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# taz.de -- taz-Serie Berliner Bezirke (10): Friedrichshain-Kreuzberg: Nicht al…
> Seit fünf Jahren regiert in Friedrichshain-Kreuzberg ein grüner
> Bürgermeister, der einzige in Berlin. Eine Ökoinsel ist der Bezirk
> dennoch nicht geworden.
Bild: "Um jede Stimme kämpfen." Grünen-Bürgermeister Franz Schulz, ehrfürch…
Der weißhaarige Künstler wippt in Schlupflatschen auf den Treppenstufen vor
seinem Laden. Vor dem 69-Jährigen läutet die Bergmannstraße ihr
Abendgewusel ein, füllen sich die Cafés und Restaurants. Eine "wahre
Lebenswonne" sei das hier, schwärmt er versonnen. "Das Alternative, die
Mischung." Auch das Grüne? "Hm, ja, der Ströbele ist ein Guter." Und der
grüne Bürgermeister soll auch nicht schlecht sein. Aber: "So richtig hat
sich das nicht ausgewirkt. War doch schon immer alternativ hier."
Fünf Jahre ist es her, dass sich die Friedrichshain-Kreuzberger einen
grünen Bezirksbürgermeister wählten, den einzigen in Berlin. Franz Schulz,
ein ruhiger Mann mit kurzen grauen Haaren, 62 Jahre. Ein Physiker, in
jungen Jahren politisch weit links. 33 Prozent holte er - in keinem anderen
Bezirk war die Partei ansatzweise so erfolgreich. Mit 876 Mitgliedern ist
Friedrichshain-Kreuzberg der viertgrößte Grünen-Verband der Republik.
Gleich hinter Köln.
Friedrichshain-Kreuzberg, das ist Grünen-Land. Grüne Volkspartei? Hier
längst Realität. Und die Bergmannstraße ist ihre Basis. Oder könnte es
sein. Jeder zweite Anwohner wählte in der Straße vor fünf Jahren Grün. 2008
machten die Grünen das Ostende zur ersten Fahrradstraße im Bezirk.
Bioläden, Yoga-Schulen, in kleinen Cafés wird frisch gepresster Orangensaft
geschlürft. Auf Balkonen ranken wild Blumen. Fahrräder drängeln sich an
Kinderwagen vorbei. Am Kinderladen hängt ein Fukushima-Anti-Atom-Plakat, am
Obststand in der Marheinekehalle auch. "Hier wird ständig nach Bio
gefragt", sagt die Verkäuferin. "Die meisten Kunden, würd ich sagen, wählen
schon Grün."
Die Klischees also stimmen. Hört man sich aber genauer um, verblasst die
grüne Oase. Dann reden die Leute im Kiez über steigende Mieten. Früher,
sagt die Verkäuferin der Biobäckerei, sei der Bergmannkiez alternativer,
kinderreicher gewesen, auch grüner. "Von mir aus könnte die ganze
Bergmannstraße Fußgängerzone sein. Aber das trauen sich auch die Grünen
nicht."
Auch der Weinhändler, seit Jahren in der Bergmannstraße, schimpft. "Eine
grüne Kuschelecke? Im Gegenteil: Der Kiez ist am Kippen." Die Mieten
stiegen, Alteingesessene müssten wegziehen, es werde "nur noch die schnelle
Mark mit Macchiato gesucht". Den Grünen könne man das eigentlich nicht
ankreiden, sagt der Mann. Aber auch sie hätten der Entwicklung nichts
entgegengesetzt.
Franz Schulz kennt diese Klagen. Sie kommen nicht nur aus der
Bergmannstraße. Nicht von ungefähr hat der grüne Bürgermeister die
Mietenpolitik zum Schwerpunkt seines Wahlkampfs erkoren. "Die Mieter
erwarten, dass wir ihnen den Rücken stärken, zu Recht." Schulz zählt
Mietkonflikte auf, in denen er persönlich vermittelt hat.
Es ist sein Fachgebiet. Milieuschutz und Zweckentfremdungsverbot sollen
helfen. Strengere Auflagen, wenn Mietwohnungen zu Eigentum werden sollen.
Am Ende aber, sagt Schulz, seien dem Bezirk die Hände gebunden. Weil
Mietrecht vielfach von Land und Bund geregelt werde.
