# taz.de -- Unterwegs mit Porno-Rap-Fans: "Sexsexsexsexsexgeil!" | |
> Sie feiern, sie vögeln, sie schauen Pornos an. Eltern, Lehrer und | |
> Politiker sorgen sich um die zumeist jungen Fans von Frauenarzt, Fler und | |
> B-Tight. Zu Recht? Drei Ortstermine. | |
Bild: Der Doktor kommt: Rapper Frauenarzt macht Tourwerbung auf seiner Myspace-… | |
BERLIN taz Brummende Beats, simple Synthesizer-Melodien. Columbiaclub, | |
Berlin, Freitagabend. Gedimmtes Licht, Rauchschwaden, Bier in | |
Plastikbechern. Über die Bühne hüpfen drei Rapper mit dunklen | |
Sonnenbrillen, sie werfen Arme und Beine in die Luft wie Marionetten und | |
rufen: "Wir wollen ficken, wir sind alle sexgeil." | |
Vorne in der Menge brüllen Steven und Marius: "Sexsexsexsexsexgeil." Die | |
Leute im Publikum tragen T-Shirts, auf denen "Sexurlaub" steht oder "Kotzen | |
macht durstig". Manche haben sich Pilotenbrillen aufgesetzt, wie man sie | |
aus Pornofilmen kennt. Gleich wird der Berliner Rapper Frauenarzt auftreten | |
und verkünden, dass er der Emanzipation den Mittelfinger zeigt - "oder | |
meinen dicken Schwanz." Steven und Marius, beide 17, werden dann noch | |
lauter schreien. | |
Die beiden sind von einer Stadtrandsiedlung im Osten Berlins hergefahren, | |
viele im Publikum stammen von dort oder aus Brandenburg. Steven wird gerade | |
zum Tiefbaufacharbeiter mit Erweiterung Rohrleitungsbauer ausgebildet, | |
Marius macht Zivildienst, auf dem Frauenarzt-Konzert feiern sie den | |
Geburtstag eines Kumpels, als grölende Großgruppe. Sie haben ein bisschen | |
gekifft vorher. Jetzt saufen sie. Manche werfen Chemie ein. Später: tanzen | |
im Club. Danach: chillen, abhängen. Vielleicht noch einen Porno von der | |
Festplatte abspielen. Vielleicht finden sie heute auch mal ein Mädchen zum | |
knutschen, "ne Fotze", wie Frauenarzt rappen würde. Passiert leider nicht | |
so oft. | |
Der Untergrundrapper Frauenarzt startet heute im Columbia seine | |
Deutschlandtour. Er hat ein neues Album gemacht, das "Dr. Sex" heißt, damit | |
wird er in zwanzig Clubs auftreten. Frauenarzt kooperiert mit der Berliner | |
Gruppe K.I.Z., die pubertär-pornographisch textet und morgen abend im | |
selben Club ihre Tour beenden wird. Ein paar Tage später dann tritt hier | |
B-Tight auf. Dessen Album ist bei dem umstrittenen Label AggroBerlin | |
erschienen, es heißt "Neger, Neger" - was nicht nur afro-deutsche | |
Rapperkollegen für rassistisch halten. | |
Jugendliche, die an diesen drei Abenden in der Columbiahalle hüpfen, grölen | |
und schwitzen, werden von ihren Lehrern, Eltern und den Politikern als | |
gefährdet eingeschätzt. Die meinen, dass Pornorap ihnen ein bizarres | |
Verhältnis zu Sexualität vermittelt, dass sie vergessen, dass Liebe weit | |
mehr sein kann als feiern, vögeln und Pornos schauen. Der Essener | |
Sozialpädagoge Thomas Rüth etwa berichtet von 13 Jahre alten Mädchen, die | |
nachts dieselbe SMS an mehrere Jungs schicken: "Wer mit mir schlafen will, | |
kommt einfach vorbei." Rüth arbeitet in einem sozial schwachen Bezirk und | |
sagt: "Wir mutmaßen, dass es ein Unterschichten-Problem ist." | |
Die Freunde von Steven und Marius sind alle Azubis, morgen früh werden sie | |
pünktlich aufstehen und zur Schule gehen. Es gibt einige solcher | |
Lehrlingsgruppen hier. Es gibt auch Philipp, der hinten im Saal steht, | |
keine Pornobrille, keine weiten Hosen trägt, sondern Jeans und T-Shirt. Er | |
macht Abitur, ist 17, das scheint hier das Durchschnittsalter zu sein. Es | |
