# taz.de -- Debatte RAF-Prozess: Mitangeklagt ist der Staat | |
> Bubacks Sohn vermutet ein Vertuschungskomplott beim Mord an seinem Vater, | |
> das es so wohl nicht gegeben hat. Geheimdienstelei führt aber zu genau | |
> solchen Annahmen. | |
Juristisch gesehen sitzt nur Verena Becker auf der Anklagebank, wenn an | |
diesem Donnerstag der Strafprozess in Stuttgart-Stammheim beginnt. Sie soll | |
1977 an der Ermordung des Generalbundesanwalts Siegfried Buback beteiligt | |
gewesen sein. | |
Doch dieser RAF-Prozess folgt nicht den üblichen Mustern der | |
Anti-Terror-Justiz. Moralisch muss sich auch der Staat verantworten. | |
Michael Buback, Nebenkläger und Sohn des Opfers, glaubt, dass Verena Becker | |
jahrzehntelang vom Sicherheitsapparat gedeckt wurde. Buback hat die | |
Bundesanwaltschaft und den Verfassungsschutz sozusagen auf die | |
Nebenanklagebank gesetzt. | |
Das schlechte Gewissen | |
Die Anklage gegen Verena Becker ist nicht Ausdruck einer ungebremsten | |
staatlichen Verfolgungswut gegen eine ältere, esoterisch gewordene Frau. | |
Vielmehr ist die Anklage die eher defensive Antwort der Ermittler auf die | |
seit 2007 massiv erhobene Forderung Michael Bubacks, endlich den Mord an | |
seinem Vater aufzuklären. Buback junior wurde immer mehr als das | |
personifizierte schlechte Gewissen der Behörde wahrgenommen, die den | |
Anschlag auf ihren ehemaligen Chef scheinbar vorschnell zu den Akten gelegt | |
hatte. | |
Schon bei der Grundfrage dieses Prozesses liegt Buback mit den | |
Bundesanwälten über Kreuz. Er ist fest davon überzeugt, dass Verena Becker | |
seinen Vater erschossen hat. Doch die Bundesanwälte werfen ihr nur das | |
Eintüten von Bekennerbriefen und ähnliche Kleinigkeiten vor. Für Buback ist | |
das ein Indiz dafür, dass weiter eine "schützende Hand" über Becker | |
gehalten wird. | |
Drei ehemalige RAFler kommen derzeit als Todesschützen in Frage. Die | |
Bundesanwälte gehen nach wie vor davon aus, dass Knut Folkerts geschossen | |
hat. Doch Folkerts selbst sagte 2007 in einem Interview, er sei am Tattag | |
nicht in Karlsruhe gewesen. Zeugen haben ihn abends in Amsterdam gesehen. | |
Auch das Gericht, das Folkerts 1980 als Mittäter des Buback-Mordes | |
verurteilte, ließ offen, ob Folkerts geschossen hat. Er war es wohl eher | |
nicht. | |
Seit 2007 steht auch Stefan Wisniewski im Verdacht. Sein Exkollege | |
Peter-Jürgen Boock hat ihn belastet. Ebenso Verena Becker 1981 in einer | |
lange geheimen Aussage beim Verfassungsschutz. Jüngst hieß es, er habe per | |
Telefon das Gelingen der Aktion gemeldet. Das macht ihn aber noch nicht zum | |
Todesschützen. Es gibt keine handfesten Spuren. Er war es wohl auch nicht. | |
Bleibt Verena Becker. Auch für sie gilt die Unschuldsvermutung. Doch | |
Michael Buback hat zahlreiche Zeugenaussagen zusammengetragen, die hinten | |
auf dem Motorrad keinen großen Kerl wie Folkerts und Wisniewski gesehen | |
haben, sondern eine zierliche Person. Verena Becker ist 1,64 groß und wurde | |
einige Wochen später gemeinsam mit dem mutmaßlichen Fahrer des | |
Tatmotorrads, Günter Sonnenberg, und der Tatwaffe im Gepäck festgenommen. | |
Es spricht einiges dafür, dass sie damals ein festes Team mit Sonnenberg | |
gebildet hat. Nur sechs Tage nach dem Buback-Mord wurden die beiden bei | |
