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# taz.de -- Betrug mit Brustimplantaten: Mehr Kontrolle fürs Silikon
> Um Medizinprodukte besser zu überwachen, müsste es ein EU-weites Gesetz
> geben. Nun schlagen Medizinprüfer einen Gesetzestrick für Deutschland
> vor.
Bild: Es soll genauer nachgeschaut werden, zum Beispiel bei Brustimplantaten.
BERLIN taz | Angesichts des Skandals um defekte Brustimplantate des
französischen Herstellers PIP (Poly Implant Prothèse) fordert Deutschlands
oberster Medizinprüfer Jürgen Windeler einen strengeren Marktzugang für
sämtliche Medizinprodukte, die lebenslänglich im Körper verbleiben.
"Im Interesse der Patienten sollten die Marktzugangsvoraussetzungen für
Medizinprodukte mit hoher Risikoklasse wie Herzschrittmacher, Kniegelenke,
Stents oder Hüftprothesen im Grundsatz nicht anders sein als die für
Arzneimittel", sagte Windeler der taz. "Das bestehende
Medizinproduktegesetz hängt die Hürden niedrig und ist unbefriedigend",
kritisierte der Professor für Medizinische Biometrie, der das Institut für
Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) leitet.
Eine Neuregelung unterliege jedoch zwingend europäischer Gesetzgebung,
betonte Windeler. Angesichts der bisherigen Zurückhaltung der EU-Kommission
sowie vieler nationaler Gesundheitsminister, an dem bestehenden System zu
rütteln, sei er wenig optimistisch, dass sich zeitnah etwas ändern werde.
Den Nationalstaaten seien die Hände gebunden, wollten sie im Alleingang die
Vorschriften für Medizinprodukte verschärfen - denn deren CE-Kennzeichnung
ermöglicht die EU-weite Vermarktung.
Als Ausweg aus diesem Dilemma plädiert Windeler für "eine systematische
Nutzenbewertung für sämtliche Medizinprodukte, die im Körper bleiben". "Ich
halte es für sinnvoll, dies im Sozialgesetzbuch V festzuschreiben", sagte
er. Eine solche Gesetzesänderung kann das Parlament ohne Rücksicht auf die
EU durchsetzen.
Zwar würden die Medizinprodukte damit auch weiterhin erstmal
vergleichsweise lax geprüft auf den Markt gelangen. Aber: Die Hersteller
wären auf diese Weise gezwungen, anschließend anhand aufwendiger Studien
den patientenrelevanten Nutzen ihrer Produkte nachzuweisen. Andernfalls
würden sie von der gesetzlichen Krankenversicherung nicht mehr erstattet.
## Kritik am Gesundheitsminister
Die Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Deutschen Bundestag, Carola
Reimann (SPD), und die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Birgitt
Bender, unterstützen diese Initiative. "Wir werden uns im Bundestag dafür
einsetzen, dass Medizinprodukte der höheren Gefahrenklasse auf diese Weise
künftig strenger überwacht werden", sagte Bender der taz.
Die SPD-Politikerin Reimann kritisierte in diesem Zusammenhang den
Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP), der eine europaweite
gesetzliche Verschärfung des Marktzugangs von Medizinprodukten ablehnt:
"Die Lage ist desaströs. Ich verstehe nicht, warum der Minister sich
verweigert", sagte sie der taz.
Zusätzlich zur Nutzenbewertung forderte Reimann die Einführung eines
verpflichtenden Implantateregisters, um die Verwendung der Medizinprodukte
rückverfolgen zu können. Derzeit existiert ein solches Register nur auf
freiwilliger Basis.
11 Jan 2012
## AUTOREN
Heike Haarhoff
## TAGS
Implantate
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