# taz.de -- taz-Serie Berliner Bezirke (5): Steglitz-Zehlendorf: Gute Bilanz f�… | |
> Für einige war es der Sündenfall: In Steglitz-Zehlendorf koalierten die | |
> Grünen nach der Wahl 2006 erstmals mit der CDU. Heute ziehen sie ein | |
> positives Fazit. | |
Bild: Die zweite von rechts und der zweite von links - das wäre dann grün-sch… | |
Zwischen holzgetäfelten Wänden der Bezirksverordnetenversammlung ging es | |
zunächst um Geld für eine örtliche Bücherei, um Kleingärten und die | |
Sanierung eines Schwimmbads. Erst unter Tagesordnungspunkt 6 war | |
vorgesehen, was den 15. November 2006 im Gedächtnis der Grünen zu einem | |
besonderen Tag machen sollte: Der Vollzug der ersten schwarz-grünen | |
Koalition in Berlin, den beide Parteien zwei Wochen zuvor vereinbart hatten | |
- für manche Grüne ein Sündenfall, der damals den heute aktuellen | |
Diskussionen über eine solche Koalition auf Landesebene den Weg bereitete. | |
Das sah an jenem Novembertag auch Christa Mark-Vieto so. Fast allein hatte | |
sie gegen die Zusammenarbeit mit der CDU votiert, als die Grünen bei einem | |
Kreisparteitag über die Koalition abstimmten. "Ich konnte mir einfach nicht | |
vorstellen, dass das klappt", sagt die heute 58-Jährige, die dem | |
Bezirksparlament mit Unterbrechungen seit 1989 und damit länger als jedeR | |
andere angehört. Die Koalition verabredete ihre Vorgängerin als | |
Fraktionschefin, Irma Franke-Dressler, die kurz darauf Grünen-Landeschefin | |
wurde. | |
Fast fünf Jahre später sagt Markl-Vieto: "Unter'm Strich hat es sich | |
gelohnt." Natürlich hätten die Grünen gern mehr erreicht, sagt sie. Aber | |
man müsse die Kräfteverhältnisse in der Bezirksverordnetenversammlung sehen | |
- "wir sind da nur neun von 55". 22 BVV-Mitglieder stellt die CDU, 18 die | |
SPD. Fazit: Mit der Union ließ sich in diesen gemeinsamen Jahren reden, auf | |
Absprachen war Verlass, mit der SPD war nicht viel zu machen. | |
Viel hat das für Markl-Vieto mit den handelnden Personen zu tun, mit dem | |
neu ins Amt gekommenen Bürgermeister Norbet Kopp etwa, der den viel | |
kritisierten Herbert Weber (beide CDU) ablöste. | |
Doch Markl-Vieto und ihre Grünen wollen nach der Wahl am 18. September | |
Grünen nicht mehr bloß mitregieren, sondern zur Nummer eins im Rathaus im | |
Zehlendorfer Zentrum aufsteigen - mit Markl-Vieto als Bürgermeisterin. | |
An der im Südwesten der Stadt traditionell starken CDU vorbei zu kommen, | |
halten selbst die Grünen trotz ihres zwischenzeitlichen landesweiten | |
Höhenfluges kaum für möglich. Aber wie auf Landesebene gilt: Nicht die | |
Partei mit dem besten Wahlergebnis stellt den Regierungschef, sondern die | |
größere Partei einer Koalition. Und stärker als die SPD abzuschneiden und - | |
wie in Baden-Württemberg - mit Grün-Rot Markl-Vieto ins Amt zu wählen, | |
scheint durchaus möglich. Schon bei der Bundestagwahl 2009, zu Beginn des | |
Grünen-Booms, lag die Partei in Steglitz-Zehlendorf bei den Zweitstimmen | |
nur einen knappen Prozentpunkt hinter der SPD. | |
Und anders als auf Landesebene, wo die SPD sich ziert, an eine Rolle als | |
Juniorpartner der Grünen auch nur zu denken, sind die Sozialdemokraten in | |
Steglitz-Zehlendorf pragmatischer. "Da gibt es keine Eitelkeiten. Wenn die | |
anderen die Nase vorn haben, dann ist das eben so", sagt der | |
Kreisvorsitzende der SPD, Michael Arndt. Zwar glaube er nicht, dass die | |
Grünen vorbeizögen - aber wenn, dann müsse man sich auch damit arrangieren. | |