einem RAF-Banküberfall in Köln gesehen. | |
Planmäßige Vertuschung? | |
Wenn man also annimmt, Becker war die Todesschützin, dann sind einige | |
Hinweise auf sie 1977 nicht ernst genug genommen worden. Auch hätte sich | |
die Polizei damals vorschnell auf Folkerts festgelegt und nach ihm | |
(gemeinsam mit Sonnenberg und Christian Klar) im Fernsehen gefahndet. Und | |
es hätte sich als Fehler entpuppt, dass Becker 1977 nur wegen einer | |
Schießerei bei ihrer Festnahme, nicht aber auch wegen des Buback-Mordes | |
angeklagt und verurteilt wurde. | |
Es ist aber ein Kurzschluss, daraus zu schließen, die Beteiligung von | |
Becker sei planmäßig vertuscht worden, wie Michael Buback das tut. Wer | |
sogar unterstellt, die Aussagen von Zeugen seien damals absichtlich falsch | |
oder gar nicht protokolliert worden, geht von einer großen Zahl an | |
Beteiligten aus. Ein so groß angelegter Vertuschungsversuch kann aber nicht | |
funktionieren. Und er wäre auch höchst unsicher gewesen, die RAF hätte | |
jederzeit sagen können, wie das Todeskommando wirklich zusammengesetzt war. | |
Misstrauen gegen den Staat | |
Viel wahrscheinlicher ist eine andere Erklärung: Verena Becker wurde damals | |
nicht wegen des Buback-Mordes angeklagt, weil man einen "schnellen und von | |
der Öffentlichkeit überschaubaren Prozess" haben wollte. Das jedenfalls | |
sagte der damalige Ankläger Joachim Lampe 2007 im taz-Interview. Becker | |
habe bei ihrer Festnahme in Singen "vor den Augen der ganzen Stadt" auf | |
Polizisten geschossen, um sie zu töten. Das habe für ein "lebenslang" wegen | |
mehrfachen Mordversuchs völlig genügt. Der Justiz steckte noch der | |
chaotische Stammheimer RAF-Prozess gegen Baader, Ensslin und Co. in den | |
Knochen. Nun wollte man endlich Handlungsfähigkeit beweisen. Der Prozess | |
gegen Becker dauerte nur wenige Wochen und endete, wie erwartet, mit der | |
Höchststrafe. | |
Auch ein überzeugendes Motiv für eine groß angelegte Vertuschungsaktion | |
zugunsten Beckers fehlt bis heute. Buback geht davon aus, dass Verena | |
Becker schon 1977 mit dem Verfassungsschutz kooperiert hatte und deshalb | |
gedeckt wurde. Das wäre zwar wirklich ein Riesenskandal. Es hieße | |
schließlich, dass der damalige Generalbundesanwalt unter den Augen oder | |
sogar mit Wissen des Geheimdienstes ermordet wurde. Doch wahrscheinlich ist | |
das nicht. Es gibt bis heute keinen stichhaltigen Beleg für diese These. | |
Dass Becker 1981/82 aus der Haft heraus mit dem Verfassungsschutz | |
kooperierte und heimlich Aussagen machte, war zwar sicher nicht hinderlich | |
für ihre Begnadigung 1989, ist aber überhaupt kein Beweis dafür, dass sie | |
schon 1977 Zuträgerin des Geheimdienstes war. | |
Am Ende des Prozesses wird Verena Becker wahrscheinlich (als Täterin oder | |
Helferin) verurteilt und der Staat kann vielleicht Bubacks Großverdacht | |
entkräften. Dass aber viele Menschen dem Anti-Terror-Apparat ein solches | |
Vertuschungskomplott ohne Weiteres zutrauen, sollte der Politik zu denken | |
geben. Es zeigt, dass zu viel Geheimdienstelei letztlich nicht der | |
Sicherheit dient, sondern nur die allgemeine Verunsicherung nährt. | |
CHRISTIAN RATH | |
29 Sep 2010 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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