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# taz.de -- taz-Serie Berliner Bezirke (12): Reinickendorf: Der Schandfleck
> Im Herzen von Reinickendorf liegt seine peinlichste Investitionsruine:
> die Insel im Tegeler Hafen. Seit 25 Jahren bereitet sie allen
> Kopfzerbrechen.
Bild: Der moderne Flügel des Rathauses inm Reinickendorf
Natürlich kommen Leute, die fragen, was das soll. Ob das immer so aussieht.
Für die hält Gabi Zbierski in einem blauen Ordner Presseausschnitte über
die Insel bereit. Den Schandfleck. Dabei preist Zbierski, die am
Infoschalter des Bezirksamts in der Humboldt-Bibliothek Touristen berät,
lieber die Vorzüge von Tegel: das Grün, das Wasser, die Parkanlagen.
"Schauen Sie mal", sie zeigt aus dem Fenster auf Trimm-dich-Geräte, "die
hat der Bezirk neu für Senioren aufgestellt."
Und es stimmt: Der Reinickendorfer Ortsteil Tegel, unter
Innenstadt-Hipstern als spießig verlacht oder gänzlich unbekannt, ist
unverschämt erholsam. Wer hier lebt, macht irgendwie immer ein bisschen
Urlaub. Ein weiter See voller Ausflugsschiffe, ein Wald voller
Wildschweine, die Autobahn tief unten im Tunnel. In der Fußgängerzone von
Alt-Tegel staunen Besucher über die höchste Eisdielendichte Berlins. Nur
mittendrin, wo es am schönsten sein könnte, liegt im Tegeler Hafen die
Insel.
"Geisterinsel" wird sie genannt, aber das klingt zu romantisch. Viel mehr
als Erdaushub und Spontanvegetation gibt es hier nicht. Nur am westlichen
Ende des künstlichen Eilands, das fast genau einen Hektar misst, ragen
unfertige Mauern auf. Die Zugänge, drei Fußgängerbrücken, sind mit
Bauzäunen versperrt. Seit Jahren.
Der Schöpfer der Insel hatte sich das anders gedacht: Charles Moore,
Architekt der Postmoderne, plante im Rahmen der Internationalen
Bauausstellung (IBA) 1984 eine "Stadtlandschaft" für den ehemaligen Hafen.
Errichtet wurden am Ende nur der eklektizistische Langbau der Bibliothek
und eine Wohnzeile am Südufer. Ungebaut blieb unter anderem das Herzstück:
ein Freizeitzentrum auf dem Wasser. Dieses, so der Architekt damals, "hat
die Form einer kleinen Insel oder eines großen Dampfers und bildet eine
innere und eine äußere Landschaft mit geheizten Bädern, Wasserfällen,
Stränden und Gärten". Daraus wurde nichts: Mauerfall und Subventionsabbau
machten dem Insel-Traumschiff den Garaus.
Nur die Bäume, die man zur IBA provisorisch gepflanzt hatte, gediehen
prächtig. Wasserfälle gab es keine, aber eine schattige Wiese, auf der
Anwohner ihre Hunde ausführten. Später fanden hier Open-Air-Lesungen statt,
die Hunderte anlockten. 2002 übertrug der Bezirk Reinickendorf die
brachliegenden Grundstücke an den Liegenschaftsfonds. Der verkaufte die
"Tegeler Insel". Später landete sie im Portfolio einer russischen
Fondsgesellschaft. Die ließ im Sommer 2008 die Insel roden. Villen für
Diplomaten sollten entstehen, mit 500 Quadratmetern Wohnfläche. Stattdessen
kam die Finanzkrise. Im November 2008 wurden die Bauarbeiter abgezogen.
Versprechen, das Projekt wiederaufzunehmen, hielt der Investor nicht ein.
