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# taz.de -- Israel reagiert auf PIP-Brustimplantate: Bloß raus mit den Dingern
> Die Entfernung von PIP-Implantaten ist in Israel kostenlos. Glück im
> Unglück für Orit, bei der ein Implantat bereits undicht ist. In
> Deutschland gibt es erste Klagen.
Bild: Pamela Anderson ist out – Natürlichkeit muss aber nicht gegen eine Op…
REHOVOT taz | Leicht verängstigt sitzt Orit im Büro von Dr. Amos Leviav.
Noch knapp eine Stunde bleibt der 40-Jährigen bis zu ihrer Operation. Sie
ist die dritte Frau, die heute ins Kaplan-Krankenhaus in Rehovot kommt,
einer Stadt südlich von Tel Aviv, um sich ihre Brustimplantate der
französischen Firma Poly Implant Prothèse, kurz PIP, auswechseln zu lassen.
Bei einem Zehntel der knapp eintausend Israelinnen, die sich diese
Silikonkissen einsetzen lassen haben, wurden die Implantate undicht.
Das Gesundheitsministerium in Jerusalem reagierte rasch, als der
PIP-Skandal an die Öffentlichkeit drang. Über eine "Hotline" können Frauen
Informationen darüber einholen, ob ihnen selbst die französischen
Silikonkissen implantiert wurden. Das Ministerium stellte parallel
Nachforschungen an, in welchen Kliniken wie lange PIP noch verwendet wurde.
Die Stimme am Telefon fragt als erstes nach dem Namen des Arztes, der die
Implantate eingesetzt hat. Gearbeitet wird nach dem Ausschlussverfahren.
Sicherheitshalber wird allen Frauen mit den französischen Brustkissen dazu
geraten, sich untersuchen zu lassen. Das geschieht per Ultraschall,
zusätzlich tastet ein Chirurg die Implantate ab. Dr. Chezy Levy, Chef der
medizinischen Behörde, empfindet es als "Pflicht, den betroffenen Frauen
Auskunft zu geben". Er geht davon aus, dass die meisten Frauen die PIP
entfernen lassen - egal ob undicht oder nicht. In beiden Fällen übernehmen
die staatlichen Krankenkassen die vollen Kosten für die Operation. Wer neue
Brustkissen haben möchte - was die Regel ist -, muss allerdings dafür
selbst in die Tasche greifen.
## Ein Implantat läuft aus
Viele der betroffenen Frauen landen früher oder später auf dem
Operationstisch von Amos Leviav. Und viele kommen aus der Privatklinik von
Dr. Abraham Riegler, der auch Orit vor gut zwei Jahren die PIP-Implantate
einsetzte. Eines begann vor wenigen Wochen auszulaufen. Orit, die ihren
Familiennamen nicht nennen möchte, war über eine Freundin an Riegler
geraten, der ihr mit zehn Prozent Rabatt gleich ein Angebot unterbreitete.
Zwischen 2.500 und 4.000 Euro umgerechnet kostet die Brustvergrößerung in
Israel.
Ihr zartes Püppchengesicht lässt sie deutlich jünger aussehen, aber ein
"Facelifting", so versichert Orit, habe es nicht gegeben. Sich Implantate
einsetzen zu lassen, sei einzig ihr Wunsch gewesen. Ihr Mann habe sie nicht
gedrängt. Doch nach drei Geburten habe sich ihr Körper verändert. "Die
Brüste werden schlaff", wirft Amos Leviav ein und nickt ihr verständnisvoll
zu. "So ist das eben." Orit, die zum Zeitpunkt ihrer Brustvergrößerung 38
Jahre alt war, ging davon aus, dass Riegler Facharzt für plastische
Chirurgie sei. "Er hat sich mir so vorgestellt." Orit ärgert sich, nicht
rechtzeitig genauere Erkundigungen über ihn eingeholt zu haben. Riegler ist
zwar Chirurg, aber kein Spezialist für Schönheitsoperationen. Rein
rechtlich ist er damit im grünen Bereich. "Es ist koscher", sagt Leviav,
"aber es stinkt."
Chefarzt Leviav unterhält neben seiner Stelle im Kaplan-Krankenhaus eine
private Klinik für die Schönheitsoperationen. "Gesunde Menschen werden in
staatlichen Krankenhäusern nicht behandelt", sagt er. Außerdem ist Leviav
Vorsitzender der israelischen Gesellschaft für plastische Chirurgie und
Chef der Kommission für medizinisches Equipment der Krankenkassen. Ihm ist
es zu verdanken, dass die PIP-Implantate von den staatlichen Kassen und
Krankenhäusern nie eingesetzt wurde.
