# taz.de -- Kolumne Das Schlagloch: Dresscodes und Dribblings | |
> Frauen machen beim Fußball all das, was Männer auch machen, zum Beispiel | |
> Rotzen und Faulen. Zeit, mit einem Mythos aufzuräumen. | |
Den Aufstieg des Frauenfußballs in der Mediengunst begleitete eine Mythe, | |
die sich ungefähr in dem Satz ausdrückte: Frauen spielen den schöneren | |
Fußball. Frauen foulen weniger. Frauen verwechseln Fußball nicht mit Krieg. | |
Frauen denken beim Fußballspielen nicht ans Geld. Und Frauenfußballfans | |
jeglichen Geschlechts finden nicht zwischen Rülpsern zu Nazi-Sprüchen, | |
behängen nicht ihr Eigenheim und ihren tiefergelegten Wagen mit | |
Deutschlandfahnen. Das alles stimmt doch, oder? Mit ein paar | |
Einschränkungen, vielleicht? Ein klein bisschen wenigstens? | |
Tut mir leid. Schon nach ein paar Tagen Frauenfußball-WM im Fernsehen und | |
im Leben war klar: Frauenfußball ist wie Fußball, nur eben mit Frauen. Und | |
die dopen, rotzen, rüpeln, foulen, betrügen und denken an den eigenen | |
Marktwert. Die einen mehr, die anderen weniger. Die Fans sind | |
nationalistisch, rassistisch, besoffen und verblödet, auch mehr oder | |
weniger. Und man weiß nicht recht, ob das alles nun gut oder schlecht ist. | |
Nur sehen, bitte schön, sehen sollte man es schon. | |
Denn es führt direkt ins finstere Herz der gesellschaftlichen | |
Verständigung, derzeit. Und es tut sich etwas in einem bemerkenswerten | |
mythischen Dreieck: Fußball, Geschlecht, Nation. Fußball war ja einst mehr | |
als eine "Männersportart", es war eine Sportart zur Konstruktion von | |
Männlichkeit. Und er war eine Sportart zur Erzeugung einer meta-politischen | |
"Identität". Das reicht von der zivilen Treue eines Menschen zu seinem | |
Verein über den Nachkriegsmythos des legendären Sieges der | |
Nationalmannschaft zu einem "Wir sind wieder wer", bis zum rassistischen | |
Gegröle der Hooligans von heute. | |
Körper erzeugen Fußball, und Fußball erzeugt Körper. Aus dem "Alle | |
Fußballspielerinnen sind Lesben"-Status sind wir heraus, der sicherte noch | |
einmal, kurz vor knapp, die Männlichkeitskonstruktion des Sportes ebenso | |
wie das offensichtlich strukturelle Verbot, an die Möglichkeit schwuler | |
Fußballer auch nur zu denken. Aber alles ändert sich, am Ende sogar der | |
Fußball. | |
## Im Sexshop tragen die Puppen Reizwäsche in Schwarz-Rot-Gold | |
Der Motor für diese Konstruktion ist vor allem: Frauenfußball hat Erfolg, | |
nicht nur sportlich, sondern auch medial. Und dann kommt man auch als | |
gewöhnlicher Reaktionär einigermaßen in die Klemme. Denn mag nun | |
Frauenfußball auch der Konstruktion der Männlichkeit in gewohnter Weise | |
widersprechen, so wird er gleichzeitig enorm bedeutsam für die Konstruktion | |
des Nationalismus. Eine "Überlegenheit" muss mit der anderen kompensiert | |
werden. | |
Gelegentlich wirft diese neue Verbindung von Sport, Gender und | |
Nationalismus so ihre Blasen. Im Sexshop um die Ecke tragen die | |
Schaufensterpuppen "Reizwäsche" in Nationalfarben und haben einen Fußball | |
vor sich liegen. Deutschlandfahnen gibt es auch im Süßwarenladen. | |
Sprachlich haben wir uns offensichtlich darauf geeinigt, dass auch Frauen | |
als Fußballerinnen eine "Mannschaft" bilden, vor allem wenn es um die | |
"deutsche Mannschaft" geht. Über den Umweg der Nation konstruieren | |
