# taz.de -- Debatte: Mütterschocker unter sich | |
> Die Debatte um sexistische Rap-Texte ist längst überfällig. Doch die | |
> meist männlichen Popkritiker tun sich mit diesem Thema auffällig schwer. | |
Muss man sich aufregen, wenn ein "superintelligentes Drogenopfer" wie der | |
Rapper Sido in einem Song über blutende Hinterteile und Schmerzschreie | |
seiner minderjährigen Anal-Sexpartnerin fantasiert? Oder wenn junge, | |
afroamerikanische Männer wie der Rapper B-Tight "den Neger in mir" | |
entdecken, der natürlich primitiv und gewalttätig ist? Aber nein, beruhigt | |
uns die Popkritik routiniert, so zuletzt Thomas Winkler (siehe Link): Das | |
seien doch nur Jungsfantasien. Es sei doch nur die Unterschicht, die auch | |
mal zu Wort kommen will. Und ohnehin sei Porno-Rap eine Mode von gestern. | |
Aus all diesen Gründen müsse man ihn gar nicht so ernst nehmen. | |
Diese Haltung ist zwar unbestreitbar die coolste von allen. Pädagogen und | |
Mütter regen sich auf? Da ist man auf der sicheren Seite, wenn man gar | |
nicht erst mitmacht. Aber mit Achselzucken wird man der Situation nicht | |
gerecht. Denn Bilder wie aus harten oder frauenverachtenden Pornos tauchen | |
nicht von ungefähr in den Texten der Postpubertanden des Labels Aggro | |
Berlin auf. Solche Pornos können dank Internet mittlerweile in jedes | |
Kinderzimmer geladen werden. Es gibt auch keine "fragwürdigen" | |
Zusammenhänge zwischen Porno-Fantasien und den gewalthaltigen | |
Geschlechterbildern mancher Jugendlicher, wie Winkler meint. | |
Es sind schlicht Zusammenhänge, die PsychologInnen und SozialarbeiterInnen | |
beobachten. Die sind in der Tat nicht kausal: Ein Porno macht eben nicht, | |
wie Alice Schwarzer gern suggeriert, einen Mann schon zum Vergewaltiger. | |
Dennoch gibt es unschöne Korrelationen. Alleingelassene und desorientierte | |
Jugendliche können ihre Wahrnehmung von Frauen und Sex, von Schwarzen, | |
Schwulen und anderen "Opfern" durchaus an solchen Fantasien schulen, meinen | |
ExpertInnen. | |
Die klugen, reflektierten Popkritiker, die so etwas für unmöglich halten, | |
schließen von sich auf andere. Und nennen entsprechende Forschungen oder | |
Erfahrungen dann "fragwürdig". Wenn aus den Fantasien im Einzelfall Taten | |
würden, sei das halt "strafrechtlich relevant", so Winkler. Na, dann ist ja | |
alles gut. Über die emotionale Abstumpfung, die diese "Jungsfantasien" eben | |
auch mit sich bringen können (können, nicht müssen!), braucht man sich dann | |
keine Gedanken mehr zu machen. | |
Das Problem aber ist, dass solche veröffentlichten Fantasien dazu | |
beitragen, das sich die Diskurse verschieben. "Schwul" ist heute ein "ganz | |
normales" Schimpfwort, Mädchen werden häufiger ausschließlich in ihrer | |
Sexualfunktion für den Mann wahrgenommen. Deshalb gibt es Mädchen, die bei | |
Sozialarbeiterinnen vorsichtig anfragen, ob sie noch normal sind, wenn sie | |
mit dreizehn noch keinen Gruppensex hatten. Auch "Neger" kann man ja wieder | |
sagen, weil Migranten-Rapper wie B-Tight das doch auch tun. Das alles | |
berichten PsychologInnen und SozialarbeiterInnen. Warum sind die eigentlich | |
"fragwürdig"? | |
Nahe liegender wäre der Einwand, dass ein derart provokativer Diskurs | |
einfach pubertär ist, und einen normalen Entwicklungsschritt darstellt. Das | |
wird in vielen Fällen stimmen. Schließlich bilden die Mittelschicht-Kids, | |
die Mama schocken wollen, unter den Fans des Berliner Gewaltrapper-Labels | |
Aggro eine große Gruppe. Und der kindliche Eifer, mit dem sich etwa ein | |
Sido als Arschfickmann empfiehlt, ist für viele Menschen eher zum Lachen. | |
Aber die Pubertät kann auch nicht normal verlaufen. Sie kann misslingen, | |
wenn Jugendlichen bestimmte Grenzen eben nicht mehr so recht klar sind. | |
