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# taz.de -- Debatte um Bounty Killer: „Dancehall ist kein Hate-Genre“
> Kulturwissenschaftler Patrick Helber hält hiesige Homophobie-Debatte um
> den Dancehall-Star samt dem abgesagten Berliner Konzert für
> eindimensional.
Bild: Auf Jamaika ein Star: Bounty Killer 2008 bei einem nicht abgesagten Konze…
taz: Herr Helber, mehrere Politiker der Grünen wie Volker Beck fordern für
den jamaikanischen Dancehall-Musiker Bounty Killer ein Einreiseverbot, und
der Festsaal Kreuzberg hat das für Anfang Mai geplante Berlinkonzert des
Sängers abgesagt, dem vorgeworfen wird, er rufe in homophoben Texten zu
Straftaten gegen Schwule auf. Was halten Sie davon?
Patrick Helber: Ich halte nichts davon, Bounty Killer die Einreise zu
verweigern und sein Konzert in Berlin zu verbieten. Ich verstehe, dass ein
linker Veranstalter sagt, wir wollen mit Homophobie, Sexismus und
Antisemitismus nichts zu tun haben, ich versuche selbst, für eine
diskriminierungsfreie Gesellschaft zu streiten. Aber ich glaube, die Absage
ist eine vertane Chance. Besser wäre es, das Konzert findet statt, und
davor gibt es vielleicht eine Demonstration oder eine Diskussion und
dass einfach reflektiert wird, dass die Situation im Dancehall heute nicht
mehr wie die von 2004 ist.
Was war 2004?
In dem Jahr wurde Homophobie im Dancehall erstmals international zum Thema
durch die Arbeit von Outrage! und J-Flag, einer britischen und einer
jamaikanischen LGBTI-Organisation. Danach erschienen Hunderte Artikel in
der jamaikanischen Presse, die Themen wie Homophobie und
Gewaltverherrlichung aufgegriffen haben. Diese Themen wurden in Jamaika
massiv diskutiert, was im Ausland bis heute überhaupt nicht wahrgenommen
wird. Es ist einfach nicht so, dass Jamaika monoton homophob ist, sondern
da herrscht eine demokratische Streitkultur auch über dieses Thema.
Bounty Killer singt in einem seiner älteren Lieder davon, dass man Schwule
anzünden solle. Muss man da nicht schlichtweg einschreiten, wenn man nicht
eine Situation wie bei der Echo-Verleihung haben möchte, wo deutsche Rapper
für ihre antisemitischen Texte geehrt wurden?
Ich finde es schade, wenn jetzt in der deutschen Presse geschrieben wird,
im Vergleich zu Bounty Killer wirke eine Neonazi-Band wie ein Knabenchor.
Das ist einfach falsch. Eine so geführte Diskussion schadet dem ganzen
Genre. Dancehall ist kein Hate-Genre, Dancehall ist im Prinzip ein sozialer
Kommentar, in dem ganz viele Ambivalenzen stecken, Gesellschaftskritik,
Subversives, aber auch Kritikwürdiges wie diese Abfeierei von
heterosexueller Männlichkeit durch Homophobie und die Objektivierung von
Frauen, wie man es auch vom HipHop kennt. Es geht mir nicht darum,
homophobe Tunes zu relativieren, aber für sexuelle Vielfalt einzustehen,
geht auch mit Dancehall.
Aber da ruft doch einer zum Mord oder zumindest zur Hetzjagd auf Schwule
auf?
All diese Dancehall-Künstler, die diese zweifelhaften Tracks aufgenommen
haben, hatten meiner Meinung nach nie vor, konkret zu Straftaten
aufzurufen. Ich lehne solche Texte ab, finde aber die Lesart als Aufruf zum
Mord problematisch. Man kann das definitiv da rauslesen, aber um was es
viel stärker geht, ist die Betonung einer hegemonialen Männlichkeit,
dieses: Ich muss mich meiner heterosexuellen Männlichkeit permanent
versichern, und ich tue das durch eine klare Abgrenzung vom absoluten
Gegenteil dieser Männlichkeit, und das ist in dem Fall der schwule Mann.
