| # taz.de -- Arzneimitteltests an Menschen: EU-Kommission unter Beschuss | |
| > Die geplante Aufweichung der EU-Standards für klinische Studien trifft | |
| > auf heftige Gegenwehr. Jetzt auch aus den Reihen des Europäischen | |
| > Parlaments. | |
| Bild: Erst die ethischen Standards klären, dann testen. | |
| BERLIN taz | Seit einem halben Jahr tobt ein erbitterter Streit zwischen | |
| der Europäischen Kommission und der Bundesrepublik Deutschland um die | |
| künftigen EU-Regeln für Arzneimitteltests an Menschen. Die Kommission will | |
| die ethischen Standards für klinische Studien von Medikamenten empfindlich | |
| aufweichen, Ethikkommissionen ersatzlos abschaffen, Fristen für | |
| Stellungnahmen der Arzneimittelbehörden verkürzen und den Willen von | |
| minderjährigen sowie nicht-einwilligungsfähigen Probanden an einer etwaigen | |
| Studienteilnahme nicht länger gesondert schützen. | |
| All dies begründet die Kommission in ihrem Entwurf für eine neue | |
| „EU-Verordnung über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln“ mit | |
| wirtschaftspolitischen Notwendigkeiten zur [1][Rettung des Pharmastandorts | |
| Europa] – ungeachtet der Proteste von Bundestag, Bundesrat und | |
| Bundesärztekammer. | |
| Jetzt aber schaltet sich das Europäische Parlament mit überraschend | |
| harscher Kritik in die Debatte ein: In einem [2][52-seitigen „Draft Report“ | |
| (pdf)] fordert Glenis Willmott, britische Berichterstatterin des für | |
| Arzneimittelstudien zuständigen Umwelt- und Gesundheitsausschusses im | |
| Europäischen Parlament, die Kommission zu erheblichen Nachbesserungen auf. | |
| Gleich an mehreren Stellen der Verordnung fordert Willmott, explizit | |
| festzuschreiben, dass unabhängige Ethikkommissionen zum Schutz der | |
| teilnehmenden Patienten vor Staats- und Industrieinteressen auch weiterhin | |
| „zwingend vorgeschrieben“ sein müssen. Ohne ihre Prüfung und Zustimmung z… | |
| Studiendesign, so Willmott, dürfe keine klinische Studie stattfinden. | |
| ## Bessere Interessenabwägung | |
| Daneben fordert sie, den Willen Minderjähriger besonders– und notfalls auch | |
| gegen den Willen der Sorgeberechtigten – zu respektieren, wenn es um die | |
| Einwillung zu einer Studienteilnahme geht. Zudem müsse bei der Abwägung | |
| zwischen pharmazeutischen Interessen und Patienteninteressen stets das | |
| individuelle „Wohlergehen“ des Patienten ausschlaggebend sein. | |
| Die Kommission dagegen hatte sich darauf beschränkt, lediglich „Rechte und | |
| Sicherheiten der Patienten“ schützen zu wollen; der „potentielle | |
| Eigennutzen“ des Patienten, heißt es im Kommissionsentwurf, müsse im | |
| Zweifel hinter dem „erwarteten therapeutischen Vorteil und Nutzen für die | |
| öffentliche Gesundheit“ zurückstehen. | |
| Der Umwelt- und Gesundheitsausschuss des Europäischen Parlaments soll über | |
| die Änderungsanträge am 26. Februar abschließend beraten. Wie die taz aus | |
| Parlamentskreisen erfuhr, gilt eine Zustimmung des Ausschusses als hoch | |
| wahrscheinlich – und damit auch die Verabschiedung durch das Europäische | |
| Parlament im Juni 2013. Noch nicht positioniert hat sich dagegen bislang | |
| der Europäische Rat, der der Verordnung auch zustimmen muss, damit sie mit | |
| den entsprechenden Änderungen in Kraft treten kann. | |
| ## Debiler Ansatz | |
| In Deutschland wird die klare Positionierung des europäischen Umwelt- und | |
| Gesundheitsausschusses begrüßt. „Ich bin erleichtert, dass der debile und | |
| rein ökonomistische Ansatz der Kommission offenbar auch andernorts keine | |
| Mehrheit findet“, sagte der Vorsitzende des Arbeitskreises Medizinischer | |
| Ethik-Kommissionen in der Bundesrepublik Deutschland, der Münchner | |
| Epidemiologie-Professor Jörg Hasford, der taz. Allerdings reichten die | |
| jetzt geplanten Änderungen nicht. | |
| „Die Kommission hat in neurotischem Ausmaß die Zeitfristen für die Beratung | |
| der Studienanträge durch die nationalen Arzneimittelbehörden teilweise auf | |
| drei bis zehn Kalendertage herabgesetzt“, kritisierte Hasford: „Das geht | |
| gar nicht.“ Bislang hatten die Behörden bis zu 60 Tage Zeit. | |
| Inakzeptabel sei auch, dass die Pharmafirmen sich nach dem Willen der | |
| EU-Kommission künftig bei multinationalen Studien selbst aussuchen können | |
| sollten, welches Land sie als „Berichterstatter“ wählten. Alle anderen | |
| Länder müssten dann die dort geltenden ethischen Standards übernehmen und | |
| zwingend in die klinischen Studien mit einsteigen. Bislang konnten die | |
| EU-Mitgliedsstaaten über eine Teilnahme autonom entscheiden. | |
| ## Die Kommission verwahrt sich | |
| Aus Protest gegen die Pläne hatte der Deutsche Bundestag im Januar einen | |
| fraktionsübergreifenden Entschließungsantrag verabschiedet, der die Mängel | |
| des Verordnungsentwurfs anprangert. Daraufhin verschickte die EU-Kommission | |
| zu Wochenanfang im Netz eine „Richtigstellung“, in der sie sich gegen den | |
| Vorwurf von „niedrigeren Hürden“ verwahrte: „Dabei hält die EU-Kommissi… | |
| an den hohen Standards für Patientensicherheit fest“, teilte die Kommission | |
| über ihr Berliner Büro mit. | |
| Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Hubert Hüppe (CDU), | |
| kritisierte diese Richtigstellung wiederum am Donnerstag als „Affront“ | |
| gegen das deutsche Parlament: „Die EU-Kommission tut so, als wäre der | |
| Bundestagsbeschluss völlig absurd, als hätte der Bundestag Gespenster | |
| gesehen“, sagte Hüppe der taz. Und: „Wer immer dahinter stehen mag, der | |
| Verordnungsentwurf will Einzelinteressen zu Lasten von Ethik und Patienten | |
| in Rechtsform gießen.“ Der Ethikkommissions-Chef Hasford ging noch einen | |
| Schritt weiter: „Die Kommission sagt leider die Unwahrheit“, schrieb | |
| Hasford in einem Leserbrief nach Brüssel. | |
| 21 Feb 2013 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Erforschung-von-Arzneimitteln/!102290/ | |
| [2] /fileadmin/static/pdf/2013-02-21_Berichtsentwurf_Willmott.pdf | |
| ## AUTOREN | |
| Heike Haarhoff | |
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