Was Uwe Brockhausen, den SPD-Fraktionsvorsitzenden in der Reinickendorfer
Bezirksverordnetenversammlung (BVV), besonders am "Schandfleck Tegeler
Insel" stört: Mit Beginn der Bauarbeiten ist die öffentliche "Durchwegung"
verloren gegangen. Fußgänger müssen teilweise beachtliche Umwege nehmen, um
auf die andere Hafenseite, etwa zur Bibliothek, zu gelangen. Das
CDU-geführte Bezirksamt, findet Brockhausen, hat sich vom Investor über den
Tisch ziehen lassen: "Der Ausschluss der Öffentlichkeit ist inakzeptabel,
das hätte vertraglich anders geregelt werden müssen." Entsprechende Anträge
habe seine Fraktion in die BVV eingebracht und will es weiterhin tun.
"Darüber hinaus haben wir das Bezirksamt aufgefordert zu berichten, zu
welchen Bedingungen der Investor an einem Weiterverkauf interessiert ist,
damit Bewegung in die Angelegenheit kommt", so Brockhausen.
Laut Baustadtrat Martin Lambert (CDU) ist es schon so weit: Bei einem
Gespräch im Bauberatungszentrum des Bezirks habe der russische Eigentümer
jüngst Interesse bekundet, sich von der Insel zu trennen - auch unter
Preis. Es handele sich um sein "letztes Objekt außerhalb des Raums Moskau",
der Anreiz, es abzustoßen, sei groß. Auf der anderen Seite prüfe ein
"potenzieller Investor" bereits den Bebauungsplan. Namen will Lambert noch
nicht nennen.
Dass die Tegeler Insel öffentlich zugänglich bleibt, dafür will das
Bezirksamt unbedingt sorgen, so der Stadtrat. Aber erst, wenn die Bebauung
abgeschlossen ist. "Wir haben mit den Anwohnern lange diskutiert, ob die
Zugänglichkeit auch jetzt herstellbar ist", sagt Lambert, "aber das geht
nicht." Er sei "froh, dass die Baustelle abgeschlossen ist", die
Unfallgefahr sei zu groß. Jugendliche könnten sich mit verbliebenem
Material verletzen.
Vor einer unkontrollierten Zwischennutzung graut es auch Dirk Steffel
(CDU), der als Vertreter des Tegeler Ortsverbands in der BVV sitzt: "Ob die
Anwohner lieber eine öffentliche Insel mit trinkenden und lärmenden
Jugendlichen haben wollen, ist fraglich." Hintergrund seiner Sorge dürfte
das berüchtigte "Chillen" in der Fußgängerzone sein, wo Jugendliche in
Sommernächten zu Hunderten Alkohol konsumieren.
"Platt und polemisch" findet Heiner von Marschall dieses Argument: "Das
Problem alkoholisierter Jugendlicher in der Öffentlichkeit löse ich nicht
damit, dass ich sämtliche öffentlich zugänglichen Orte schließe oder gar
nicht erst gestalte", sagt der Grünen-Bezirksverordnete. Weil auch die
Grünen wissen, dass ein Rückkauf der Insel illusorisch ist, wollen sie sich
wenigstens für die Durchwegung einsetzen. Der Bezirk solle "alle ihm zur
Verfügung stehenden Möglichkeiten ausschöpfen, auf die Eigentümer Druck zu
erzeugen".
Den entscheidenden Fehler hat das CDU-geführte Bezirksamt aus Marschalls
Sicht mit der Übertragung des Grundstücks an den Liegenschaftsfonds
gemacht. "Damit hat der Bezirk seine aktiven Gestaltungsmöglichkeiten
verloren und kann nur noch über die Ausgestaltung von Bebauungsplänen und
städtebaulichen Verträgen reagieren." Hier sieht der Grüne schon den
nächsten Konflikt: Für die ebenfalls privatisierte "Festlandfläche" am
Hafen gibt es Planungen für den Bau einer Senioreneinrichtung. "Der Blick
von Tegel auf den Bausolitär Humboldt-Bibliothek wäre verstellt,
interessante Architektur nicht mehr erfahrbar, das Landschaftsbild stark
beeinträchtigt."
Moores urbane Vision wird also eine bleiben. Aber wie sagte Wilhelm von
Humboldt, der neben seinem Bruder Alexander unweit des Tegeler Hafens
begraben ist? "Ideen sind das einzig wahrhaft Bleibende im Leben."
12 Aug 2011
## AUTOREN
Claudius Prösser
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