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# taz.de -- Debatte: Spaß am Unterwerfungsspiel
> Die Klage über die "Sexualisierung der Gesellschaft" ist alt. Es wäre
> aber falsch, Frauen nur als Opfer zu sehen: Dafür sind sie heute zu
> selbstbewusst.
So hat Alice Schwarzer nicht gewettet. Da wird jahrelang agitiert,
gekämpft, definiert und angeprangert, diskutiert und veröffentlicht. Und
eine knappe Generation später, genau zwei Jahrzehnte nach ihrer großen
"PorNo"- Kampagne, sind Pornos nicht nur einfacher zu beschaffen, sondern
auch härter und rauer, und, glaubt man den feministischen Unkenrufen, mit
der Verbreitung einer gewissen "Hiphop-Ästhetik" quasi gesellschaftsfähig
geworden. Gesellschaftsfähig für eine Gesellschaft, in der frau
selbstredend nicht gerne leben möchte.
Doch irgendwas stimmt nicht mit der mal leiser und mal lauter schwelenden
Klage über die "Sexualisierung" der Gesellschaft, der "Pornofizierung" der
Sexualität, der Verrohung der Geschlechterverhältnisse durch Künstler, die
offen über Sexpraktiken rappen, und durch die bis in die Straßenmode
hineinreichenden sexy Dresscodes kleiner Schulmädels. Denn während vor 20
bis 30 Jahren noch die gesamten Regeln neu aufgestellt, Pornografie an sich
überhaupt erst mal eingegrenzt und alle nötigen Einschränkungen unter
anderem durch das Jugendschutzgesetz festgelegt werden mussten, scheint es
heute komischerweise an AnklägerInnen zu mangeln.
Aber, argumentieren Schwarzer und Konsorten, das können die Frauen doch
unmöglich freiwillig tun: in Spitzenunterwäsche um auf dicke Hose machende
Hiphopper herumscharwenzeln? In Gangbang-Filmen agieren, besser: andere an
sich agieren lassen? Mit 14 bereits auf Stilettos und in Minikleid durch
die Nacht wanken und die Männer pfeifen machen? Wer weiß, vielleicht tun
manche das nicht freiwillig. Vielleicht ist es Gruppenzwang bei den
Schulmädels, lebensbedrohliche wirtschaftliche Not bei den
Hardcore-Pornodarstellerinnen und falsch verstandener Tänzerinnenehrgeiz
bei den Musiclip-Mäusen. Aber vielleicht haben sie auch tatsächlich Spaß
daran. Wenn man davon ausgeht, dass die bestehenden Gesetze, die
Pornografie in Deutschland zwar erlauben, aber ausschließlich für und mit
Erwachsenen und mit den bekannten thematischen Einschränkungen bei
Pädophilie, Zoophilie und Gewalt, dass diese Gesetze ausreichend sind, dann
muss man die AkteurInnen (es) machen lassen. Hier gilt, was auch für viele
andere Gesetze und den Umgang mit ihnen gilt: Wenn sie richtig angewendet
werden, dann reichen sie aus.
Natürlich ist jeder Versuch, den Zugang zu Internetseiten mit
pornografischem Inhalt für Nichterwachsene unmöglich zu machen, jedes Soko
gegen Kinderpornografie und Mädchenhandel, jede Razzia im Bordell, um gegen
ihren Willen eingeschleuste Prostituierte aufzuspüren, richtig und wichtig.
Doch allen in der Pornoindustrie arbeitenden Frauen zu unterstellen, sie
würden dazu gezwungen und trügen in jedem Fall einen psychischen Knacks
davon, oder sämtlichen Frauen den durchaus selbstbestimmten Konsum von
durchschnittlichen Heteropornos (inklusive Standardnummern wie Gangbang,
Blowjob-Akrobatik und abschließendem Spermagesudel) abzusprechen, ist
unzulässig.
