
Ellbogendrama aufführen.
Tatsächlich ließ sich in dieses Anrennen gegen die Institutionen des Rock
sehr viel einfacher ein politisch emanzipativer Kern hineinlesen, als das
im Hiphop der Fall ist. In die aggressiven Selbstbehauptungsgeschichten des
Rap lässt sich nur sehr selten das Aufscheinen einer befreiten Welt
hineininterpretieren: Im Wesentlichen spiegeln sie das System von
Ausschluss, das sie überhaupt erst hervorgebracht hat, einfach wider. Und:
Sie lassen auch keine Empathie zu. All die Verachtung, die Frauen und
Schwule zu treffen scheint, gilt der ihnen zugeschriebenen Passivität:
"Opfer" ist das Lieblingsschimpfwort im Hiphop. Gegen das Opfersein hilft
nur, das Zum-Täter-Werden.
Was lernen wir aus all dem? Macht dies Sexismus weniger sexistisch,
Homophobie weniger homophob? Selbstverständlich nicht. Die Frage ist nur,
wie man mit diesem Sexismus und dieser Homophobie verfährt. Ob man sich
wohlfeil empört. Oder ob man versucht, Wege zu finden, ihnen tatsächlich
etwas entgegenzusetzen.
Denn das oben skizzierte düstere Bild ist nicht vollständig, wenn man
Hiphop auf das reduziert, was gesagt wird. Genauso wichtig ist, wie es
gesagt wird. Und da öffnet sich ein ganz anderes Feld. Tatsächlich ist
Hiphop eine überaus dialogisch konstruierte Kunstform. Die meisten der
immer wieder empört zitierten Zeilen aus irgendwelchen Rapsongs sind Teil
komplizierter Beleidigungen. Sie sind also Teil eines hochkomplexen
Aussagegeflechts, das sich aus Zeilen anderer Stücke, Interviews, Gerüchten
und übler Nachrede zusammensetzt. Man kann sich den Kosmos des Hiphop ein
bisschen so vorstellen wie die Welt des Wrestlings.
Das Entscheidende ist aber: Dialogisch verfasste Kunstformen laden zur
Teilnahme ein. Die kann man nicht erzwingen, man muss sich an die
Spielregeln halten. Aber Hiphop ist eine Laberkultur, bei der im Prinzip
jeder mitlabern kann. Hiphop hat Platz für alle möglichen Subjektivitäten -
man muss ihn sich nur nehmen. Das Einzige, was gegen Hiphop hilft - das
verhält sich nicht anders als in allen anderen Jugendkulturen - ist anderer
Hiphop. Das ist ein Aneignungsprozess, der zu jedem ernsthaften
Kulturkonsum gehört: die Sprache lernen, verstehen, was gut ist und was
schlecht. Eine Entwicklung, die man keinem abnehmen kann. Einem 13-jährigen
Schulkind so wenig wie einem Kulturpolitiker Mitte dreißig
9 Aug 2007
## AUTOREN
Tobias Rapp
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