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# taz.de -- Ist Pornografie jetzt Pop? (7): Wer sich nicht wehrt, hört verkehrt
> Der politische Druck von Schwulenverbänden hat gezeigt: Es wäre falsch,
> Homophobie als Ausdruck einer "fremden" Musikkultur zu entschuldigen.
Bild: Noch 2009 erklärte Buju Banton, dass es „kein Ende im Krieg zwischen m…
"Lasst die Tunten in der Hölle schmoren!", singen Silbermond bei jedem
ihrer Konzerte als umjubelte Zugabe. Seit Wochen stehen Tokio Hotel mit
"Schieß die Schwuchtel ab!" an der Spitze der deutschen Hitparade. Und
Herbert Grönemeyer feiert bei "Wetten, dass ?" ein rauschendes Comeback mit
einem Remake seines größten Hits: "Männer sind nur Männer, wenn sie keine
Männer küssen." Nein, keine Angst, so weit sind wir in Deutschland noch
nicht. Aber so ähnlich darf man sich die Verhältnisse in Jamaika
vorstellen.
Texte dieser Preisklasse gehören zum Alltag einer Gesellschaft, in der
Schwule und Lesben gefährlich leben, gewalttätige Übergriffe und Lynchmorde
inklusive. Dabei ist doch die Musik so wundervoll! Anders als andere
Nationen mit ausgeprägter Homophobie, von Pakistan bis Polen, hat die
Karibikinsel ja einen beglückenden Einfluss auf die westliche Popmusik
gehabt: Ska, Roots-Reggae und Dancehall. Aus Jamaika kommt die Blaupause
für das, was wir heute Hiphop nennen. Verglichen mit deutschen
"Pornorappern", stehen Dancehall-Künstler wie Beenie Man oder Buju Banton
gut da: Sie haben die bessere Musik und belästigen uns nicht mit ihren
doofen Texten - das Jamaican English versteht hierzulande ja (fast) kein
Mensch.
Mit der Gnade des Nixkapierenmüssens ist es allerdings vorbei, seitdem
schwul-lesbische AktivistInnen publik machen, was die da so singen. "Shoot
dem like birds", singt Elephant Man. "Bun a fire pon a puff and mister
fagoty" (lasst die Schwulen im Feuer brennen), fordert Bounty Killer. Und
Beenieman will "Gays" exekutieren und Lesben aufhängen. All diese Künstler
sind in Jamaika Superstars und auch international erfolgreich.
Die Initiative "Stop Murder Music" kämpft seit Jahren gegen die
Diskriminierung von Homosexuellen im Pop. Im Juli brachten sie Beenie Man,
Sizzla und andere dazu, den sogenannten Reggae Compassion Act zu
unterzeichnen. In diesem Abkommen erklärten die Stars, ab sofort jegliche
Schwulenhetze zu unterlassen. Obs hilft?
Es ist nicht die erste Absichtserklärung dieser Art, und populäre Stars wie
Buju Banton und Bounty Killer haben ihre Unterschrift verweigert. Doch auch
wenn das Papier nur Makulatur bleibt: Ohne die regelmäßigen Interventionen
von schwul-lesbischen Pressuregroups wie OutRage! oder GLAAD (Gay and
Lesbian Alliance Against Defamation) wäre das Wissen um homophobe Texte im
Reggae und Hiphop weniger verbreitet, die Künstler stünden nicht unter
solchem Legitimationsdruck.
OutRage!, GLAAD und andere Gruppen verbuchen es als ihren Erfolg, dass der
US-Rapper Eminem vor sechs Jahren zum Versöhnungskonzert mit Elton John auf
die Bühne trat. Zuvor hatte GLAAD die Grammy-Nominierung des Rapstars wegen
dessen homophober Äußerungen kritisiert. Nach einigem Hin und Her fand
Eminem Worte des Bedauerns, und Elton John erteilte ihm die Absolution. Es
war übrigens das zweite Mal, dass die schwule Queen der Weltsociety als
Friedensstifterin und Beichtvater in Sachen sexual politics tätig wurde.
Eltons erster Klient war Axl Rose. Der war mit seiner Rockband Guns n Roses
in den Achtzigern so populär wie später Eminem, auch mit Texten wie:
"Immigrants and faggots they make no sense to me." Schwule und Einwanderer
würden bloß Krankheiten verbreiten, sang Axl Rose damals. So viel zum
Mythos vom Emanzipatorischen des (weißen) Rock. Dieser Mythos strahlt umso
heller, je mehr Rapper sich schuldig machen, und geistert unausgesprochen
auch durch die aktuelle Debatte.
