# taz.de -- Kommentar Brustimplantate: Implantate? Krebs? Geschenkt! | |
> In Deutschland fällt den Verantwortlichen nach dem Skandal um die | |
> Brustimplantate nur eins ein: Die Schuld auf die Frauen abzuschieben. Das | |
> ist pure Verachtung. | |
Ein skrupelloser Hersteller aus Frankreich, PIP, befüllt medizinische | |
Brustimplantate mit industriellem Silikon, das bestenfalls für Matratzen | |
geeignet ist. Jahrelang bleibt der Skandal unentdeckt, auch, weil der | |
Marktzugang für Medizinprodukte in Europa extrem lax geregelt ist. | |
Als die Chose auffliegt, protestieren Tausende Frauen, einige, weil sie | |
fürchten, dass das Leck in den künstlichen Kissen ihnen nicht nur | |
Entzündungen, sondern Krebs beschert hat. | |
Eine Ungeheuerlichkeit, eine monströse Vorstellung, unbewiesen, sicher, | |
aber hat es jemals in der Medizingeschichte einen zu 100 Prozent | |
stichfesten kausalen Nachweis zur Entstehung von Krebs gegeben? | |
Der Gesundheitsminister jedenfalls entschließt sich zur Flucht nach vorn: | |
30.000 betroffene Frauen dürfen sich präventiv ihre Implantate wieder | |
entfernen lassen - auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung. Das ist | |
die Konsequenz in Frankreich. | |
Und in Deutschland? Schweigen die Verantwortlichen. Jahrelang haben sie | |
zugesehen, wie ein Industriezweig sich seine Gesetze und Kontrollen selbst | |
schaffen konnte. Und jetzt, wo ihnen dieses System um die Ohren fliegt, | |
fällt dem Bundesgesundheitsminister, dem Patientenschutzbeauftragten der | |
Bundesregierung, den Chefs der gesetzlichen Krankenkassen sowie den | |
vermeintlichen obersten Verbraucherschützern nichts anderes ein, als den | |
betroffenen Patientinnen mit einer an Bigotterie kaum zu überbietenden | |
Verachtung reinzuwürgen: selbst schuld, liebe Frauen! Was lasst ihr euch | |
auch zu Weihnachten Busen schenken! Schönheitsoperationen sind ein | |
Privatvergnügen, auch ihre Folgekosten, war euch das nicht klar? | |
Im Bereich der Arzneimittel brauchte es den Worst Case Contergan, um | |
Politik, Behörden und Gesellschaft zum radikalen Umdenken zu zwingen und | |
endlich strenge Zulassungsverfahren für Medikamente gesetzlich zu | |
etablieren. PIP und Contergan sind nach dem derzeitigen Wissensstand - | |
glücklicherweise! - weder von Ausmaß noch der Schwere des Schadens einander | |
gleichzusetzen. | |
Dennoch könnten PIP und die Folgen dazu führen, dass den europäischen | |
Politikern endlich bewusst wird, dass sie im Bereich der Hüftprothesen, | |
künstlichen Halswirbel und Brustimplantate tätig werden und die Hersteller | |
strenger und wirksamer kontrollieren müssen. | |
Einer der Wenigen, die sich seit Jahren erfrischend anders positioniert | |
haben als der Rest der Gesundheitsbranche, ist der Mediziner Jürgen | |
Windeler. Der ist nicht etwa Frauenbeauftragter, sondern Deutschlands | |
oberster Medizinprüfer. Ihm und seinen Argumenten zur Seite springen nun | |
ausgerechnet Teile der Industrie und der an den Schönheits-OPs verdienenden | |
Ärzte. Selbstredend nicht aus Barmherzigkeit oder später Einsicht. Einzig | |
die Angst um ihre Reputation und Einsatzeinbußen treibt sie an. Aber | |
vielleicht ist das gerade zweitrangig. | |
26 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Heike Haarhoff | |
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