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# taz.de -- Buch zum Fall Verena Becker: 200 Seiten, die Ärger machen werden
> Hatte das frühere RAF-Mitglied Verena Becker Kontakt zum
> Verfassungsschutz, als Buback ermordet wurde? Wolfgang Kraushaar stößt
> auf zahlreiche Ungereimtheiten.
Bild: Stuttgart-Stammheim, 7. Stock. Saß Verena Becker hier ein, um für den V…
War Verena Becker, früheres Mitglied der "Rote Armee Fraktion", Informantin
des Verfassungsschutzes? Und sollte es so gewesen sein, seit wann? Vor
allem aber: Hatte die Frau, die über die eher anarchistische "Bewegung 2.
Juni" zu den Militanten der RAF kam, im April 1977 Kontakt zum Geheimdienst
- zu jener Zeit also, als der Generalbundesanwalt Siegfried Buback und
seine beiden Begleiter in Karlsruhe erschossen wurden? Nach Michael Buback,
dem Sohn des ermordeten Behördenchefs, hat jetzt auch der renommierte
Sozialwissenschaftler Wolfgang Kraushaar vom Hamburger Institut für
Zeitgeschichte ein Buch herausgebracht, in dem er akribisch den
Widersprüchen und offenen Fragen im Fall Buback nachgeht.
"Verena Becker und der Verfassungsschutz" heißt der Band, der am Montag
veröffentlicht wurde. Die rund 200 Seiten werden noch eine Menge Ärger
machen. Vor allem der Bundesanwaltschaft und die Verfassungsschutzbehörden,
denen Kraushaar vorwirft, die tatsächlichen Hintergründe des Attentats auf
Deutschlands obersten Staatsanwalt systematisch verschleiert zu haben.
Reichlich Ärger dürfte es aber auch im gegenwärtigen Prozess gegen die
Beschuldigte Becker vor dem Oberlandesgericht Stuttgart geben. Kraushaars
Ausführungen werfen jede Menge neuer Frage auf.
Wer die Schlussfolgerungen des RAF-Biografen Kraushaar teilen mag, der muss
am Ende konstatieren, dass eine Mitarbeiterin des Verfassungsschutzes in
die Vorbereitung und Durchführung des Buback-Mordes eingebunden war - und
Verena Becker eine Topquelle der Verfassungsschützer in der Spitze der RAF
war. "Das ist in der Tat die Vermutung, die ich formuliere", sagte der
Autor jüngst in einem Interview mit dem Deutschlandfunk, "und die Indizien,
die ich dafür zusammentrage, ergeben ein Bild, das mir diesen Zusammenhang
erscheinen lässt". Wolfgang Kraushaar betont, ihm liege keine "smoking
gun", also kein stichfester Beweis für seine These, vor. Im Zuge der
Recherchen, schreibt er, sei es aber zu einer "derartigen Häufung von
offenen und verdeckten Hinweisen gekommen …, die die Annahme einer Deckung
Beckers durch staatliche Stellen nahelegen".
Die zusammengetragenen "Verdachtsmomente" vollständig aufzuzählen, würde
den Rahmen der Berichterstattung einer Zeitung sprengen. Kraushaar verweist
auf den Verzicht auf eine Anklageerhebung, obwohl bei Beckers Festnahme die
beim Buback-Mord verwendete Waffe sichergestellt wurde. Stutzig macht ihn
weiter, dass Becker trotz dringenden Tatverdachts aus der Fahndung nach
Bubacks Mördern herausgenommen wurde. Dass der spätere Generalbundesanwalt
Kay Nehm 1994 das BKA anwies, die Spurenakten im Mordfall Buback zu
vernichten, kann sich Kraushhaar nicht erklären, vor allem nicht die
Begründung, dies sei aus "Platzgründen" geschehen.
"Warum bleibt eigentlich auch Beckers Begnadigungsakte verschwunden?",
fragt Kraushaar. Aus dieser wäre immerhin ersichtlich, mit welchen
Argumenten sich Generalbundesanwalt Kurt Rebmann 1989 für eine Begnadigung
Beckers einsetzte und welche Stellungnahmen die hinzugezogenen Behörden
Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst abgegeben hatten.
