# taz.de -- Überwachung von Medizinprodukten: Wird schon halten | |
> Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) lehnt strengere | |
> Zulassungskriterien für Medizinprodukte ab. Bisher wird lediglich die | |
> technische Funktion überprüft. | |
Bild: Für künstliche Hüftgelenke gibt es bis jetzt noch kein staatliches Zul… | |
BERLIN taz | Der Skandal um die gesundheitsschädigenden PIP-Brustimplantate | |
ist für Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) kein Anlass, den | |
europaweit extrem lax geregelten Marktzugang für Medizinprodukte einer | |
generellen gesetzlichen Überprüfung zu unterziehen. | |
"Aus Sicht des Ministeriums handelt es sich nicht um ein Problem der | |
Zulassung, sondern um ein Problem der Überwachung", sagte eine Sprecherin | |
am Sonntag der taz. Die bestehenden europäischen Vorschriften, die den | |
Marktzugang für Implantate, Knieprothesen, Wirbelkörper oder Hüftgelenke | |
regelten, seien ausreichend. Insofern bestehe "keine Notwendigkeit" einer | |
Gesetzesänderung. | |
Bahrs Ministerium widerspricht damit sowohl der Einschätzung seines | |
französischen Amtskollegen Xavier Bertrand als auch der des Chefs der | |
Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA), Guido Rasi. Beide hatten Ende | |
voriger Woche verlangt, als Konsequenz aus dem PIP-Desaster Medizinprodukte | |
künftig ähnlich streng zu regulieren wie Arzneimittel. | |
Derzeit gibt es für Medizinprodukte - anders als für Medikamente - kein | |
staatliches Zulassungsverfahren. Vielmehr dürfen die Medizinprodukte in der | |
EU dann auf den Markt gebracht werden, wenn sie eine "CE"-Kennzeichnung | |
besitzen. Die Hersteller müssen hierzu lediglich nachweisen, dass ihr | |
Produkt technisch in der Lage ist, die versprochenen Ziele zu erreichen. | |
Die Studien dazu erstellen die Hersteller selbst. Die CE-Zertifizierung | |
erhalten die Firmen sodann von privaten Prüfinstituten wie etwa dem TÜV, | |
die sie selbst beauftragen und bezahlen. Sprich: Das CE-Siegel ist | |
lediglich ein technisches Gütesiegel, das nichts über die | |
patientenrelevante Wirksamkeit oder Verträglichkeit aussagt. | |
Die Zurückhaltung vieler Politiker, an dieser Praxis etwas zu ändern, ist | |
auch deshalb so groß, weil das neue Regulierungsvolumen immens wäre: | |
Jährlich kommen etwa 30.000 neue Medizinprodukte auf den europäischen | |
Markt. Zum Vergleich: Die Zahl neu zugelassener Arznei-Wirkstoffe liegt | |
EU-weit bei jährlich nur etwa 30. | |
Der gesundheitspolitische Sprecher der SPD, Karl Lauterbach, forderte in | |
diesem Zusammenhang, "eine sicherlich notwendige staatliche Zulassung auf | |
die gefährlichen Medizinprodukte wie beispielsweise künstliche Kniegelenke | |
oder Bandscheiben zu begrenzen". | |
Darüber hinaus sei "eine deutliche Stärkung der Haftung der Unternehmen | |
sowie eine deutlich ausgebaute Produktüberwachung durch unangemeldete | |
Kontrollen und Stichproben nötig", sagte Lauterbach der taz. Es könne nicht | |
sein, dass die Zertifizierungsstellen nur nach vorheriger Anmeldung | |
Stichproben beim Unternehmen nehmen könnten. Bislang war dies, auch im Fall | |
von PIP, die gängige Praxis. | |
9 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Heike Haarhoff | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Probleme mit Prothesen: Lockerung, Auskugeln, Bruch | |
