Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Gewalt- und Pornorap: Freiheit für Track 7
> Kommen Songs von Rapper Azad auf den Index oder nicht? Solche Urteile
> fällen die Mitarbeiter der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien
> ständig - bei Eibrötchen und Kaffee.
Bild: Azad auf den Index? Sido ist schon da.
Seinen Angriff kündigte der Rapper namens Uzi in einem Song an. Er werde
einreiten in die Behörde und alle abstechen. Sie kennen solche
Gewaltfantasien bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien. Aus
Ego-Shooter-Spielen, Horrorfilmen und von deutschen Gangsta-Rap-Alben, mit
denen sie sich täglich beschäftigen. Morddrohungen sind für die Mitarbeiter
nichts Ungewöhnliches, die kommen per Mail.
Wäre es nur um den Song "Fick the BPJM" gegangen, hätten sie dafür eine
Akte angelegt, so wie sie es im vergangenen Jahr 778-mal wegen anderer CDs,
DVDs, Spiele oder Internetseiten gemacht haben. Sie hätten den Text darin
abgeheftet und irgendwann in ihrem Zwölfergremium darüber beraten, ob die
Zeilen Minderjährige anregen könnten, zum Messer zur greifen, oder ob sie
eine permanente "Gleichgültigkeit gegenüber Gesetzesverstößen" zeigen.
Ziemlich wahrscheinlich hätte die Antwort in diesem Fall "ja" gelautet. Nun
wurden bei Uzis Berliner Label Hirntot allerdings kürzlich Waffen gefunden,
das hat diese Drohung doch sehr konkret werden lassen. Die Leiterin der
Prüfstelle erstattete Strafanzeige. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft.
Die Ruhe im grauen Bonner Behördenbau, direkt neben der Arbeitsagentur, hat
der Vorfall nicht nachhaltig zu stören vermocht. Die Akten über
rechtsextreme Musiker wie Landser oder Porno-Rapper wie Frauenarzt lagern
still in ihren beigen Mappen. In den Archivregalen stehen durchnummeriert
Computerspiele, DVDs, Super-8-Filme, CDs, Kassetten, "Die Maske" von Sido,
"Electro Ghetto" von Bushido, "Schulmädchenreport", Praline. Die
Vorsitzende Elke Monssen-Engberding, klein, rheinische Raucherstimme,
braunbleiches Haar, den Kopf immer leicht nach vorn gebeugt, sitzt in
Jeanshose und -jacke an ihrem Schreibtisch, um den Hals eine Perlenkette.
Die Rollläden sind runtergelassen, als wüsste sie aus Erfahrung, dass man
der Welt da draußen besser mit Vorsicht begegnet. Durch die Schlitze kann
sie den Fallmanagern der Arbeitsagentur in ihren beleuchteten Bürowaben
beim Fallmanagen zusehen. Monssen-Engberding selbst managt den Fall
Jugendgefährdung. Sie ist 56 Jahre alt, seit 16 Jahren leitet sie die
Behörde.
Ihre 18 Mitarbeiter beschäftigen sich auch immer wieder mit Rappern, die
aggressiv oder pornografisch texten. Sidos Album "Maske" etwa steht auf dem
Index vor "Mann für Mann" der Gruppe Störkraft. Die Rechten besetzen immer
noch den Großteil der Plätze.
Als sich vor sechs Jahren die Klagen über harten Rap häuften, begannen die
Referenten der Prüfstelle zu recherchieren, was "battlen" bedeutet, wer ein
"Homie" ist und wann "ficken" aus dem Niederstraßendeutschen mit
"fertigmachen" zu übersetzen ist. Sie fassen diese "Begrifflichkeiten"
heute nur mit den Schutzhandschuhen ihrer Verwaltungshochsprache an, packen
Rap-Zeilen in Schmutz-Schubladen: zur Gewalt anreizend, rassistisch, Frau
als sexuell willfähriges Objekt, positive Darstellung des Drogenkonsums.
Dabei berücksichtigen sie die Kunstfreiheit, auch die Kultur und Geschichte
des Sprechgesangs. Dass "Ich f dich", wie sie hier sagen, mittlerweile zu
den Standardschulhoffloskeln gehört, nehmen sie zur Kenntnis, aber sie
versuchen trotzdem gegenzusteuern. "Es kann ja nicht Sinn und Zweck der
Übung sein, dass das Wort 'Frau' irgendwann durch 'dreckige Nutte' ersetzt
wird", sagt die Chefin.
