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# taz.de -- taz-Serie Berliner Bezirke (7): Mitte: Der Alte und die Neue
> In Berlin-Mitte wird der SPD-Bürgermeister von einer grünen
> Exbundesministerin herausgefordert. Zur Wahl stehen damit die verwurzelte
> Innensicht und der Blick von außen.
Bild: Von hier hat man den besten Überblick über den Bezirk Mitte: Fernsehtur…
Es ist das Duell dieses Wahlkampfs. Auf der einen Seite der Bürgermeister,
seit Jahren im Amt. Ein Sozialdemokrat, der es noch mal wissen will. Auf
der anderen die Gegenkandidatin, vor Jahren mal Bundesministerin. Eine
Grüne, die das Amt übernehmen will. Aber es geht nicht um Klaus Wowereit
und Renate Künast. Es geht um Christian Hanke, den Bezirksbürgermeister von
Mitte. Und um Andrea Fischer, die einstige Bundesgesundheitsministerin.
Christian Hanke ist seit 2006 im Amt. Und der 50-Jährige möchte noch fünf
Jahre weiterregieren, mindestens. Gerade macht der Sozialdemokrat ein paar
Tage Urlaub. Zeit für einen Kaffee findet er dennoch. "Kennen Sie das
Schraders?", fragt Hanke. Es liegt hoch oben im Wedding. Ein paar hundert
Meter weiter, und man wäre in Reinickendorf. In dem Altbauviertel gibt es
auffällig viele Trödelläden. Leere Mietwohnungen werden mit Werbeschildern
an den Fassaden angepriesen. Eckkneipen heißen hier noch Destille. Da geht
das Schraders locker als Szenelokal durch.
Hanke, ein großer schlaksiger Typ mit schwarzem Shirt, schwarzer Jeans und
schwarzem Schnurrbart, trinkt einen großen Kaffee - schwarz. Hanke lebt im
Wedding. Hier kennt er sich aus. Er ist aufgewachsen in Reinickendorf, hat
studiert an der FU in Dahlem, war Lehrer in Spandau. Weiter weg hat ihn
sein Lebenslauf nicht geführt. Er ist Bezirkspolitiker im Wedding, seit
über 25 Jahren. Reich war das Stadtviertel nie. Dafür sozialdemokratisch.
Heute vor allem: migrantisch.
Hanke sieht das als Chance. Sicherlich gebe es auch Probleme. Etwa 20
Prozent der türkischen Community lebe sehr religiös, sehr prekär, sehr
bildungsfern, schätzt der Bürgermeister. Aber 80 Prozent eben nicht. "Auch
unter Migranten gibt es eine hedonistische Mittelschicht", sagt er. Man
müsse mehr über diese Potenziale reden. Der Bezirk Mitte sei ein
Experimentierkessel für Deutschland als Einwanderungsgesellschaft.
Neuerdings wandern Studenten und Künstler in den Wedding. Und die jungen
Leute blieben auch. "Das merkt man schon an der steigenden Geburtenrate",
sagt Hanke. Er spricht von Aufwertungsprozessen, "die ich auch möchte".
Doch eins sei klar: So wie in Prenzlauer Berg oder Friedrichshain soll der
Wedding nicht werden.
Die große Frage sei: "Wie können wir die soziale Mischung halten?" Hankes
Antwort sind "gentrifizierungsresistente Inseln", beispielweise das
Ex-Rotaprint-Gelände an der Wiesenstraße. Nach langen, zähen Verhandlungen
konnte eine von Nutzern gegründete gemeinnützige GmbH das landeseigene
Areal in Erbpacht übernehmen. So wurde dauerhaft Platz für Kleingewerbe,
Künstler und Sozialprojekte gesichert, wo einst Druckmaschinen hergestellt
wurden.
Ganz im Süden des Großbezirks Mitte, an der Friedrichstraße, hat Andrea
Fischer Zeit für einen Kaffee gefunden. Gentrifizierung ist hier kein
Problem, sondern ein nahezu abgeschlossener Prozess. Der Kaffee wird im
Glas serviert, mit Schaum. Aber die Ortswahl soll kein Statement sein.
Fischer ist einfach nur pragmatisch. Das Café liegt in der Nähe der
taz-Redaktion.