tatsächlich offensichtlich auch Frauen im Fußball "Männlichkeit" - oder | |
eben "Mannschaftlichkeit". | |
Es ist also möglicherweise ein Umbau der Kern-Mythologie unserer | |
Gesellschaft im Gange, nach der Tancredi-Art: Es muss sich einiges ändern, | |
damit alles so bleiben kann, wie es ist. Die Frage ist: Wie nachhaltig ist | |
diese Umgestaltung der Sinnstiftung durch Fußball? Ist der Frauenfußball | |
endgültig Teil der nationalen Mythologie? | |
Die Antwort auf Verwerfungen zwischen den unterschiedlichen Aspekten des | |
Körpers - der Körper soll eine Leistung bringen (und zeigen), der Körper | |
soll ein Geschlecht haben, und der Körper soll "zugehörig" und politisch | |
codiert sein - ist in Deutschland ein Modelabel. Es heißt: Jack Wolfskin. | |
Die Geschlechterfrage ist durch Jack Wolfskin dahingehend gelöst, dass es | |
mehr oder weniger keinen Unterschied mehr gibt. So gelingt die mythische | |
Vereinigung des Sportiven, Aktiven, des sich bewegenden und fordernden | |
Körpers, und des "Lässigen" und Bequemen, der Passivität des | |
Sich-gehen-Lassens. Jack Wolfskin trägt man, weil man sich gerade bewegt, | |
in die Natur und in den öffentlichen Raum hinein, und weil man es damit | |
nicht übertreibt und mit einem Teil seiner selbst auch schon wieder zuhause | |
ist. Begehren, Angst, Fantasie, Neugier - alles weg. Als wäre die Synthese | |
zwischen dem "Sportswear" des Yuppies und dem Trainingsanzug des | |
Frührentners gelungen. | |
## Klasse statt Geschlecht | |
Dabei ist das Zeug nicht billig: Zugleich mit der Distinktion nach unten | |
ist die Marke freilich auch Abgrenzung gegen "Modischkeit" und Glamour nach | |
oben. Jack-Wolfskin-Träger sind vernünftig, bescheiden, selbstbewusst und | |
positiv. | |
Nun also die letzte Frage: Was haben Jack-Wolfskin-Klamotten und eine | |
Frauenfußballweltmeisterschaft miteinander zu tun? In beiden Fällen geht es | |
um eine Neukonstruktion des Körpers, der seine traditionellen | |
Unterscheidungsmerkmale von weiblich/männlich bis zu einem gewissen Grad | |
ablegt. Es handelt sich also um die geduldete, ja erlaubte und | |
möglicherweise nun auch geforderte Queerness des deutschen Kleinbürgers, | |
die im Übrigen eine vollkommen pragmatische ist. Je weniger "männlich" und | |
"weiblich" sinn- und identitätsstiftend wirken soll, desto wichtiger werden | |
andere Distinktionswerte. So wird der Frauenfußball nationalisiert und Jack | |
Wolfskin zur Klassen-Klamotte. Man richtet sich in neuen Sprachen ein; | |
weniger aus Überzeugung, mehr aus Bequemlichkeit. | |
Frauen können alles, was Männer können. Das muss Eingang finden in die | |
Dresscodes und die Sport-Events, in die nationale Mythologie und die | |
Körper-Konstruktionen. | |
Das Geschlecht ist hier suspendiert, auch, weil es sonst an allen Ecken und | |
Enden als ungelöstes Problem auftaucht. Entgeschlechtlichung durch | |
emotionale Recodierung - im Dienste der wirtschaftlichen Effizienz und der | |
reibungslos funktionierenden Eventkultur. Ein Fußball, ein | |
Deutschland-Fähnchen und ein Jack-Wolfskin-Anorak können da nie schaden. | |
13 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Georg Seesslen | |
## TAGS | |
WM 2011 – Mixed Zone | |
Fußball | |
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