Ein Stockwerk tiefer schiebt die Protokollantin im Konferenzraum die CD
"Der Bozz - Remix" des Frankfurter Rappers Azad in den Player. Das
Zwölfergremium der Prüfstelle tagt, wie an jedem ersten Donnerstag. Das
Bayerische Landeskriminalamt hat die Überprüfung von Track 7 und Track 9
angeregt. Auf dem Konferenztisch stehen Kaffeekannen und Wasserflaschen,
darum herum sitzen ein Lehrer, ein Lokaljournalist, eine Frau vom
Zentralrat der Juden, ein Vertreter des Verbands der Deutschen
Automatenindustrie, einer des Landes Bayern und einige andere Abgesandte
von Verbänden und Ländern. Sie stellen heute "die deutsche Gesellschaft"
dar.
Die deutsche Gesellschaft hat ein Durchschnittsalter von ungefähr 57
Jahren, vorwiegend graue Haare und ausnehmend gute Laune. Als die erste
Fanfare aus den Boxen stößt, der Bass leicht brummt und Azad rappt, dass in
Frankfurt Haschisch auf Bäumen wächst, nickt eine Beisitzerin aus Versehen
vier Takte lang mit dem Kopf. Während Track 9 läuft, unterstreicht der
Vertreter Bayerns auf seinem Textzettel die Worte "Klinge in den Arsch
steckt".
Die Protokollantin stellt mit der Fernbedienung den Player aus. Für einen
Moment ist der Regen zu hören, wie er leise gegen die Scheiben prasselt.
Nils Bortloff presst am Kopfende des Konferenztisches die Handflächen
aneinander, dann beginnt er sein Plädoyer. Er ist Anwalt des Labels
Universal, das Azads CD herausbringt. Bortloff sagt, er wolle nicht mit den
üblichen Argumenten langweilen - bildhafte Sprache, rhetorisches Mittel der
Übertreibung. Den Beisitzern sicher auch bekannt: das Prinzip Battle-Rap -
einer fühlt sich von aller Welt angegriffen und muss nun klarmachen, dass
er der Beste ist, der Bozz eben. "Das ist das Umfeld", sagt Bortloff,
"jetzt zum Vorgang."
Zwei Vorwürfen muss er begegnen: Azad verherrliche a) Drogenkonsum und b)
Gewalt. Der Anwalt hat sich mit dem Manager des Künstlers vorbereitet.
Track 7, argumentiert er, verherrliche die Drogen nicht, sondern verteufle
sie eher. Azad reime etwa "kleiner Gauner" auf "Trauma" - "etwas, was man
eigentlich vermeiden möchte." Außerdem sei auch von der "scheiß Realität"
die Rede und von "Krankfurt" - der Rapper gebe sich als sozialkritischer
Beobachter.
Bortloff sieht im grauen Anzug mit seinem Bürstenschnitt nicht so aus, aber
er interpretiert wie ein ambitionierter Lehramtsanwärter im
Deutschunterricht. In Track 9 arbeite der Künstler teilweise mit komischen
Bildern - "ihr rappt wie mein Arsch". Er wende sich damit aber - "wenn ich
spitte, Mutterficker, wird dein Reim ausradiert" - nicht gegen Menschen,
sondern gegen Texte. Schließlich zitiert der Anwalt aus einem Interview mit
Azad, in dem der Rapper behauptet, einen Meilenstein "in Sachen deepness",
also Tiefgründigkeit, gesetzt zu haben. "Wir haben in unserem Schriftsatz",
so der Anwalt, "aufgezeigt, dass dieser Mann auch im Rahmen von 'deepness'
anders denken, anders rappen kann."
"Vielen Dank", sagt die stellvertretende Vorsitzende der Bundesprüfstelle,
Petra Meier, die heute das Gremium leitet. Sie schaut auf ihren Zettel.
"Ich pack dich an der Kehle, Mutterficker, und ich beiß dich", murmelt sie,
"Klinge in den Arsch steckt, ähm. Könnten Sie da vielleicht noch mal "
Bortloff wiederholt in etwa, was er gerade gesagt hat. Eine Beisitzerin
will wissen, was "Gangbang, bis die Nille brennt" bedeutet. "Ich erklärs
Ihnen nachher", schlägt ihr Nebenmann vor. "Geschlechtsverkehr bis zur
Erschöpfung", versucht der Anwalt eine Übersetzung.