Die kleine Prothese an der Halswirbelsäule war schon eingesetzt, da wurde | |
sie als hochgefährlich eingestuft. Jetzt ist Karin Petermann gelähmt. | |
Zulassungsverfahren für Prothesen: "Das ist alles und nichts" | |
Bisher gibt es kein strenges Zulassungsverfahren für Prothesen. Das soll | |
sich ändern, fordert Jürgern Windeler, oberster Arzneimittelprüfer in | |
Deutschland. | |
Betrug mit Brustimplantaten: Alles für eine Million | |
Der französische Implantathersteller PIP wollte mit Industriesilikon Geld | |
sparen - zum Nachteil von hunderttausenden Betroffenen. Die Chefs sind | |
untergetaucht. | |
Kommentar Brustimplantate: Implantate? Krebs? Geschenkt! | |
In Deutschland fällt den Verantwortlichen nach dem Skandal um die | |
Brustimplantate nur eins ein: Die Schuld auf die Frauen abzuschieben. Das | |
ist pure Verachtung. | |
Folgen aus dem Silikon-Skandal : Qualitätssiegel mit Risikofaktor | |
Ob Hüftprothesen, künstliche Kniegelenke oder Silikoneinlagen: | |
Medizinprodukte brauchen keine staatliche Zulassung. Nach dem Skandal | |
schweigen die Verantwortlichen. | |
Kommentar Implantate: Lehrreicher Skandal | |
Die Rückrufaktion für Silikonimplantate wirft ein Licht auf die generell zu | |
schlecht geprüften medizinischen Ersatzteile für den Körper. | |
Silikon und Ideale: Busen, Natur und Vernunft | |
Ärzte, Zertifikate und Hersteller von Brustimplantaten – alle werden | |
kritisiert, nur die Schönheitsideale nicht. Schönheit, Emanzipation und | |
Gesundheit können einander ausschließen. | |
Betrug mit Brustimplantaten: Mehr Kontrolle fürs Silikon | |
Um Medizinprodukte besser zu überwachen, müsste es ein EU-weites Gesetz | |
geben. Nun schlagen Medizinprüfer einen Gesetzestrick für Deutschland vor. | |
Keine Reform des Medizinproduktegesetzes: Nur ein bisschen mehr Kontrolle | |
Das Bundesgesundheitsministerium verweigert sich der strengeren | |
EU-Regulierung von Medizinprodukten. Mehr Überwachung soll helfen. | |
Silikon-Skandal in Deutschland: Flächendeckend gefährliche Brüste | |
Experten schätzen, dass etwa 10.000 Frauen bundesweit die minderwertigen | |
Brust-Implantate der Firma PIP eingesetzt bekamen. Besonders betroffen sind | |
Düsseldorf und Hamburg. | |
Skandal um Brustimplantate in Frankreich: PIP-Gründer festgenommen | |
Gegen den Gründer der französischen Firma PIP wird wegen "fahrlässiger | |
Tötung und Verletzung" ermittelt. Bei der Staatsanwaltschaft sind 2.500 | |
Klagen von Frauen eingegangen. | |
Metallprothesen unter Giftverdacht: Nach den Brüsten jetzt die Hüften | |
Neuer Skandal um gesundheitsschädigende Medizinprodukte: Forscher fordern | |
generelles Verbot von Hüftprothesen aus Metall. Der Abrieb sei zu giftig, | |
sagen sie. | |
Arzneimitteltests an Menschen: EU-Kommission unter Beschuss | |
Die geplante Aufweichung der EU-Standards für klinische Studien trifft auf | |
heftige Gegenwehr. Jetzt auch aus den Reihen des Europäischen Parlaments. | |
Urteil von französischem Gericht: TÜV haftet für Billigbrustimplantate | |
Die Betroffenen minderwertiger Brustimplantate können auf Entschädigung | |
hoffen. Ein Gericht in Toulon hat entschieden: Der TÜV Rheinland habe | |
geschlampt. |