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# taz.de -- Zulassungsverfahren für Prothesen: "Das ist alles und nichts"
> Bisher gibt es kein strenges Zulassungsverfahren für Prothesen. Das soll
> sich ändern, fordert Jürgern Windeler, oberster Arzneimittelprüfer in
> Deutschland.
Bild: "Wir reden über Medizinprodukte mit hohem Risikopotenzial", sagt Jürgen…
taz: Herr Windeler, für bestimmte Medizinprodukte, also beispielsweise
künstliche Hüftgelenke, Herzkatheter oder Wirbelprothesen, fordern Sie ein
Zulassungsverfahren, das ähnlich streng sein soll wie das für Arzneimittel.
Die Hersteller finden, Sie sollten solche Äußerungen öffentlich besser
nicht wiederholen, denn im Medizinproduktegesetz sei ein entsprechendes
Zulassungsverfahren längst verankert. Lassen Sie sich den Mund verbieten?
Jürgen Windeler: Es gibt in Europa - anders als etwa in den USA - für
Medizinprodukte kein den Arzneimittelanforderungen vergleichbares
Zulassungsverfahren. Das ist leider so. Um den Marktzugang zu erlangen,
muss ein Medizinprodukt in der Europäischen Union lediglich seine
Sicherheit und Funktionstauglichlichkeit belegen.
Was heißt das?
Es wird nur geprüft, ob die Medizinprodukte technisch in der Lage sind, das
zu erreichen, was sie technisch versprechen. Nicht geprüft wird der so
genannte patientenrelevante Nutzen, also ob die Medizinprodukte in der Lage
sind, ihre medizinischen Versprechen zu halten, ob also eine künstliche
Bandscheibe tatsächlich erreicht, dass der Patient schmerzfrei wird, dass
er sich besser bewegen und besser laufen kann. Die grundsätzliche Frage
ist, ob man Produkte, die solche Versprechungen machen, ohne sie belegt zu
haben, in breiter Front auf die Patienten loslassen darf. Ich meine: Nein.
Immerhin gibt es die so genannte CE-Kennzeichnung, die garantiert, dass das
Produkt den geltenden europäischen Richtlinien entspricht...
...die dies garantieren soll. Um diese CE-Kennzeichung zu erhalten, stellt
der Hersteller einen Antrag an eine so genannte "Benannte Stelle". Von
denen sind in Deutschland 16 akkreditiert. Es handelt sich um private
Prüfinstitute, die von den Herstellern private Dienstleistungsaufträge
erhalten.
Sie haben Zweifel an der objektiven Begutachtung?
Es ist jedenfalls im Vergleich zu Arzneimitteln eine etwas ungewöhnliche
Konstruktion. Tatsache ist: Hersteller können innerhalb der EU frei
entscheiden, über welche Stelle sie ein Produkt zertifizieren lassen
wollen.
Was macht Sie so pessimistisch, dass die existierenden Regelungen nicht
ausreichen?
Die Erfahrung. Wir reden hier ja nicht über Holzspatel oder Mullbinden.
Sondern über Medizinprodukte mit hohem Risikopotenzial, also Implantate mit
direkter Wirkung auf das Herz, den Kreislauf oder das zentrale
Nervensystem. Oder Hüft- oder Kniegelenksprothesen. Für solche Produkte ist
es unverzichtbar, den patientenrelevanten Nutzen zu untersuchen, möglichst
in randomisierten klinischen Studien.
Randomisierte was?
Randomisierte klinische Studien. Das sind aussagefähige vergleichende
Studien, die zeigen, dass die unterschiedlichen Behandlungseffekte
tatsächlich auf die jeweilige Methode zurückzuführen sind. Und nicht etwa
auf andere Einflüsse wie etwa darauf, dass bei einer Therapie viele
besonders schwer Erkrankte waren, bei der anderen aber vor allem ,leichte
Fälle'.
Die Hersteller beteuern, sie machten klinische Studien.
Natürlich. Für diese klinischen Prüfungen werden laut Gesetz gefordert: ein
"angemessener Prüfplan" sowie eine "angemessene Zahl von Beobachtungen".
Das ist alles und nichts. Mit aussagefähigen Studien hat das nichts zu tun.
Zudem müssen die klinischen Daten wiederum nur die Sicherheits- und
Leistungsangaben des Herstellers bestätigen, nicht aber den
patientenrelevanten Nutzen.
Welche Handhabe gibt es, Patienten vor Produkten zu schützen, deren Nutzen
nicht belegt ist?
Sehr wenig. Wenn die Produkte eine CE-Kennzeichnung haben und auf dem Markt
sind, dann werden sie in der Regel auch von den gesetzlichen Krankenkassen
erstattet.
Moment, da muss doch erst der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA), also das
höchste Organ der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen, sein Okay für die
Erstattung geben.
Eben nicht. Die meisten dieser Medizinprodukte werden im stationären Sektor
eingesetzt, also in den Krankenhäusern. Und hier gilt, anders als im
ambulanten Bereich: Kliniken können grundsätzlich alle Leistungen erbringen
und bekommen sie grundsätzlich auch erstattet, es sei denn, der GBA erließe
ein ausdrückliches Verbot. Aufgrund der niedrigen Anforderungen beim
Marktzugang gelangen so Medizinprodukte in die klinische Routineanwendung,
ohne dass ihr Nutzen hinreichend untersucht ist. Was die komplette
Rücknahme vom Markt betrifft, hat der GBA übrigens überhaupt kein Mandat.
Welche Gefahren sehen Sie für Patienten?
Ein Beispiel: Die Food and Drug Administration, also die
Arzneimittelzulassungsbehörde der USA, hat vor Kurzem erneut eine
Warnmeldung herausgegeben, konkret ging es um die hohe
Komplikationsträchtigkeit von implantierbaren Netzen. Das sind Netze, die
speziell bei Frauen eingesetzt werden, die unter Inkontinenz leiden und
deswegen operiert werden. Die FDA sagt, dass diese Methode riskanter sei
als andere Verfahren, aber keinen größeren Nutzen habe.
Wie wollen Sie den Widerstand der Industrie gegen strengere Auflagen
brechen?
Indem wir den Herstellern klar machen, dass sie von klaren gesetzlichen
Regelungen profitieren: Die erhöhen nämlich ihre Planungssicherheit und
führen dazu, dass ein guter Hersteller sich von einem schlechten absetzen
kann. Viele Hersteller finden, eine Selbstverpflichtung täte es auch. Die
Erfahrungen, die wir mit Selbstverpflichtungen haben, stimmen uns an dieser
Stelle nicht sehr optimistisch.
Solange die Gesetzeslage ist, wie sie ist: Was empfehlen Sie Patienten, um
sich vor fragwürdigen Medizinprodukten zu schützen?
Sie können sich selbst informieren, zum Beispiel auch bei den Unabhängigen
Patientenberatungsstellen (UPD). Und dann ist das Einholen einer ärztlichen
Zweitmeinung sicher auch eine gute Wahl.
2 Aug 2011
## AUTOREN
Heike Haarhoff
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