gibt nicht wenige Gymnasiastengruppen auf dem Konzert, die die Texte über | |
Ficken, Fotzen und feuchte Träume genauso gut beherrschen wie die | |
Azubi-Gangs. Alle, egal ob Hauptschüler oder Gymnasiasten, sagen, dass, wer | |
fürchte, Frauenarzt würde die sexuelle Verwahrlosung fördern, ja wohl | |
überhaupt keine Ahnung von der Jugend habe. Und Steven, Marius und ihre | |
Kumpels rufen, gekifft und Pornos angeschaut hätten sie lange bevor sie die | |
Texte von Frauenarzt und B-Tight kannten. Außerdem behandele Frauenarzt | |
seine eigenen Frauen bestimmt nicht so, wie er das in seinen Tracks | |
beschreibt. Andere vielleicht, aber nicht die eigenen. | |
Es gibt nach wie vor kaum Forschung zu der Frage, was pornographische Texte | |
und Bilder mit jungen Menschen machen. Es gibt sozial schwache | |
Wohngegenden, in denen Sozialpädagogen kaum Veränderungen bei den | |
Jugendlichen beobachten. Und es gibt einige wie Thomas Rüth, die besonders | |
drastische Geschichten erzählen. Das Frauenbild wandelt sich, warnt er, | |
auch das Selbstbild der Teenager. | |
Wenn Frauenarzt in München auftritt, wird Sophie aus ihrem kleinen | |
bayerischen Dorf nahe der österreichischen Grenze versuchen, reinzukommen. | |
Obwohl sie erst 14 Jahre alt ist und das Konzert ab 16. Sophies Hobbys sind | |
zwar nach wie vor Reiten und Tennis, aber dafür hat sie inzwischen weniger | |
Zeit. Sie hat mal Britney Spears gehört und hatte nur Einsen im Zeugnis, in | |
ihrer Klasse galt sie als Streberin. Sophie wollte das ändern. Im Fernsehen | |
sah sie auf MTV Videos von Rappern wie Bushido und Sido. Anfangs hielt sie | |
das für ziemlich grässlich, aber später hörte sie die Sachen auch daheim. | |
Erst Sido, "Arschficksong", dann Frauenarzt, "Pornoparty", die Musik war | |
angenehm aggressiv. Und mit den Texten konnte sie ihre Mitschüler schocken. | |
Sie fing an mit ein bisschen älteren Jungs am Bahnhof abzuhängen, lernte | |
"ficken" zu sagen, ohne rot zu werden. Wenn ihr Vater ins Kinderzimmer kam | |
und sie gerade Frauenarzt hörte, drehte sie leise. Sophie begann sich | |
"Schlampen- Style" anzuziehen, mit knappen Tops, sie ging auch nicht mehr | |
ungeschminkt aus dem Haus. In der Schule nannten sie Sophie nun | |
"Gangsterrapperin". Der Image-Wandel war gelungen. Sie gehört jetzt zu den | |
Coolen. | |
Ihr neuer Freund hieß Bobby. Er stammte aus einem Nachbardorf, trug | |
Basketballshirts, Caps und um den Hals eine dicke Silberkette. Er war drei | |
Jahre älter als sie, und am Wochenende feierten er und seine Freunde immer | |
Pornopartys. Sophie sah sich mit ihnen Clips auf youporn.com an. Sie fand | |
das ziemlich widerwärtig, auch wenn die anderen Mädchen "Woah!" und "Geil!" | |
riefen. Sie konnte sich eigentlich nicht vorstellen, dass die ekligen | |
Sachen aus den Songs tatsächlich jemand machte. | |
Aus den Boxen kam Frauenarzt, Fler, B-Tight. Die anderen fassten sich alle | |
gegenseitig an und küssten sich. Sie knutschte nur mit Bobby - manchmal | |
streichelten auch andere an ihr herum. Es war ihr unangenehm. Einmal sagte | |
einer der Jungs zu zwei Mädels, sie sollten strippen. Die beiden haben sich | |
komplett ausgezogen, dabei getanzt und sich geküsst. Ein anderes Mal nahm | |
jemand so etwas auf. Sophie musste später daran denken, wie ihr Freund sie | |
in Unterwäsche fotografiert und die Fotos per Mail verschickt hatte. Sie | |
hat sich deswegen von ihm getrennt. | |
Beim K.I.Z.-Konzert in der Columbiahalle sind die drei Rapper nach ihrer | |
