# taz.de -- Erforschung von Arzneimitteln: EU will Patientenschutz lockern | |
> Die EU will Studien zur Arzneimittelforschung am Menschen | |
> pharmafreundlicher bewilligen. Die Ärztekammer warnt vor Bruch mit | |
> ethischen Prinzipien. | |
Bild: Ethische Standards: Veränderungen werden wirtschaftspolitisch begründet. | |
BERLIN taz | Die ethischen Standards für klinische Arzneimittel-Studien in | |
der Europäischen Union sollen empfindlich aufgeweicht werden. Unabhängige | |
Ethikkommissionen, die bislang zum Schutz der teilnehmenden Patienten vor | |
Staats- und Industrieinteressen das Studiendesign zwingend absegnen | |
mussten, bevor Medikamente am Menschen erforscht werden durften, sollen | |
künftig ersatzlos entfallen. Stattdessen soll einzig das Votum der | |
nationalen Arzneimittelbehörden darüber entscheiden, ob eine Studie | |
stattfindet. | |
Das sieht ein Entwurf der EU-Kommission für eine „Verordnung über klinische | |
Prüfungen mit Humanarzneimitteln“ vor, die die bisherige EU-Richtlinie | |
ersetzen soll. In dem 115-seitigen Papier aus dem Haus von | |
EU-Gesundheitskommissar John Dalli, das der taz vorliegt, werden die | |
einschneidenden Veränderungen vor allem wirtschaftspolitisch begründet, | |
„dass die EU ein für die Durchführung klinischer Prüfungen interessanter | |
Standort bleibt“. Der Gesundheitsausschuss des Bundestags wird hierüber am | |
Mittwoch in nichtöffentlicher Sitzung beraten. | |
Der Plan der EU-Kommission sieht mit Verweis auf „wissenschaftliche | |
Interessen“ auch eine Absenkung der Standards für besonders | |
schutzbedürftige Versuchspersonen vor, etwa Minderjährige oder | |
Komapatienten: Unter bestimmten Voraussetzungen – etwa in | |
Notfallsituationen – sollen diese künftig auch ohne Einwilligung ihrer | |
Angehörigen in Studien einbezogen werden dürfen. | |
Auch der bislang vorgeschriebene „potentielle Eigennutzen“ für den | |
Patienten kann im Zweifel hinter dem „erwarteten therapeutischen Vorteil | |
und Nutzen für die öffentliche Gesundheit“ zurückstehen. Und: Die Fristen, | |
binnen derer die EU-Mitgliedstaaten über Studienanträge von | |
Pharmaherstellern entscheiden müssen, sollen radikal verkürzt werden – von | |
bislang 60 Tagen auf künftig 10 Tage, in Ausnahmen 30 Tage. | |
## Ärztekammer vermisst ethische Prinzipien | |
Die Bundesärztekammer tobt: „In der konkreten Umsetzung wird der | |
Verordnungsentwurf zentralen ethischen Prinzipien und ärztlichen | |
Überzeugungen nicht mehr gerecht“, schreibt sie in einer internen | |
Stellungnahme, die der taz vorliegt. Ähnlich harsch fällt die Kritik des | |
Arbeitskreises Medizinischer Ethik-Kommissionen aus: „Die Neuregelungen | |
brechen mit international anerkannten ethischen Standards.“ | |
Besonders übel stößt der Bundesärztekammer die geplante Absenkung der | |
Standards für multinationale Studien auf, das sind solche klinischen | |
Prüfungen, die mit Probanden in mehreren EU-Staaten stattfinden. Bislang | |
entschieden die Länder autonom über ihre Teilnahme. | |
Widersprach die Studie etwa den Ethikanforderungen oder befand ein Staat, | |
dass die Risiken höher seien als der Nutzen, dann konnte dieser Staat seine | |
Teilnahme verweigern. Das soll sich ändern: Künftig soll sich die | |
Pharmaindustrie bei multinationalen Studien ein beteiligtes EU-Land als | |
„berichterstattenden Mitgliedsstaat“ aussuchen dürfen. | |
Stimmt dieser „Berichterstatter“ der Studie zu, dann müssen alle anderen | |
Länder, in denen die Forschung ebenfalls stattfinden soll, mitmachen – eine | |
Ablehnung soll nur ausnahmsweise möglich sein. „Damit wird die Kernfrage | |
der ethischen Bewertung der Entscheidungskompetenz der betroffenen | |
Mitgliedstaaten entzogen“, warnt die Bundesärztekammer. | |
Das Problem: Die nationalen Parlamente haben hier keine legislative | |
Kompetenz. EU-Verordnungen werden zwar über die Bundesregierung dem | |
Bundestag und dem Bundesrat zugeleitet – aber nur mit der Bitte um | |
Stellungnahme. Tritt die EU-Verordnung in Kraft, ist sie in den | |
Mitgliedstaaten Gesetz. | |
24 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Heike Haarhoff | |
## TAGS | |
Patientenrechte | |
Medikamente | |
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