Schulz steht in einer Parkhaus-Etage in der Nähe des Kottbusser Tors. Ein
freundlicher Juliabend. In blauen Müllsäcken kleistern Parteimitglieder mit
dicken Pinseln Plakate auf Pappen. Hunderte stehen schon zum Trocknen
aneinandergereiht. Ein Radio dudelt, es gibt Bionade und Bier. Franz Schulz
kleistert im schwarzen Hemd mit.
62 Kandidaten stellen die Grünen im Bezirk zur Wahl - mehr als Linke, CDU
und FDP zusammen. 82 Mitglieder traten der Partei allein seit Jahresanfang
bei. Volkspartei? Schulz spricht lieber von "der ganzen Vielfalt des
Bezirks", die seine Partei vertreten wolle. "Von der Wagenburg bis zum
Seniorenheim."
Eine grüne Ökoinsel ist der Bezirk in den letzten fünf Jahren nicht
geworden. Schulz verweist aber auf "echte, unbürokratische
Bürgerbeteiligung". Es ist sein Steckenpferd: Sobald sich größere Konflikte
auftun, lädt der Bürgermeister zu runden Tischen. Zum Künstlerhaus
Bethanien, zum Spreeufer, zu Bäumen am Landwehrkanal. Manchmal wird dann
über Jahre diskutiert, "um Kontroversen auch auszutragen" und Kompromisse
zu finden.
Dann erzählt der Grüne von energetischen Sanierungen und seiner Idee,
Abwasser zur Energiegewinnung zu nutzen. Und beim Thema Mieten habe man den
Milieuschutz ausgereizt und die Ansiedlung von Hostels beschränkt. "35 bis
40 Prozent am Wahlabend wären schön."
Bei den Verfolgern warnt man vor einer absoluten Mehrheit für die Grünen.
Schon heute neige die Partei dazu, alles alleine entscheiden zu wollen,
mosern Linke und SPD. "Wir wollen keine bayerischen Verhältnisse mit grüner
Machtarroganz, sondern einen bunten Bezirk", spöttelt Jan Stöß, 37-jähriger
SPD-Bürgermeisterkandidat, ein hochgewachsener ehemaliger Richter. Selbst
bei ihren Kernthemen hätten die Grünen keine Erfolge: Kaum neue Radwege,
eine miserable Energiebilanz der Verwaltung, ein heruntergewirtschaftetes
Wohnungsamt. "Der Bezirk ist nicht nur Kreativbranche und Ökomarkt", sagt
Stöß.
Tatsächlich lief für die Grünen nicht alles glatt. Nach mehreren Pannen
musste die von der Partei berufene Baustadträtin zurücktreten. Und als
Franz Schulz einen Sonderausschuss zum Spreeufer einberief, stiegen die
Investorengegner nach einem Jahr unter Protest aus.
Schulz scheint dieser Tage besonders eines zu sorgen: die Debatte über eine
grün-schwarze Koalition auf Landesebene. Schulz weiß, dass das in
Friedrichshain-Kreuzberg nicht gut ankommt. "Ich warne vor solchen
Gedankenspielen", sagt er energisch. "Eine Koalition wäre nicht gut für die
Grünen, auch nicht für die Stadt."
In der Bergmannstraße, dort, wo die Radler ruhig über den Asphalt der
Fahrradstraße schnurren, steht Thomas Schön in seinem Brunnenatelier.
Überall plätschert Wasser in kleinen Skulpturlandschaften um den
gemütlichen Künstler. Die Bergmannstraße, sagt der 57-Jährige, sei grün,
ja. "Aber zunehmend nur noch für die, die es sich leisten können." Auch er
habe jahrelang die Grünen gewählt. "Weil das für Lebenswürde steht." Seit
17 Jahren wohnt und arbeitet Schön in der Straße. Ende September wird auch
er gehen. "Zu teuer, ständig Baustellen vor der Tür." Dafür parken jetzt
schicke Autos in der Nachbarschaft, auch Politiker ziehen in die Straße.
Der letzte war ein Grüner. "Ein Selbstläufer wird die Wahl nicht", sagt
Franz Schulz. "Wir müssen kämpfen, um jede Stimme."
4 Aug 2011
## AUTOREN
Konrad Litschko
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