# taz.de -- Trainer Bernd Schröder über das WM-Aus: „Der Scheiß fällt uns… | |
> Der Trainer von Turbine Potsdam stellt Bundestrainerin Neid ein | |
> „Armutszeugnis“ aus. Er fordert eine konstruktive Streitkultur, um den | |
> deutschen Frauenfußball nach der Niederlage voranzubringen. | |
Bild: Überhöhte Erwartungen? Fans vor dem Aus der deutschen Mannschaft | |
taz: Herr Schröder, wie geht es Ihnen? | |
Bernd Schröder: Die Sonne bringt mich wieder nach vorne, aber die | |
Enttäuschung über das Ausscheiden der deutschen Mannschaft, die sitzt schon | |
tief. Das kann man nicht so einfach wegdrücken. | |
Fühlen Sie keine Genugtuung? Sie waren lange der einzige Kritiker der | |
deutschen Elf, eigentlich müssten Sie sich doch bestätigt fühlen. | |
Es gibt keine Genugtuung, das bringt uns nicht weiter. Mir gehts nicht | |
darum anzuprangern. Mir geht es darum, konstruktive Diskussionen | |
anzuzetteln. Es geht doch um die Sache, um den Frauenfußball. Und die Sache | |
ist auf der Strecke geblieben. | |
Warum hat sich sonst niemand getraut zu meckern? | |
In unserer Gesellschaft gibt es keine Ehrlichkeit, sondern einen großen | |
Anteil von Heuchlern und Scheinheiligen. Die haben vielleicht dasselbe | |
gedacht wie ich, es sich aber nicht getraut zu sagen. Jetzt kommen Leute | |
aus ihren Löchern und kritisieren und wissen alles besser. Das sind | |
dieselben, die groß gejubelt hätten, wenn wir Weltmeister geworden wären. | |
Aber wir müssen uns auseinandersetzen. Ich habe ja auch nicht immer recht, | |
aber wir müssen den Wert konstruktiver Kritik im Interesse der Sache | |
schätzen lernen. | |
Diese Streitkultur muss der Frauenfußball noch lernen. Die Verantwortlichen | |
schienen überrascht, dass mit dem großen Medieninteresse plötzlich auch | |
Kritik kam, die sie nicht gewohnt waren. | |
Ja, das stimmt schon. Wenn man mediale Aufmerksamkeit provoziert, dann muss | |
man auch wissen, dass es passieren kann wie im Männerfußball – dass man | |
auch mal einen Knüppel auf den Kopf kriegt. Darauf waren einige nicht | |
vorbereitet. Wenn man sich aus dem Fenster lehnt, muss man auch wissen, was | |
man macht, wenn es nicht so rund läuft. Der Grat zwischen „Hosianna!“ und | |
„Kreuzigt ihn!“, der ist bei uns sehr schmal. Aber diese mediale Situation | |
ist ja eine Blase, die jetzt geplatzt ist. Plakataktionen wie „Dritte | |
Plätze sind was für Männer“ – so ein Scheiß fällt uns jetzt auf die F�… | |
Diesem Gegenwind müssen wir Traditionsklubs uns stellen im Interesse des | |
Frauenfußballs. Wir müssen aber den Blick nach vorne richten, das ist jetzt | |
wichtig. | |
Steffi Jones wird beim DFB den neu geschaffen Posten „Direktorin für | |
Frauenfußball“ übernehmen. Was muss sie tun? | |
Sie muss vor allen Dingen einen Konsens suchen mit allen verantwortlichen | |
Klubs, Bundesligatrainern und darüber hinaus. Wir müssen eine konstruktive | |
Diskussionskultur entwickeln und den konstruktiven Wert des Widerspruchs | |
beachten. Es kann nicht sein, dass alles, was die Bundestrainerin sagt, | |
Gesetz ist. Man muss auch sehen, ob das Umfeld der Bundestrainerin, die | |
Zusammensetzung des ganzen Stabes stimmt. | |
Welche Fehler werfen Sie der Bundestrainerin vor? | |
Die Art und Weise, wie wir vom ersten Spiel an aufgetreten sind, hat mich | |
nachdenklich gemacht. Fußball ist keine Naturwissenschaft, da kann immer | |
mal alles passieren. Aber wenn die Nationaltrainerin sagt, wir hätten noch | |
drei Stunden spielen können, ohne ein Tor zu schießen, dann dass ist das | |
für mich ein Armutszeugnis, dass mir als Trainerin nichts mehr einfällt. | |
Das muss nicht an Silvia Neid liegen, das kann auch in der Mannschaft | |
liegen, wenn man keine spielgestaltenden Kräfte hat. | |
Die deutsche Mannschaft war zu eindimensional? | |
Ja, in diesem Spiel gegen Japan. Das System, in dem die deutsche Mannschaft | |
gespielt hat, das 4-2-3-1, das war erfolgsorientiert und hat ja auch lange | |
funktioniert. Aber wir hätten aus dieser Starrheit rauskommen müssen. | |
Moderner Fußball heißt, dass man auch verschiedene Systeme spielen kann. | |
Ich spreche nicht gern im Konjunktiv: Aber man hätte mit zwei Stürmern | |
kommen können gegen Japan, man hätte auch mit drei Stürmern kommen können. | |
Ich sage Ihnen, die Schwedinnen werden anders spielen: Die werden ein | |
Angriffspressing aufziehen, dass die Japanerinnen hinten gar nicht groß | |
spielen können. | |
Die Deutschen sind also verdientermaßen draußen? | |
Wir wussten, dass wir keine Mannschaft hat, die filigranen Fußball spielt. | |
Aber wir haben immer gesagt: Unsere Mannschaft hat eine gute | |