"Wir benutzen ausschließlich Präparate, die von der FDA, der
US-amerikanischen Food and Drug Administration, freigegeben werden", sagt
er. In den vergangenen 15 Jahren sei nur ein einziger Fall bekannt
geworden, bei dem ein von der FDA anerkanntes Brustkissen ausgelaufen war.
Israels öffentliche Gesundheitseinrichtungen folgten damit "dem schärfsten
Sicherheitsstandard weltweit", auch wenn das den Staat fast immer etwas
teurer kommt. "Ich gelte als Verschwender", sagt Leviav und setzt lächelnd
hinzu, dass ihm seine Kollegen letztlich dankbar sind für sein Beharren auf
Qualität.
## Gesundheitsministerium genehmigte Import
Dennoch genehmigte das Gesundheitsministerium in Jerusalem Ende 2003 den
Import von PIP-Implantaten. Erst im Dezember 2010, sechs Monate nach
Schließung der Firma PIP, wurde der Import verboten. In dieser Zeit
erreichten noch mal 1.600 PIP-Implantate Israel. "In Frankreich war es
schon verboten, aber uns durfte die mangelhafte Ware weiter geschickt
werden", schimpft Leviav.
Privatchirurg Riegler machte sich erst in dem Moment strafbar, als er noch
nach dem Stichtag für das Importverbot PIP-Implantate auf eigenen Wegen aus
Frankreich kommen ließ. Für dieses Vergehen musste er inzwischen seine
Lizenz abgeben. Riegler ist vorerst der einzige israelische Arzt, dem ein
Verfahren droht. Als er Orit vor über zwei Jahren die Implantate einsetzte,
war der Import noch legal.
"Seine Praxis machte einen guten Eindruck auf mich", erinnert sie sich. Sie
habe Riegler später sogar einer Freundin empfohlen. Vier Wochen nach dem
ersten Termin sei sie in seiner Klinik zur Operation erschienen. "Am Anfang
war auch alles in Ordnung." Erst gut zwei Jahre danach begannen die Stiche
in der Brust, die sie zunächst ignorierte. Als jedoch die ersten
Nachrichten über PIP-Implantate und mögliche Gesundheitsgefahren bekannt
wurden, bekam sie Angst. Ultraschalluntersuchungen bestätigten, dass eines
der Silikonkissen ausgelaufen war. Schnell bekam sie einen Termin im
Kaplan-Krankenhaus.
"Ich würde das Implantat anschließend gern mit nach Hause nehmen", sagt
sie. "Es sieht bestimmt schrecklich aus." Leviav öffnet eine Schublade und
holt zwei Tüten mit je einem Silikonkissen heraus, die von einer anderen
Patientin stammen. Eines ist defekt. Die dickflüssige Masse hat sich
gelblich verfärbt. Orit gruselt es. "Das werde ich mir einrahmen und an die
Wand hängen", scherzt sie. Ob sie Schadensersatz fordert, weiß sie noch
nicht. "Hauptsache, das kommt erst einmal raus", sagt sie und setzt nach
kurzer Pause hinzu: "Wir werden die Sache sicher nicht einfach so ruhen
lassen."
## Pamela Anderson ist out
Amos Leviav glaubt nicht, dass sich der PIP-Skandal spürbar auf die
Nachfrage nach Brustvergrößerungen auswirken wird. Ihre Zahl sei immer eine
Sache der Mode gewesen. "Vor 25 oder 30 Jahren gab es überhaupt keine
Operationen", erinnert sich Leviav. Damals seien alle dem Vorbild des
magersüchtigen britischen Models Miss Twiggy gefolgt. Später habe die
vollbusige Pamela Anderson den Trend gesetzt. Ganz so fraulich müsse es
inzwischen nicht mehr sein, was nicht heiße, "dass es weniger Operationen
gibt, nur sind die Implantate heute kleiner als bis vor fünf Jahren". Waren
es früher 0,3 Liter pro Kissen, so verwende er heute nur noch Implantate
mit 0,25 Litern.
Der Schönheitschirurg berichtet über zwei Gruppen, in die sich fast alle
seine Patientinnen einordnen lassen. Zum einen seien es die 35- bis
40-Jährigen, die mehrere Geburten hinter sich haben und noch vor ihrer
Menopause stehen. Die andere Gruppe bilden die 18-jährigen Frauen, die
flachbrüstig geblieben sind. Die Herkunft spiele bei dem Wunsch auf
verschönerte Formen genauso wenig eine Rolle wie der soziale Stand. Der
PIP-Skandal werde Frauen kaum davon abhalten, sich die Brust vergrößern zu
lassen, vermutet Leviav, "aber sie werden sich ab sofort genauer
informieren und ihren Ärzten vor der Operation mehr Fragen stellen".
24 Jan 2012
## AUTOREN
Susanne Knaul
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