Genauso wenig darf man den Teenies ihre Mode und den Rappern ihre Prahlerei
verbieten - beides befördert ohnehin nur das Gegenteil. Und ob der
freizügigere Umgang mit derbem Vokabular und eindeutig sexuellem Gebaren
wirklich die frühere Sexualisierung von Kindern zur Folge hat, ist nicht
erwiesen: Laut einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche
Aufklärung erleben weniger als 10 Prozent der Mädchen ihr erstes Mal
bereits mit 14, und auch mit 17 haben es noch nicht mal die Hälfte, nämlich
45 Prozent, hinter sich. Dazu kommen diverse Gegenbewegungen, wonach der
Treue wieder eine größere Bedeutung zugesprochen wird oder man auf den
"Richtigen" warten will. Dass Jugendliche, vor allem Mädchen, früher
erwachsen aussehen und Sprüche klopfen, bei denen manch Anstandsdame
ohnmächtig niedersinkt, mag stimmen. Aber Maulheldentum ist nun mal in; das
gilt nicht nur für Rapper.
Schwer zu sagen, ob die Pornoindustrie heute wirklich so viel rauer, härter
und gewalttätiger ist als früher. Schon bei der Definition fängt das
Problem an. Eine Vergewaltigungsszene fällt selbstverständlich unter die
"Verbreitung gewaltpornografischer Schriften" und ist somit laut
Bundesgesetzbuch verboten. Aber was ist mit gespielter Vergewaltigung? Oder
schlicht "rough sex"? Schwule Pornos haben mit diesen Begriffsbestimmungen
weniger Probleme und wimmeln von nicht zimperlichen Polizisten und
cowboyhaften Draufgängern. Und interessanterweise ist es genau diese
Ikonografie, die bei in Heterofrauenkreisen wohlgelittenen Veranstaltungen
wie den "Chippendales" immer wieder auftaucht: der rüde Polizist, der
barsche Kapitän und der muskulöse Cowboy, die sich vor kreischenden Weibern
ihrer Hemdchen entledigen. Sitzen diese Fantasien also wirklich so tief,
dass auch über 30 Jahre Frauenbewegung sie nicht ausixen konnten? Oder
stammen sie tatsächlich allein vom heteromännlichen Trieb? Doch woher kommt
dann die gar nicht kleine lesbische SM-Szene mit ihrem Spaß am
Unterwerfungsspiel?
Jene Porno-ReformerInnen jedenfalls, die statt nach weitgehend wortlosen
Geschlechtsakten nach Erotikfilmen mit Rahmenhandlung, Liebe, gar Romantik
und gemeinsamen Orgasmen rufen, haben nicht verstanden, wozu Pornos da
sind: Die brauchen keine Pornos, sondern den "Englischen Patienten". Pornos
und ihre DarstellerInnen, Bilder und Rituale sind nicht sexuell, sie sind
supersexuell. Entsprechend übertrieben sind die Attribute: Riesenschwänze,
Gangbang, Nymphomaninnen, Megabusen. Die These vom Vorbildcharakter aber,
den etwa harte Sexszenen für potenzielle Sexualstraftäter haben könnten,
ist so umstritten wie bei gewalttätigen Computerspielen: Nur an sich schon
sozial gestörte Menschen laufen nach exzessivem Ballerspielkonsum mit einer
Pumpgun in die Schule.
Dass der Zugang zu verbotener "harter" Pornografie heute leichter geworden
ist und damit die Gefahr größer, dass Kinder und Jugendliche durch für sie
unverständliche und verstörende Bilder einen irreparablen Schock erleiden,
liegt an der Einfachheit des World Wide Web. Diesen Zugang zu sichern, ist
daher die wichtigste Aufgabe - zusammen mit der Kontrolle der Inhalte. Eine
Zensur ist jedoch fast unmöglich, weil sich die Interessierten immer wieder
neue Nischen, Chatrooms und Verschlüsselungen für ihre Präferenzen suchen -
so viele Stichwörter kann man gar nicht sperren lassen.
Vielleicht hat der zwangsweise offenere Umgang mit Pornografie, Sexualität
und ihren Spielarten ja auch den Effekt, dass Eltern heute früher und
ehrlicher mit ihren Kindern darüber reden. Sodass aus den frühzeitig
sexualisierten, aufgebrezelten und durch die Musikindustrie pornofizierten
Kids doch noch ganz glückliche und sexuell entspannte Erwachsene werden.
Und das kann doch eigentlich nur in Schwarzers Sinne sein.
30 Jul 2007
## AUTOREN
Jenni Zylka
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