Man muss dazu aber auch sagen: Dancehall ist nicht der einzige
heteropatriarchale Raum auf der Welt. Die Fußball-Bundesliga ist im Prinzip
genauso, nur dass dort andere Praktiken angewandt werden, aber am Ende soll
trotzdem vermittelt werden: Hier sind alle Heteros.
Der Festsaal Kreuzberg begründet seine Konzertabsage auch damit, dass
Bounty Killer den sogenannten Reggae Compassionate Act nicht unterschrieben
habe, ein Bekenntnis von Dancehall-Musikern zu positiven Werten und eine
Absage an Hass. Das belege, dass er sich nicht von seinen homophoben Texten
distanziere.
Ich erachte den Reggae Compassionate Act nicht für besonders relevant.
Manche jamaikanischen Künstler haben ihn unterschrieben, in Jamaika
behaupten sie aber lieber, sie haben ihn nicht unterzeichnet, weil das
daheim besser ankommt. Wichtiger ist doch, dass gerade aufgrund der ersten
Boykott- und Protestkampagnen gegen Homophobie im Dancehall zumindest die
drastischen homophoben Texte in den letzten zehn Jahren eigentlich aus der
Musik verschwunden sind. Auch diejenigen, die den Reggae Compassionate Act
nicht mit unterschrieben haben, nutzen derartige Texte nicht mehr und
treten damit zumindest in Europa nicht mehr auf. Aber auch auf Jamaika hat
sich die Situation stark geändert. Die großen Konzerte dort werden von
Pepsi, Red Bull oder Guinness gesponsert, von Konzernen, die ein Interesse
am internationalen Markt haben. Das Letzte, was die wollen, ist, dass ihre
Produkte mit Homophobie in Verbindung gebracht werden.
Ihnen ist der aktuelle Diskurs gerade schlicht zu unreflektiert?
Die Diskussion bringt einen so jedenfalls nicht weiter, dadurch wird
Homophobie nicht beendet. Was mich an der Debatte stört, als Mensch, der
Dancehall mag, aber Homophobie klar ablehnt, ist tatsächlich, dass sehr
eindimensional gedacht und argumentiert wird. Da werden Machtstrukturen
zementiert, etwa der Schengenraum als Regimetechnik ins Spiel gebracht, in
den Menschen rein dürfen oder eben nicht. Das Gespräch mit Jamaikanern und
Jamaikanerinnen wird dabei überhaupt nicht gesucht. Schaut man sich die
Debatte der letzten Wochen an, muss man feststellen: Jamaikaner sind als
Stimmen nicht präsent, nicht mal Bounty Killer selbst. Nebenbei bemerkt ist
es auch paradox, dass Bounty Killer auf Jamaika ein hoch angesehener
Künstler ist, eine Art, ich möchte fast sagen: Helmut Schmidt des
Dancehall. Er gilt als elder statesman des Genres und ist populär wegen
seinen sozialkritischen und nicht wegen seinen homophoben Texten.
Was würde Bounty Killer wohl selbst zur Wahrnehmung seiner Person in
Deutschland sagen, würde er denn mal gefragt werden?
Eine Freundin von mir aus Kingston, die dort als Kulturwissenschaftlerin zu
Dancehall forscht, hat mir gerade erst erzählt, dass sie glaube, Bounty
Killer habe noch nicht einmal etwas mitbekommen von der neuerlichen
Diskussion bei uns über ihn. Sie war total bestürzt darüber, dass sich
erneut weiße Akteure über Jamaikanerinnen und Jamaikaner unterhalten, ihre
Schlüsse ziehen und Verbote fordern, ohne ein Gespräch zu suchen. Die
jamaikanische LGBTI-Organisation J-Flag, auf deren Meinung man auch mal
hören könnte, hat sich schon 2012 von diesen ganzen Boykott-Kampagnen und
Auftrittsverboten in Europa distanziert und für einen Dialog ausgesprochen.
Wer zusichert, keine homophoben Lieder zu performen, sollte auftreten
dürfen.
22 Apr 2018
## AUTOREN
Andreas Hartmann
## TAGS
Reggae
Homophobie
Festsaal Kreuzberg
Clubs
Jamaika
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