Wenn Popkritiker zu Recht auf die komplizierten Codes von Hiphop hinweisen
und auf die selbstregulierenden Kräfte des Marktes hoffen - "das Einzige,
was gegen Hiphop hilft, ist anderer Hiphop", so Tobias Rapp -, dann tun sie
das in dem sicheren Wissen, dass andere den dirty job übernehmen werden:
mit dem Finger auf die Übeltäter zeigen, sie der üblichen Ismen und Phobien
überführen (Sex, Homo, Rasse), Prozesse anstrengen, der ganze mühselige
Kram. Wenn die Graswurzelarbeit Früchte getragen hat, wenn genug
Aufmerksamkeit da ist, dann springen Politiker auf den Zug auf - und machen
sich mit ihrer notorischen Popahnungslosigkeit prompt zur leichten Beute
versierter Popkritiker. Porno, Rap, Videospiel: immer dasselbe Spiel mit
dem Pläsier der niederen Stände.
Dabei würde ja schon die Erkenntnis helfen, dass die Sechzigerjahre vorbei
sind. Das Einfordern von Respekt, das Beharren auf Gehörtwerden, auf
Sichtbarkeit war ein Leitmotiv der Emanzipationsbewegungen dieser Ära.
Davon erzählen Songs wie "Respect" (Otis Redding/Aretha Franklin) und James
Browns "Say it loud Im black Im proud", Ralph Ellisons Jahrhundertroman
"Der unsichtbare Mann" oder Martin Luther Kings Behauptung: "Damn right I
am somebody" (Verdammt noch mal, ich bin doch jemand). Im postfordistischen
Alltag ist das verkommen zum hilflosen Selbstermächtigungsmantra des
"überflüssigen" Mannes, der längst rausgefallen ist aus den
Wertschöpfungsketten. Der (über)kompensiert seine gekränkte Männlichkeit
mit hypervirilen Slogans und Posen aus dem Zeichenrepertoire von Hiphop und
Porno. Gekränkte Männlichkeit auf Jamaikanisch heißt diminished masculinity
und gilt als Ursache der Homophobie - als Produkt einer
Gesellschaftsordnung, die vielen Männern aus den unteren Klassen das Gefühl
der Nutzlosigkeit vermittelt. Was Jamaikas "Überflüssigen" bleibt, ist ihr
Körper, ihre Potenz - und das seit "400 Years" (Bob Marley).
Die Kolonialherren haben ihre schwarzen Sklaven angetrieben, möglichst
viele Kinder mit möglichst vielen Frauen zu zeugen, um das Humankapital zu
mehren. Wer keinen Nachwuchs produziert, gilt als Schwächling oder, noch
schlimmer, als schwul. So schlüssig diese Erklärung historisch sein mag, so
fatal ist ihr Transfer in die Gegenwart. Wohlmeinende deutsche Reggaefans
verkaufen Homophobie als "Bestandteil der jamaikanischen Kultur",
kolonialismusgeschädigt forever. Und Kulturen, zumal fremde, verlangen
bekanntlich "Respekt". Wie einst die Religion, das süße Opium, stiftet
heute der "Stolz auf die eigene Kultur" nicht nur den Überflüssigen das
bisschen "Identität", das ihnen über den Verlust akzeptabler
Lebensbedingungen hinweghelfen soll. Im Diskursdickicht um vermaledeite
Kampfbegriffe wie Kultur, Identität und Stolz wird ein schwammiger
Multikulturalismus zum Wegbereiter für reaktionären Ethnopluralismus.
Exemplarisch kommentierte das US-Hiphopmagazin The Source schon vor Jahren
die Debatte um Buju Bantons Schwulenkillerhit "Boom Bye Bye". Eine
Entschuldigung des Sängers "bei der mächtigen Gaylobby" sei "eine
Kapitulation vor der imperialistischen Macht, die dem grimmig-stolzen
jamaikanischen Volk einen unwillkommenen Lebensstil aufzuzwingen versucht".
Da haben wir den Salat: Homophobie ist der neue Antiimperialismus.
15 Aug 2007
## AUTOREN
Klaus Walter
## TAGS
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Reggae
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