Zusammensetzung, wir sind in der Lage, Weltmeister zu werden. Dazu stehe | |
ich auch heute noch. Und wenn man die Zeit zurückdrehen könnte, dann würden | |
wir das Spiel sicher anders spielen. Aber das ist ja nun vorbei. | |
Mit der Niederlage gegen Japan wurde auch die Olympia-Qualifikation für | |
2012 verpasst. Ist das ein Problem? | |
Das ist das Schlimmste, was ich mir vorstellen kann. Das ist tragisch. Das | |
wirft uns zurück. Wir haben alle dafür gekämpft, dass Frauenfußball | |
olympisch wird. Olympische Spiele sind für die Nationalspielerinnen | |
großartige Erlebnisse, wenn sie mit Topsportlern anderer Disziplinen | |
zusammenkommen. Einige haben noch nicht erkannt, was das bedeutet, nicht | |
bei den Olympischen Spielen dabei zu sein. Gerade hier bei uns am | |
Olympiastützpunkt sind schon vor zwei Jahren die olympischen Kader berufen | |
worden für all die Sportarten, die hier betrieben werden. Wir haben | |
Weltklassekanuten, -schwimmer und -leichtathleten hier, die trainieren | |
jetzt schon für London – und unsere Fußballspielerinnen sehen das jeden | |
Tag, sind aber selbst nicht dabei. Wenn dann von der Nationaltrainerin | |
gesagt wird, das ist doch nicht so schlimm, wir haben doch in anderthalb | |
Jahren die Europameisterschaft, dann ist das nicht durchdacht. Für die | |
Mädels ist Olympia immer noch das Größte. | |
Ist denn Ihr Potsdamer Modell, die Zusammenarbeit mit einer Eliteschule des | |
Sports, zukunftsträchtig? Oder sollten die Männer-Bundesligisten vom DFB | |
verpflichtet werden – analog zu den Männernachwuchsakademien -, auch | |
Frauenakademien aufzubauen? | |
Das wird sich ja zeigen, ob die Leute, die vor der WM gekräht haben, auch | |
nach dieser WM noch Engagement zeigen, ob Männer-Bundesligisten überhaupt | |
noch Interesse an der Entwicklung haben. Das sieht man doch am Hamburger | |
SV: Die hatten plötzlich eine Kürzung im Männerbereich und das geht dann | |
1:1 in den Frauenbereich. Dann sind Spielerinnen wie Kim Kulig nicht mehr | |
zu halten. Noch ein Beispiel: Ein 1.FC Köln spielt zwar Frauenfußball, aber | |
auch nur halbherzig. | |
Was tun? | |
Es muss wahrscheinlich jeder seinen eigenen Weg gehen. Aber | |
Zwangsverpflichtungen funktionieren nicht, wenn die Klubs nicht bereit | |
sind, das mit Herz und Leidenschaft zu machen. Im Frauenbereich müssen sie | |
ganz andere Strukturen entwickeln. Bei den Jungs wissen sie genau, das | |
werden Profis. Bei den Mädchen wird das noch ewig dauern, wenn es überhaupt | |
je zum Vollprofitum kommt. Also muss man da Lehrstellen besorgen, muss man | |
sich mit Laufbahnberatung beschäftigen wie an den Olympiastützpunkten. Da | |
kann man nicht einfach was aufpropfen, man braucht eine viel größere | |
Sensibilität. Ich bin lange genug im Geschäft, ich kann ihnen verraten: Das | |
ist ein ungeheurer Aufwand, den wir hier betreiben, um das ganze Umfeld | |
abzudecken. Frauenfußball ist viel komplizierter als Männerfußball, wo die | |
Strukturen ganz andere sind. | |
Braucht der Frauenfußball nicht bald das Vollprofitum? | |
Man tut ja immer so, als wäre ich gegen das Profitum. Das ist doch Quatsch. | |
Was wir brauchen, sind Mischmodelle. Wir haben mit Spielerinnen wie Yuki | |
Nagasato, die aus dem Ausland kommen, ja auch Vollprofis. Aber Profi heißt | |
nicht unbedingt, den ganzen Tag Fußball zu spielen. Da muss ich mich bei | |
Kollegen wie Siegfried Dietrich vom 1. FFC Frankfurt schon fragen, in | |
welcher Welt der lebt. Wir haben die amerikanische Profiliga als | |
abschreckendes Beispiel doch immer vor Augen: Das funktioniert immer nur | |
ein paar Jahre, aber es fehlt der Unterbau. Fragen sie doch mal in | |
Frankfurt, was die für den Nachwuchs tun. | |
Das ist in Potsdam anders? | |
Aber ja. Professionell bedeutet gerade, dass wir Modelle brauchen, die | |
beide Seiten absichern, den Sport und die Ausbildung. Auch wir trainieren | |
dreimal am Tag professionell, aber zwischen den Trainingseinheiten gehen | |
die Spielerinnen in die Schule oder zu ihrer Lehre, oder sie arbeiten ein | |
paar Stunden in ihrem Beruf. Das bedeutet ja nicht, dass der Fußball auf | |
der Strecke bleibt, man muss es nur gut organisieren. Denn wenn die über 30 | |
sind, dann beginnt der Katzenjammer: Dann müssen sie raus ins Leben, denn | |
sie werden im Normalfall nicht genug verdient haben, dann müssen sie was | |
gelernt haben. Eine Birgit Prinz, die jetzt in aller Munde ist, die hat das | |
schon vor Jahren erkannt: Die hat eine Lehre gemacht, die hat ihr Studium | |
gemacht, die kann jetzt ins Leben gehen. | |
12 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Thomas Winkler | |
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