# taz.de -- Debatte: Jungsfantasien | |
> Gegen Porno-Rap reichen die Gesetze zum Jugendschutz. Wer sonst über | |
> Geschmacksfragen richten will, der öffnet der Intoleranz Tür und Tor | |
Die Situation ist unübersichtlich. Da hat ein Rapper namens B-Tight ein | |
Album mit dem Titel "Neger, Neger" veröffentlicht. Die Brothers Keepers, | |
ein loser Zusammenschluss afro-deutscher Musiker, findet das rassistisch. | |
Ein anderer Rapper namens G-Hot hat in einem Song Schwulen angedroht, sie | |
zu entmannen. Seit Schwulenverbände dagegen Sturm laufen, verteidigt sich | |
G-Hot damit, sein Song solle bloß eine "böshumorige und satirische | |
Auseinandersetzung mit Vorurteilen gegenüber Homosexuellen" sein und sei | |
nur aus Versehen ins Internet geraten. Die Gräben sind tief. Aber wo sie | |
verlaufen, ist schwer zu sagen. | |
Andererseits: Ist es nicht genau das, was man von Kunst erwartet? | |
Verwirren, Fragen aufwerfen, Debatten provozieren? | |
So gesehen ist der deutsche Rap von B-Tight & Co momentan die wohl | |
wirkmächtigste Kunstform in diesem Land. Was seltsam ist, weil ihn viele | |
nicht einmal für eine echte Kunstform halten. Zugleich verlieren die | |
Gewalt-&-Porno-Rapper immer mehr von ihrer kommerziellen Zugkraft. Die | |
größten Umsatzerfolge, als Sido und Bushido an die Spitze der Charts | |
schossen, liegen schon zwei, drei Jahre zurück. Trotz einer Flut von neuen | |
Künstlern, die sich in immer krasseren Posen gefallen, kann das | |
Umsatzniveau früherer Tage nicht mehr gehalten werden. Es könnte also | |
durchaus sein, dass die aktuelle Debatte in einigen Jahren nur mehr als | |
letztes Zucken eines sterbenden Genres betrachtet wird, das bereits auf dem | |
Müllhaufen der Popgeschichte gelandet ist. | |
Noch aber ist die Aufregung groß. Politiker melden sich zu Wort, Mütter | |
sind besorgt. Aber tun sie das nicht immer? Gäbe es den deutschen Porno-Rap | |
nicht, dann würde jetzt vielleicht über die Welle von Horrorfilmen | |
diskutiert, die aktuell durch die Kinos schwappt. Oder über die Brutalität | |
in Computerspielen. | |
Doch Game- und Kino-Industrie haben Glück. Sie stehen im Moment gerade | |
nicht in der Schusslinie übereifriger Bedenkenträger. Die haben stattdessen | |
den deutschen Hiphop im Visier. Zur Wortführerin aufgeschwungen hat sich | |
die SPD-Politikerin Monika Griefahn. Schon vor zwei Jahren forderte sie ein | |
Sendeverbot für frauenfeindliche und gewaltverherrlichende Rapvideos. | |
Damals setzte sie private Radio- und TV-Sender unter Druck, solche Songs | |
und Videos aus ihrem Programm zu streichen. Andernfalls, so ihre Drohung, | |
könnten die Rundfunkräte ein Sendeverbot für Videos solcher Rapper | |
erwirken. Wie man sieht, hatte sie damit Erfolg: MTV und Viva üben seitdem | |
eifrig Selbstzensur. | |
In der taz (12. 7.) verteidigte Monika Griefahn ihre Position: Sie wolle | |
nicht, dass Kindern und Jugendlichen "pornografische, | |
gewaltverherrlichende, frauenfeindliche und rassistische Texte () ständig | |
zugemutet werden". Das ist ein verständliches und mehrheitsfähiges | |
Anliegen. Aber dafür gibt es längst Gesetze, in diesem Fall das | |
Jugendschutzgesetz. Zuständig für dessen Umsetzung ist die Bundesprüfstelle | |
für jugendgefährdende Medien. Auch der "Arschficksong" von Sido, den | |
Griefahn als besonders verderblich ins Feld führt, wurde der Behörde | |
vorgelegt. Doch das Lied wurde nach dem Prüfverfahren nicht indiziert. Den | |
dazugehörigen Videoclip hatte die Freiwillige Selbstkontrolle der | |
Filmwirschaft (FSK) erst ab 16 Jahren freigegeben. Er darf damit im | |
Fernsehen etwa erst ab 22 Uhr gezeigt werden. | |
Hier sind wir nun am Kern des Problems angelangt. Denn was ist es, was | |
Griefahn will? Will sie ein strengeres System? Eine staatliche Zensur, die | |
