# taz.de -- taz-Serie Berliner Bezirke (8): Treptow-Köpenick: Gesucht: Ein Mit… | |
> Die Köpenicker Altstadtinsel soll das kulturelle Herz von | |
> Treptow-Köpenick sein. Schloss, Wasser und Geschichte sind vorhanden. | |
> Über den Rest gibt es reichlich Streit. | |
Bild: Oh, wie schön ist Köpenick: Harald Juhnke als Hauptmann. | |
Früher erzählte man in der Köpenicker Altstadt gern diesen Witz: "Wie bist | |
du denn auf die andere Seite der Grünstraße gekommen?" - "Ich bin dort | |
geboren". Bis zu 40.000 Pkws, Lkws und Schwerlasttransporter donnerten | |
täglich durch die schmale Straße neben dem legendären Rathaus, dazwischen | |
ratterte die Straßenbahn. Einwohner und Ladenbesitzer stöhnten bis in die | |
90er über den vielen Verkehr. Inzwischen ist die Grünstraße Fußgängerzone, | |
und manch ein Händler stöhnt nun über den fehlenden Verkehr. "Warum lasst | |
ihr unsere wunderschöne Altstadt sterben", fragte ein Boulevardblättchen | |
vor Kurzem. In Wirklichkeit sind die Befindlichkeiten auf der Insel im | |
Südosten Berlins weit facettenreicher. | |
Drei Geschäfte aus der Zeit der vielbefahrenen Grünstraße haben bis heute | |
überlebt: Die Bücherei, der Augenoptiker und das Mode-Eck von Renate Reich. | |
"So schlimme Zeiten wie jetzt hatten wir noch nie", sagt Reich. Im | |
Schaufenster baumelt eine goldene 30: Seit 1981 verkauft sie | |
Damenbekleidung. Bis Mitte der Neunziger seien die Geschäfte bestens | |
gelaufen. Doch inzwischen kauften 30 bis 40 Prozent weniger Kundinnen ein. | |
Die Schuldigen sind schnell bestimmt: "Die Politik muss uns helfen", sagt | |
Reich. Wenn es nach ihr ginge, würde die Fußgängerzone wieder abgeschafft. | |
Die Köpenicker, die hier einkaufen wollen, sollten bis zu zwei Stunden in | |
der Grünstraße parken dürfen. "Herr Hölmer setzt völlig auf Gastronomie und | |
Kultur", prangert Renate Reich an. "Und wir alteingesessenen | |
Gewerbetreibenden werden vertrieben." | |
Rainer Hölmer (SPD) ist der Baustadtrat im Bezirk. Die alten Zeiten wünscht | |
er sich nicht zurück: "Es mag bedauerlich für den einen oder anderen Laden | |
sein, aber die Zukunft der Altstadt ist deutlich tourismusorientierter." | |
Die 1.000 Einwohner der Altstadt würden nun einmal nicht reichen, um die | |
Geschäfte am Leben zu halten. Für eine Einkaufsmeile wie in der nahe | |
gelegenen Bahnhofsstraße fehlten der kleinen Altstadtinsel schlicht die | |
Voraussetzungen. | |
Tatsächlich gab bei einer Umfrage der Hochschule für Technik und Wirtschaft | |
fast die Hälfte der Befragten an, dass die Parkplatzsuche zu schwierig sei | |
für einen Besuch in Alt-Köpenick. "Man darf die Altstadt aber auch nicht | |
schlechter reden, als sie ist", sagt Hölmer. "Etwas mehr Eigeninitiative" | |
wünscht er sich unisono mit seinem Parteigenossen Oliver Igel. Der ist noch | |
keine 35 und rechnet sich bei den Wahlen gute Chancen fürs Amt des | |
Bezirksbürgermeisters aus. Die Dynamik, die er ausstrahlt, verlangt er auch | |
von den Altstädtern: "Die Gewerbetreibenden lassen es zum Teil sehr an | |
Motivation und Optimismus vermissen." | |
Helmut Krisch kann der Bürgermeisterkandidat damit nicht meinen. 50 Meter | |
vom Mode-Eck entfernt steht er hinter der Theke des kleinen | |
Schokoladenladens, den seine Frau seit einem Jahr führt. "Wenn man sich | |
aufs Bezirksamt verlässt, ist man verlassen", sagt Krisch. Ihnen gehe es | |
aber trotz aller Parkprobleme wirtschaftlich gut, kleine handgemachte | |
Pralinen wie der "Hauptmann-Taler" und die "Zille-Pille" seien der Renner | |
bei den Touristen. Hier in der Altstadt müsse man sich eben etwas einfallen | |