So gesehen nimmt Monika Griefahn (siehe Link) die Position einer Mutter | |
ein, die sich schockieren lässt. Aber wird von Eltern nicht gerade | |
lautstark gefordert, sie sollten aufpassen, wenn ihre Kinder Grenzen | |
überschreiten, hinter denen es gefährlich wird? Dann ist es doch nur | |
legitim, dass Griefahn diese Grenze zur Diskussion stellt. Männliche | |
Pop-Kritiker dagegen identifizieren sich offenbar leichter mit den | |
aufmüpfigen Jungs, die Mutti ordentlich ärgern wollen. | |
Das Problem liegt auch darin, dass hier Tabus gebrochen werden sollen, wo | |
gar keine sind. Gerade mal beim Antisemitismus ist die gesellschaftliche | |
Ächtung von Hassreden halbwegs Konsens. Mit Rassismus und Homophobie | |
dagegen befinden sich die Pseudo-Tabubrecher schon in sehr großer | |
Gesellschaft. Und Sexismus ist ohnehin gesellschaftsfähig, wie Winkler mit | |
Blick auf Stern-Titelbilder ganz richtig bemerkt. Wogegen richten sich die | |
selbst ernannten Sprecher der "Unterschicht" mit ihren sexistischen Texten? | |
Gegen den sexistischen Mainstream offenbar nicht. | |
Hier äußert sich nicht einfach Protest: Hier werden gängige | |
Männlichkeitsfantasien hocherhitzt und gegen andere in Stellung gebracht. | |
Frauen, Homosexuelle und ethnische Minderheiten sind die kollateralen Opfer | |
dieser "Battles". | |
Die Tatsache, dass hier die angebliche Unterschicht spricht, scheint für | |
manche Popkritiker die Menschenverachtung dieser Texte irgendwie zu | |
entschärfen. Aber sind Sexismus, Rassismus und Homophobie nicht mehr so | |
schlimm, wenn die Unterschicht damit bloß die Mittelschicht schocken will? | |
Damit überlassen die Popkritiker die weibliche Hälfte, die schwarze | |
Minderheit, die homosexuellen Angehörigen dieser Milieus also den Fantasien | |
wildgewordener Pubertanden. Sollen sich nur Sozialarbeiter und Polizei die | |
Zähne an denen ausbeißen? | |
Nein, so einfach macht es sich zumindest Thomas Winkler nicht. Zwar | |
kritisiert auch er Monika Griefahn dafür, dass sie bewirkt habe, dass CDs | |
auf dem Index landeten und Sender sich genauer überlegen, wann sie | |
bestimmte Stücke spielen. Aber zugleich hat dieser Index für ihn dann doch | |
die richtige Funktion: Sido sei eben nichts für Achtjährige. Der Index, der | |
die Kunstfreiheit einschränkt, wird also begrüßt. Warum aber soll sich | |
Monika Griefahn dann nicht über Sexismus und Rassismus im Hiphop beklagen | |
dürfen? Ist eine Debatte gefährlicher für die Kunstfreiheit als die | |
Indizierung? Betont der Autor nicht selbst, Kunst sei dazu da, Diskussionen | |
anzuregen? | |
Und die Diskussion ist tatsächlich sinnvoll: Nach dem, was Psychologen | |
berichten, besitzen viele Kinder und Jugendliche ganz offensichtlich wenig | |
Medienkompetenz. Darum ist es wichtig, dass LehrerInnen, ErzieherInnen und | |
Eltern sensibilisiert werden und einen Schub an Informationen bekommen. | |
Genauso wichtig ist es, dass die sexuelle Identitätssuche von Jungen und | |
Mädchen nicht nur auf [1][youporn.com] und bei Rappern wie "Frauenarzt" | |
endet. Irgendwann sind sie dann hoffentlich so schlau, wie Gewaltrapper | |
Bushido es sich von seiner imaginären Tochter wünscht: "Papa, du weißt | |
doch, das ist nur ein Lied", würde die zu ihm sagen, bekannte er in einem | |
Interview. | |
Zensur ist sicher abzulehnen. Aber die Probleme von Jugendlichen ernst zu | |
nehmen und zu diskutieren, hat nichts mit einer Einschränkung von | |
Meinungsfreiheit zu tun. Und, man soll es nicht glauben: Auch uncoole | |
Politikerinnen können mal die richtigen Fragen stellen. | |
28 Jul 2007 | |
## LINKS | |
[1] http://youporn.com/ | |
## AUTOREN | |
Heide Oestreich | |
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