bei Bedarf im Sinne der Allgemeinheit handelt? Oder am liebsten selber | |
entscheiden, was jugendgefährdend ist und was nicht? | |
In ihrem taz-Beitrag hat Griefahn die Rapper und ihre Texte kritisiert. Sie | |
hat von Jugendlichen berichtet, mit denen sie gesprochen hat, und von | |
Wählern, die ihr schreiben. Dazu zitierte sie Experten, die fragwürdige | |
Zusammenhänge herstellen. So suggeriert sie eine kausale Wirkungskette | |
zwischen Raptexten und Gewalttaten. Gäbe es die, wäre das strafrechtlich | |
relevant. Erste Anklagen in diese Richtung gibt es bereits, denn auch dafür | |
gibt es Gesetze. | |
Was den meisten Rappern aber durch die Reime spukt, das sind vor allem | |
Fantasien. Ihre und die anderer Männer. Und, seien wir ehrlich: Ziemlich | |
vieler Männer, vielleicht sogar der allermeisten. Der überwiegende Teil | |
dieser Männer hat diese Fantasien domestiziert. Und das ist auch gut so. | |
Aber eben auch der Grund dafür, dass die Ästhetik von Pornofilmen so | |
aussieht, wie sie nun mal aussieht. Und deshalb ist auch die | |
Berichterstattung der Presse, deren Redaktionen immer noch vornehmlich von | |
männlichen Heterosexuellen besetzt sind, so, wie sie ist. Aber was ist | |
schlimmer? Ein Rapper wie G-Hot packt seinen Hass auf Schwule und sein | |
mittelalterliches Frauenbild in plumpe Reime? Das ist nicht schön, aber | |
ehrlich. Ein Magazin wie der Stern druckt nackte Frauen in Nimm-mich-Pose | |
aufs Titelbild und schlagzeilt: "Escort-Service: Was Männer daran | |
fasziniert". Das ist wahnsinnig ästhetisch. Aber dafür ganz schön verlogen. | |
Gegen den Stern geht Griefahn jedoch nicht vor. Lieber erklärt sie eines | |
der vielen anderen Symptome dafür, dass in dieser Gesellschaft Sexualität | |
zum Warenwert verkommen ist, zur Ursache. Nur: Wir können uns lange drüber | |
unterhalten, wer was wie eklig findet. Man kann Monika Griefahn sogar darin | |
zustimmen, dass der "Arschficksong" nichts für Achtjährige ist. Und auch | |
darin, dass es nicht schön ist, wenn Mädchen in der Schule nur noch | |
"Schlampen" oder "Nutten" genannt werden. Wenn sie es für pädagogisch | |
sinnvoll hält, kann Griefahn ihren drei Kindern verbieten, eine Sido-CD zu | |
kaufen. Den Rest regeln in diesem Land aber Gesetze und eine demokratisch | |
legitimierte Institution wie die Bundesprüfstelle. Mit deren Entscheidungen | |
muss man nicht immer einverstanden sein, manche kann man im Einzelfall auch | |
kritisieren. Aber immerhin beruhen deren Entscheidungen im Idealfall auf | |
einer rechtlichen Grundlage. | |
Die unausgesprochene Alternative wäre, einer moralischen Mehrheit die | |
Entscheidung zu überlassen, was alle hören und sehen dürfen. Solche | |
schweigenden Mehrheiten neigen bekanntlich zu Intoleranz gegenüber | |
Minderheitengeschmäckern. Vor allem, weil sich am liebsten solche Politiker | |
zu ihren Wortführern aufschwingen, die sich selbst in ihrem | |
kleinbürgerlichen, pseudo-toleranten Weltbild angegriffen fühlen - etwa, | |
wenn die Unterschicht es sich rausnimmt, auf Teile des öffentlichen | |
Diskurses Einfluss zu nehmen. | |
In Wahrheit geht es gar nicht um den Schutz der Jugend. Es geht vielmehr um | |
die Definitionshoheit darüber, was Kunst ist, darf und soll. Kunst aber | |
muss nicht immer allen gefallen, sonst wäre sie keine Kunst mehr. Auch | |
schlechte, primitive und hässliche Kunst bleibt Kunst: Das gilt sogar für | |
Porno-Rap und Nazi-Rock. Die Freiheit kennt nun mal ein ästhetisches | |
Restrisiko. Eine demokratische Gesellschaft muss es aushalten, dass die | |
freie Meinungsäußerung bisweilen zu unansehnlichen Nebeneffekten führen | |
kann. | |
23 Jul 2007 | |
## AUTOREN | |
Thomas Winkler | |
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