lassen, findet Krisch. | |
Am anderen Ende der Grünstraße, jenseits von Schlossplatz und der tosenden | |
Müggelheimer Straße, sitzt Petra Reichardt vor dem Mutter Lustig. Das | |
kleine Café mit Blick aufs Schloss direkt am Wasser ist für sie ein | |
Geheimtipp. Reichardt lebt seit 1987 in Köpenick, seit 1992 sitzt sie für | |
die Linke in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV). Die 62-Jährige kämpft | |
seit dem Mauerfall für den Erhalt der Altstadt. Und was seitdem alles | |
passiert sei! "Bei allem Gejammere ist das doch ein Unterschied wie Tag und | |
Nacht", sagt Reichardt. Rund um das Rathaus, wo einst Schuhmacher Wilhelm | |
Voigt zu seinem genialen Hauptmann-Streich aufmarschierte, verfielen bis | |
1989 die historischen Altbauten und das barocke Schloss. Nach der | |
politischen Wende sind mehr als 100 Millionen Euro Sanierungsgelder auf die | |
Altstadtinsel geflossen. | |
"Man muss die Altstadt kompakt sehen, die Leute kommen doch nicht wegen | |
einem einzelnen Geschäft her", sagt Reichardt. Genau wie Baustadtrat Hölmer | |
träumt sie von "niveauvollen Kulturveranstaltungen" wie dem alljährlichen | |
Jazzfestival, von besonderen Geschäften und Cafés, von einer gemeinsamen | |
Werbeinitiative der ansässigen Händler. Reichardt träumt nicht nur, sie | |
packt auch an: Im letzten Dezember hat sie Schulen, Gewerbetreibende und | |
Ämter für einen "lebenden Adventskalender" an einen Tisch geholt. Leicht | |
war das nicht, erinnert sie sich, so mancher Altstädter koche nach vielen | |
Enttäuschungen inzwischen lieber sein eigenes Süppchen. Aber pünktlich ab | |
dem 1. Dezember erstrahlte in der Altstadtbibliothek Tag für Tag ein | |
Fensterchen, in Geschäften und Verwaltung gab es wechselnde Aktionen. "Wie | |
stolz da alle auf ihre Altstadt waren", sagt Reichardt. | |
Zur Altstadtkonferenz im März dieses Jahres war die Einigkeit schon fast | |
wieder vergessen. "Da traten Konflikte zutage, die mir fast peinlich | |
waren", erzählt die BVV-Frau. Während sich einige Gewerbetreibende in der | |
"Interessengemeinschaft Altstadt" zusammenrauften, wollten sich die Beamten | |
aus Stadtentwicklung, Wirtschaftsverwaltung und Grünflächenamt nicht einig | |
werden: Wie können mehr Parkplätze geschaffen, wie attraktivere Feste | |
gefördert werden und wie gelingt es, eine Anlegestelle für Wassertouristen | |
zu finanzieren? Dazu kommen noch die privaten Eigentümer, die irgendwo im | |
Rest der Republik wohnen und sich nie mit den anderen an den runden Tisch | |
setzen wollen. Zumindest eines hat die Konferenz aber doch gebracht: | |
Baustadtrat Hölmer will noch vor der Wahl ein Leitbild für die Zukunft der | |
Altstadt vorlegen. | |
Über dem Rathaus steht die Sonne inzwischen im Zenit, auf dem Schlossplatz | |
füllt sich der Biergarten der "kleinsten Brauerei Deutschlands". Die Möwen | |
kreischen über dem Fluss, und in der Fischbude sind die Brötchen alle. | |
"Waren so viele Touristen heute da", sagt die Verkäuferin entschuldigend. | |
Jeder Sonnentag ist halt ein guter Tag für die Köpenicker Altstadt. Ein | |
Tag, an dem Händler, Gastronomen und Politiker versöhnlich in die Zukunft | |
schauen. Insel-Kämpferin Petra Reichardt wird sogar ein wenig bescheiden: | |
"Die Köpenicker Altstadt spielt im Bezirk eine so große Rolle, dass wir | |
schon fast ein schlechtes Gewissen haben." Die Treptower gebe es ja | |
schließlich auch noch. | |
28 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Manuela Heim | |
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