"Eine Negation ersetzt keine Politik", sagt Arndt, der den Bezirk seit | |
Jahren im Abgeordnetenhaus vertritt. | |
Markl-Vieto mag die Zusammenarbeit mit der Südwest-CDU nicht als Blaupause | |
für eine grün-schwarze Koalition auf Landesebene sehen - zu unterschiedlich | |
seien die parlamentarischen Ebenen. Je mehr es vom konkreten Problem - dem | |
Straßenausbau oder der neuen Ampel - weggehe, umso stärker würden sich | |
grundsätzliche Unterschiede bemerkbar machen. Dennoch sagt Markl-Vieto über | |
eine grün-schwarze Koalition, die Renate Künast zur Regierenden | |
Bürgermeisterin machen könnte: "Ich halte es nicht für ausgeschlossen." | |
Schulsanierung, der Schwerpunkt in der Jugendarbeit - "wir haben keine | |
einzige Einrichtung geschlossen" - all das ist für sie mit der CDU gut | |
gelaufen. Dass der Bezirk zusätzliche Mittel für die Sanierung | |
umschichtete, lobt sogar SPD-Mann Arndt. "Und inzwischen fallen bei der CDU | |
auch nicht mehr alle gleich in Ohnmacht, wenn wir ,Tempo 30' sagen", meint | |
Markl-Vieto. | |
Dennoch war gerade die Verkehrspolitik das größte Problem in der | |
Zusammenarbeit zwischen Union und Grünen. Im Oktober hatte ein | |
CDU-Bezirkspolitiker sogar schon Klage gegen ein Tempolimit vor zwei | |
Schulen im Bezirk eingereicht. Dass sein Anwalt CDU-Fraktionschef Torsten | |
Hippe und damit Markl-Vietos wichtigster Gesprächspartner war, belastete | |
das Verhältnis. | |
Zur Verhandlung kam es letztlich nicht, der CDU-Mann zog die Klage zurück. | |
Aber SPD-Kreischef Arndt kostet es noch heute aus, dass da im Grunde eine | |
Partei einer vermeintlich funktionierenden Koalition gegen die andere | |
klagen wollte. | |
CDU-Fraktionschef Hippe ist ohnehin jemand, der für manche Grüne ein | |
Rechtsausleger ist. Markl-Vieto sieht das anders. Hippe provoziere gerne, | |
aber wenn sie etwas mit ihm verabredet hätte, sei auf ihn Verlass gewesen. | |
Etwa bei der Diskussion um die Arbeit der grünen Jugendstadträtin. "Da ist | |
er für uns in die Bütt gegangen und hat sie verteidigt", sagt Markl-Vieto. | |
Auch Hippe betont ausdrücklich die gute Zusammenarbeit: "Das sind | |
vernünftige Leute." Und erinnert daran, dass die CDU nach der Wahl 2006 | |
rechnerisch alle Möglichkeiten hatte und auch mit der FDP eine Koalition | |
hätte verabreden können. | |
Lob für die Arbeit der schwarz-grünen Koalition kommt aber auch von einem | |
Grünen, von dem es nicht unbedingt zu erwarten ist. Benedikt Lux, | |
innenpolitischer Sprecher der Abgeordnetenhausfraktion mit Wahlkreis in | |
Steglitz, bezeichnet sich selbst als "Rot-Grüner der ersten Stunde". Und | |
sagt dennoch: "Kopp ist ein guter Bürgermeister, der sein Handwerk | |
beherrscht und für mich nach Christa Markl-Vieto der beste | |
Bezirkspolitiker." Die SPD habe einfach handwerklich schlecht gearbeitet, | |
meint Lux. | |
Was Lux an der CDU und ihrem Bürgermeister beeindruckte: Kopp stellte sich | |
unter die Demonstranten, als Anfang März mehrere hundert Menschen gegen | |
eine Veranstaltung der rechtspopulistischen Partei Pro Deutschland | |
protestierten. | |
"Natürlich bleibt die CDU eine Autofahrerpartei", sagt Lux. "Aber alles in | |
allem ist es eine gute Bilanz." Am Wahlziel für den 18. September ändert | |
das für ihn nichts: "Es wird Zeit, hier einen Bürgermeister ohne | |
CDU-Parteibuch zu haben." | |
18 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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