Kraushaar erhebt nicht nur den Vorwurf, die Akten des Verfassungsschutzes
könnten manipuliert worden sein - so soll die Becker zugeschriebene
Aussage, Stefan Wisniewski habe auf Buback gefeuert, in den
Vernehmungsprotokollen des Bundesamtes für Verfassungsschutz gar nicht
enthalten sein. Er will auch wissen, was es mit den Berichten auf sich hat,
dass Verena Becker und ihr RAF-Genosse Günther Sonnenberg zum Zeitpunkt
ihrer Festnahme unter der Beobachtung eines Zielfahndungskommandos des BND
gestanden hätten. Der Politikwissenschaftler verweist auch auf einen
merkwürdigen Satz in Beckers Haftverfügung: "Den Beamten des
Bundeskriminalamtes - abt. TE - ist es gestattet, die Beschuldigte
jederzeit zu sprechen und zwecks Ermittlungshandlungen auszuführen."
Ungereimt bleibt auch, wann und wo Becker eigentlich in Haft einsaß. "Ihre
erste Station", schreibt Kraushaar, "war angeblich die Frauenhaftanstalt
Frankfurt-Preungesheim". Tatsächlich sei sie aber in Stuttgart-Stammheim
inhaftiert gewesen und habe dort Kontakt zu Gudrun Ensslin gehabt.
Kraushaar: "Auch hier drängt sich die Frage auf, ob das eigentliche
Interesse darin bestanden haben könnte, dass Becker eine Gelegenheit
gegeben werden sollte, die zweite Führungsfrau aus der RAF-Spitze
auszuhorchen."
Verena Becker hat sich 1981 an das Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz
gewandt und umfangreiche Aussagen gemacht. Das ist bekannt. Die als geheim
klassifizierten Akten zu diesen Aussagen liegen den Verfahrensbeteiligten
im Stuttgarter Prozess gegen Becker vor. Die Kölner
Verfassungsschutzbehörde hat mehrfach beteuert, zuvor keinerlei Kontakt zu
Becker unterhalten zu haben.
Wolfgang Kraushaar überzeugt das nicht. Er hegt den starken Verdacht, dass
Becker schon in ihrer ersten Haftzeit noch als Mitglied der "Bewegung 2.
Juni" im Sommer 1972 vom Berliner Landesamt für Verfassungsschutz
angeworben wurde. Kraushaar verweist auf die Umtriebe des Berliner
Verfassungsschutzes zur damaligen Zeit, die in der Verwicklung des Berliner
Landesamtes in die Ermordung des Studenten Ulrich Schmücker kulminierten.
Für den Hamburger Autor steht fest, dass Schmücker von Michael Grünhagen,
einem Mitarbeiter des Landesamtes, ebenso wie ein anderes Mitglied der
Zelle des 2. Juni zur Mitarbeit verpflichtet worden ist. Es war die Zelle,
der unter anderen auch Becker und ihre Freundin Inge Viett angehörten.
Grünhagen habe systematisch Festgenommene aus der Stadtguerilla in den
Haftanstalten aufgesucht und versucht, sie "umzudrehen".
In diesem Zusammenhang geht Kraushaar ausführlich auf einen Bericht ein,
den der DDR-Staatssicherheitsdienst am 2. Februar 1978 anfertigte. Darin
heißt es: "Es liegen zuverlässige Informationen vor, wonach die B. seit
1972 von westdeutschen Abwehrorganen wegen Zugehörigkeit zu terroristischen
Gruppierungen bearbeitet bzw. unter Kontrolle gehalten wird." Aussagen
ehemaliger Stasimitarbeiter, wonach "bearbeiten" und "unter Kontrolle
halten" nur die Beobachtung von Becker meint, nennt Kraushaar eher
unglaubwürdig.
Der Autor räumt ein, dass die Aussichten sehr gering sein dürften, seine
Überlegungen zu verifizieren. Abwegig sind sie aber nicht. Schützenhilfe
hat Kraushaar vom früheren Chefredakteur des Spiegels erhalten. Stefan Aust
sagte vorige Woche in einem Interview: "Wäre ich Michael Buback, der Sohn
des Opfers, der in diesem Prozess als Nebenkläger auftritt, würde ich diese
zentrale Frage stellen: Hatte Becker Kontakte zum Berliner
Verfassungsschutz?"
12 Oct 2010
## AUTOREN
Wolfgang Gast
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