Anders als Hanke hat sie keinen emotionalen Bezug zum Bezirk Mitte. Die
51-Jährige ist in Nordrhein-Westfalen aufgewachsen. Sie war von Ende 1998
bis Anfang 2001 Bundesgesundheitsministerin in der ersten rot-grünen
Koalition, aber ist seit zehn Jahren raus aus der aktiven Politik. Sie ist
Berlinerin, "seit 30 Jahren mit Haut und Haaren", aber sie wohnt nicht in
Mitte. Ein Problem sei das nicht. Im Gegenteil: Die Meinung, man müsse
jeden Pflasterstein kennen, findet sie provinziell.
Was nicht heißt, dass sie sich nicht dafür interessieren würde. Sie lernt.
Sie staunt. Sie begeistert sich für Lokalpolitik. Ihre Hände fliegen durch
die Luft, wenn sie von den zahlreichen Menschen schwärmt, die sie getroffen
hat, seit sie von der grünen Bezirksgruppe gebeten wurde, als
Bürgermeisterkandidatin anzutreten. Da war der türkische Vater, der sich
für Elternarbeit an einer Schule in Moabit einsetze; die Schulleiterin, die
ausstrahle, dass sie gern in dem angeblichen Problemkiez lebe; die
Anwohnerinitiative im Brüsseler Kiez, die den Mittelstreifen einer Straße
bepflanzt habe. "Die wollen, dass es gut ist, wo sie wohnen", sagt Fischer.
Berlin habe vielleicht kein klassisches Bürgertum, es gebe weniger
Schickimicki-Charity. Aber im Kleinen, hat Fischer gelernt, sei das
Engagement ganz groß.
Konkrete Lösungen hat sie nicht parat. Noch nicht. Sie sagt: "Soweit ich
das bisher verstanden habe." Oder: "Nach allem, was ich gerade lerne." Im
Wedding hätten ihr zum Beispiel viele Leute erzählt, dass sie verunsichert
seien. Andere aber hätten das Gefühl, da gehe endlich mal was voran. Um
diese höchst unterschiedliche Wahrnehmung zu verstehen, meint Fischer,
müsse man mal eine Veranstaltung machen. Vor Ort eine Lösung finden. Mit
den Betroffenen.
Inhaltlich liegen Fischer und Hanke nicht weit auseinander. Es ist eher
eine Frage der Schwerpunktsetzung. Wenn er freie Hand hätte, sagt Hanke,
dann würde er als Erstes junge Leute in der Verwaltung einstellen. Dort sei
der Altersdurchschnitt viel zu hoch. Fischer hingegen sagt: "Mich
interessiert am meisten die Brücke." Die Überwindung der großen Kluft
zwischen den wohlhabenden Vierteln in Alt-Mitte und den ärmeren in Wedding
oder Moabit. Und während sie das sagt, finden ihre wild gestikulierenden
Hände zusammen. Erst die Mittelfinger, dann die Ringfinger, zum Schluss die
Zeigefinger.
Auch zwischen SPD und Grünen wäre eine Brücke hilfreich. Sie fremdeln
miteinander. Zwar gab es im Bezirksparlament in den letzten Jahren eine
Kooperation zwischen den beiden Fraktionen, schon um pragmatisch den
Haushalt verabschieden zu können. Aber richtig warm sind Rot und Grün nicht
miteinander geworden. "Das Verhältnis zu den Grünen ist sehr
personenabhängig", sagt Hanke. Fast wortgleich ist die umgekehrte
Einschätzung aus der Grünen-Fraktion. Freundschaftsbekundungen klingen
anders.
Der Unterschied liegt auch im politischen Selbstverständnis. "Die SPD",
sagt Hanke, "ist in Mitte überall vertreten." In Ortsvereinen. Bei
Projekten. Auf Stadtteilfesten. Den Grünen ist das ein bisschen zu viel
Verwurzelung. Die SPD sei so sehr mit den örtlichen Strukturen verbandelt,
die betrachte alles fast schon als ihr Eigentum, sagt Fischer.
26 Jul 2011
## AUTOREN
Gereon Asmuth
## TAGS
Schwerpunkt Wahlen in Berlin
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