Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Exterroristin in Frankreich: Jenseits aller Stammheimerei
> Seit 25 Jahren bietet "Debüt im Dritten" Nachwuchsfilmern einen
> Sendeplatz. Der starke aktuelle Jahrgang startet mit dem schonungslosen
> "Es kommt der Tag" (23 Uhr, SWR).
Bild: Trotzige Tochter: Katharina Schüttler als Alice.
Gibt es eigentlich Franzosen, die Filterkaffee trinken? Es gibt sie, sie
wohnen im Elsass und machen - Wein, natürlich. Doch die Idylle des
Familienunternehmens Muller & Fils ist getrübt, was weniger daran liegt,
dass das Weingut finanzielle Probleme hat. Dafür gibt es schließlich den
solventen Opa, der ein bisschen wie Wolfram Siebeck aussieht.
Das Problem seiner eingeheirateten Schwiegertochter Judith (Iris Berben)
ist dagegen schon schwerer zu lösen. Sie heißt nämlich gar nicht Judith,
wurde in Deutschland als Terroristin gesucht, ging in den Untergrund und
baute sich schließlich in Frankreich eine neue Existenz auf, Gatte und zwei
Kinder inbegriffen. Und dann ist da auch noch Alice, die Judith als
Kleinkind zurückließ, als sie für den Kampf gegen das System abtauchte.
Alice hat ihre Mutter erkannt, in einem Zeitungsbericht über genfreie Äcker
- Judith engagiert sich jetzt, ganz bürgerlich, in einer Bürgerinitiative.
Also macht sich Alice auf, sich ihr Glück zu holen, das ihr als Kind
versagt blieb - und sieht sich bald vor die Situation gestellt, dass es mit
dem eigenen Glück immer so eine Sache ist und es viel schneller geht, das
Glück anderer nachhaltig zu zerstören. Katharina Schüttler spielt diese
Alice mit so klarem Trotz, dass man sofort bei ihr ist: Sie hat recht,
Judith müsste sich eigentlich stellen, zumindest ihrer (neuen) Familie
eröffnen, was da alles mal war. Doch auch Judith zieht einen sofort in den
Bann: Kann man einem Menschen, der längst alles anders sieht und macht und
dabei weiter tief drinnen ständig für die Vergangenheit büßt, das neue,
gute Leben so einfach wegnehmen?
Was ein dickes Brett für jede RegisseurIn wäre, haut einen bereits deswegen
um, weil "Es kommt der Tag" ein Debütfilm ist - Susanne Schneider hat zwar
schon als Autorin für "Tatort" & Co. Beachtliches geleistet, doch beweist
sie sich mit ihrem zweiten Langfilm auch als Regisseurin ersten Ranges, und
das mit einem Sujet, das leicht in bleischwere Stammheimerei ausufern
könnte, aber teilweise ganz leicht und komödienhaft daherkommt und doch
immer schonungslos bei der Sache bleibt. Fast wie im Shakespeare'schen
Drama sind da die putzigen französischen Großeltern und die Sorge um
Mittagessen und Crémant das Gegengewicht zum richtig-falschen Leben.
Mit "Es kommt der Tag" startet die Jubiläumsstaffel des "Debüt im Dritten"
beim Südwestrundfunk (bis zum 1. 12. immer mittwochs, 23 Uhr), selten gab
es einen stärkeren Jahrgang - der preisgekrönte Film "Parkour" (Regie: Marc
Rensing) läuft in einer Woche, zusätzlich schenkt sich der SWR sogar eine
richtige Debütserie. "Alpha 0.7 - der Feind in dir", ein vernetztes Projekt
für TV, Radio und Internet läuft ab dem Wochenende (die taz wird gesondert
berichten).
Und während die Nachwuchsförderung längst nicht mehr bei allen Sendern
Selbstverständlichkeit ist, hat das "Debüt im Dritten" einen Status
erreicht, der es trotz empfindlicher Sparzwänge ungeschoren lässt. "Der SWR
steht hinter uns, die Zeichen im Haus stehen nicht auf Kürzung", sagt die
zuständige Redakteurin Stefanie Groß. (Was vielleicht auch damit zu tun
hat, dass Debütfilme dann ja auch nicht ganz so teuer kommen wie Serien von
Dominik Graf …).
Dazu kann sie auf höchst gelungene "Überführungen" ihrer DebütantInnen in
die große ARD-Primetime verweisen. Mit der kleinen, feinen
"Realitätsanpassung", wie Groß das nennt, weil im Ersten auch am
Mittwochabend die "Gesetze für das gestresste Massenpublikum" zu beachten
sind - "aber vom Ergebnis ist das doch nicht schlecht". Nein, ist es nicht.
Und deshalb halten wir es wie die französische Omi in "Es kommt der Tag",
heben unser Glas und sagen "Au Crémant!" - aufs Debüt im Dritten.
10 Nov 2010
## AUTOREN
Steffen Grimberg
## ARTIKEL ZUM THEMA
Buch zum Fall Verena Becker: 200 Seiten, die Ärger machen werden
Hatte das frühere RAF-Mitglied Verena Becker Kontakt zum Verfassungsschutz,
als Buback ermordet wurde? Wolfgang Kraushaar stößt auf zahlreiche
Ungereimtheiten.
Debatte RAF-Prozess: Mitangeklagt ist der Staat
Bubacks Sohn vermutet ein Vertuschungskomplott beim Mord an seinem Vater,
das es so wohl nicht gegeben hat. Geheimdienstelei führt aber zu genau
solchen Annahmen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.