Während das Gremium entscheidet, wartet Bortloff draußen. "Mich würde es
wundern, wenn das indiziert wird", sagt er, die Hand auf dem silbernen
Pilotenkoffer. Es gebe da ganz andere Kaliber. Vor zwei Jahren hat er
Bushido bei der Prüfstelle vertreten. "Da waren Hämmer drin", erinnert er
sich. "Die kann man dann wirklich nicht mehr erklären." Er verteidigt hier
ein Produkt. Wenn Azads Album indiziert würde, käme es in den
Elektromärkten in die FSK-18-Ecke und dürfte weder über Amazon noch über
den Onlinemusikshop i-Tunes verkauft werden, schon gar nicht an
Minderjährige. "Die Leute, die das hören, sind aber weit unter 18", stellt
Bortloff fest. "Das heißt: Ich kann meine Käufer nicht mehr erreichen."
"Der Bozz - Remix" darf aber weiter an Teenager vertrieben werden. Das
Gremium entscheidet gegen eine Indizierung, obwohl das Lied Nr. 9 mit
dieser Klinge "sehr, sehr grenzwertig" sei, teilt Petra Meier mit, weil
äußerst realitätsnah. Ein Messer hätten Jugendliche schnell zur Hand.
Anders würde sich das verhalten, wenn da von einer Laserpistole die Rede
wäre, "wobei das auch nicht grundsätzlich gut sein muss". Sie bittet den
Anwalt, bei seiner Firma darauf hinzuwirken, dass man künftig mit solchen
Äußerungen vorsichtiger umgehe.
Bortloff verabschiedet sich. Kurze Pause. Lüften. Dann legt die
Protokollantin einen Samurai-Film mit viel Kunstblut und
Vergewaltigungsszenen ein. Dazu gibt es Eierbrötchen und Kannenkaffee. Um
14.30 Uhr ziehen die Beisitzer ihre Rollkoffer zum Aufzug. Petra Meier, 36
Jahre alt, sitzt im schwarzen Hosenanzug am Konferenztisch. Der Referendar,
der Praktikant und die Protokollantin räumen auf.
Meier ist noch ein bisschen geschockt von der Vergewaltigung eben. Sie
begegnet diesen Grausamkeiten sonst sachlich - Paragrafen gegen Pornos.
Manches setzt ihr aber doch zu. Die Texte, die sie dies Jahr indiziert
haben, sagt sie, seien härter gewesen als viele ältere, etwa wenn sie dazu
aufriefen, Schwule zu verbrennen. Die wurden häufiger auf die Liste B
gesetzt, damit beschäftigt sich dann die Staatsanwaltschaft. Wenn ein
Gericht es beschließt, werden solche CDs auch eingezogen. So ist es etwa
mit dem Album "Sexkönig" des Pornorappers King Orgasmus One geschehen. Das
darf gar nicht mehr verkauft werden. In den Internettauschbörsen sind die
Tracks trotzdem zu haben. YouTube hat "Fick die BPJM" sofort entfernt.
Seitdem ruht der Vorgang auf "Wiedervorlage". Über etwas, das es nicht mehr
gibt, können sie bei der Prüfstelle nicht befinden. Der Songtext allerdings
ist weiter im Netz nachzulesen.
10 Aug 2007
## AUTOREN
Johannes Gernert
## ARTIKEL ZUM THEMA
Debatte: Mitlabern als Waffe
Wer sich an bestimmten Auswüchsen des Hiphop stört, verkennt die
Spielregeln des Genres: Es ist eine Laberkultur, bei der jeder mitmachen
darf.
Rap gegen Homos: Tourette-Selbsthilfegruppe im Tonstudio
Der Rapper G-Hot fordert in "Keine Toleranz" zum Mord an Schwulen auf. Bloß
Pop? "Schwulen"-Bashing ist bei Jugendlichen längst guter Ton.
Pornorap: Verbales Mutterficken
Orgi ist Pornorapper. Er produziert schmutzige Fantasien, inspiriert von
der eigenen Geilheit. K.I.Z haben Spaß an Porno-Horror-Metaphern. Für sie
ist das Kunst.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.