Deutschland-Tour ganz heiser. Die Fans tragen T-Shirts mit Notenschlüsseln | |
darauf, die aussehen wie Penisse. Die Vorband schnallt sich bei einem Song | |
Riesenpenisse aus Stoff um. Im Publikum steht Jana, 18 Jahre alt, klein, | |
ganz in schwarz gekleidet und sagt: "Die Jugend ist doch total | |
sexualisiert. Das ganze Leben dreht sich um Sex. Und ob man nun Schwanz | |
sagt oder Penis ist doch egal." K.I.Z., findet sie, sagen Schwanz, auf sehr | |
witzige Weise. In der Menge sind viele Abiturienten wie sie, Studenten auch | |
und ein paar feiernde Azubis. Von Pornopartys erzählt hier niemand. Am | |
Eingang werden Ausweise kontrolliert. Das Konzert ist ausverkauft. | |
Für B-Tight, der von Rapper-Kollegen als Rassist geschmäht wird, gibt es | |
genau eine Woche später noch Karten. Tiziano und Christian sind beide 13, | |
sie besuchen ein katholisches Privatgymnasium in Westberlin, es sind heute | |
auch Waldorf-Schüler hier. Die Vorgruppe heißt "Grüne Medizin", vor der | |
Halle grölen die Fans etwas von "Gras" und "Psychose", als müsste man | |
unbedingt mal eine gehabt haben. Tiziano und Christian stehen daneben und | |
wirken wie zwei minderjährige Mönche im Swingerclub. Heute Abend sehen sie | |
B-Tight dabei zu, wie er mit seinem Co-Rapper eine Dreiviertel Flasche | |
Jägermeister leert, während das Publikum "trinktrinktrink" schreit und sich | |
dann vom DJ einen Joint reichen lässt. Danach singt B-Tight von | |
"Totalschaden" und von "Gegners", denen man möglichst kunstvoll aufs Maul | |
haut. | |
Tiziano und Christian betrachten das Ganze wie einen Film. Irgendwie | |
aufregend. "Ghetto und so weiter haben wir ja nicht so viel mit zu tun", | |
sagt Christian. Er rappt selbst manchmal. Darüber, wie er Schule schwänzt. | |
Würde er in Wirklichkeit natürlich nie machen. Die Sex-Geschichten von | |
B-Tight hält er für ähnlich fabuliert. Frauenarzt aber mag er nicht - | |
"bisschen eklig". | |
Frederik gefällt, dass der gegen die Emanzipation wettert. Er sieht in ihm | |
außerdem einen angesehenen Untergrundunternehmer, der sich nicht an große | |
Labels verkauft. Das tun viele, die seine Musik mögen. Frederik hat | |
Frauenarzt zum ersten Mal gehört, als er neun Jahre alt war. Im Radio. | |
Danach ist er auch auf all die anderen gestoßen. B-Tight etwa, wegen dem er | |
heute hier ist. Frederik hat nicht gekifft, er muss morgen arbeiten - als | |
Koch, draußen vor Berlin irgendwo, im Osten. | |
Eine seiner Ex-Freundinnen hat bei den Frauenarzt-Liedern manchmal | |
mitgesungen: "Fick mich und halt Dein Maul." Obwohl sie es ja eigentlich | |
war, die das Maul hätte halten sollen, dem Song zufolge. Zurzeit hat er | |
keine Freundin. Seine letzte, die war 14, hat er an seinen Kumpel verloren. | |
Frederik sagt, Musik wie die von B-Tight, hilft ihm. Wenn er mit seinen | |
Eltern Stress hat, dreht er einfach ganz laut auf: "Ich hasse dich." Er | |
schaut keine Pornos, sagt er, nur manchmal einen eigenen. Vor einem Jahr | |
kam ihn abends ein Kumpel in dem Hotel besuchen, wo er arbeitet. Der hatte | |
zwei Freundinnen dabei. Sie gingen auf ein Zimmer. Der Kumpel hat alles mit | |
dem Handy gefilmt. "Man muss sein Leben leben, jeden Tag", sagt Frederik. | |
Gerade kommt vorn ein Überraschungsgast auf die Bühne. Sido, der | |
erfolgreichste Aggro-Rapper. Er zündet sich einen Joint an, wirft ihn ins | |
Publikum und dann rappt er: "Ich bin ein schlechtes Vorbild." Frederik | |
nickt dazu. | |
6 Nov 2007 | |
## AUTOREN | |
Johannes Gernert | |
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