# taz.de -- Arzneimittelreport der Barmer GEK: Frauen bekommen viele Pillen | |
> Frauen erhalten zwei bis dreimal mehr Psychopharmaka als Männer, heißt es | |
> in einem neuen Bericht. Bei Mitteln gegen Herzinfarkt werden sie hingegen | |
> vernachlässigt. | |
Bild: Klein, bunt und besonders oft an Frauen verschrieben: Pillen. | |
BERLIN taz | Wenn Frauen zum Arzt gehen, bekommen sie zwei- bis dreimal | |
mehr Rezepte für Beruhigungs- und Schlafmittel sowie Antidepressiva als | |
Männer. Das schreibt die Krankenkasse Barmer GEK in ihrem aktuellen | |
Arzneimittelreport, der am Dienstag veröffentlicht wurde. Die starken | |
Medikamente würden zudem häufig falsch eingesetzt, etwa um „Alltagssymptome | |
oder Missbefindlichkeiten“ zu behandeln, sagte Gerd Glaeske, | |
Gesundheitsforscher an der Universität Bremen und Autor der Studie. | |
Die Folgen der Falschbehandlungen seien oft fatal: Von 1,5 Millionen | |
Medikamentenabhängigen in Deutschland seien zwei Drittel Frauen. | |
Psychologische Beratungsstellen klagten über Patientinnen, die bereits als | |
Süchtige kämen, sagte Glaeske. Typischerweise begännen weibliche Karrieren | |
der Medikamentensucht im Alter zwischen 45 und 50 Jahren, wenn die Kinder | |
aus dem Haus seien. | |
Die Reaktion auf diese Substanzen sind bei Frauen laut Studie oft | |
gefährlicher als bei Männern: Das Risiko für eine spätere | |
Pflegebedürftigkeit steige mit der Einnahme von unverträglichen | |
Medikamenten. Glaeske forderte eine Negativliste, die Ärzte über Wirkstoffe | |
informiert, die speziell Frauen schaden. | |
Warum Ärzte gerade bei Frauen zu einer Fehlbehandlung mit Psychopharmaka | |
neigen, darüber wird im Report lediglich spekuliert. Eine Vermutung besagt, | |
dass Frauen ein größeres Mitteilungsbedürfnis haben als Männer und | |
emotionaler reagieren. Außerdem sei die Hemmschwelle, zum Arzt zu gehen, | |
bei Frauen niedriger, auch würden sie offener über Belastungen sprechen. | |
Ärzte reagierten auf diese Probleme dann oft sehr drastisch. | |
## Nächste Studie zu Rollenklischees | |
In einer weiteren These werden Medikamente als Ersatzdroge zum | |
Alkoholmissbrauch der Männer bezeichnet. Inwieweit diese Gründe oder etwa | |
Rollenklischees Ursache falscher Diagnosen sind, will die Barmer für ihren | |
nächsten Arzneimittelreport untersuchen, versprach Barmer-Vizevorstand | |
Rolf-Ulrich Schlenker. | |
Allerdings bekämen auch Männer nutzlose und zum Teil gefährliche Präparate | |
verschrieben. So warnte Gerd Glaeske vor dem Cholestrinsenker Inegy, der | |
zur Vorbeugung eines Herzinfarktes „keinen belegten Nutzen“ habe und unter | |
dem Verdacht steht, krebserregend zu sein. Auch Schmerzmittel und | |
Kombipräparate – wie etwa Kopfschmerztabletten mit Koffein – würden zu | |
häufig eingesetzt und in zu großen Mengen verkauft. MedizinerInnen sollten | |
neue Arzneimittel kritisch prüfen und nicht auf das Marketing der | |
Hersteller hereinfallen, forderte Glaeske. | |
In einem Punkt blieben Frauen aber von Überdosierungen weitestgehend | |
verschont: Weil Durchblutungsprobleme zumeist bei Männern vermutet würden, | |
sterben mehr Frauen als Männer an einem Herzinfarkt, noch bevor sie in ein | |
Krankenhaus eingewiesen werden. | |
26 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
Kristiana Ludwig | |
## TAGS | |
Depressionen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Psychopillen mit Placebowirkung: Pillen, an die man glauben soll | |
1,3 Milliarden Tagesdosen an Antidepressiva werden jährlich verordnet. Die | |
Forschung wirbt für Therapien. Doch die bekommen nur wenige PatientInnen. | |
Erforschung von Arzneimitteln: EU will Patientenschutz lockern | |
Die EU will Studien zur Arzneimittelforschung am Menschen | |
pharmafreundlicher bewilligen. Die Ärztekammer warnt vor Bruch mit | |
ethischen Prinzipien. | |
Placeboeffekt: Der Glaube an die Heilung | |
Scheinmedikamente wirken, indem sie biochemische Prozesse im Gehirn | |
anstoßen. Forscher zeigen, wie wichtig für die Therapie eine gute | |
Arzt-Patienten-Beziehung ist. | |
Missbildungen durch Schwangerschaftstest: Die Wahrheit muss warten | |
Das Landgericht Berlin weist die Klage eines mutmaßlich | |
Medikamenten-Geschädigten wegen Verjährung ab. Bestach der Pharmakonzern | |
Schering Wissenschaftler? | |
Soziales Gesundheitsprogramm : Indien verärgert Pharmakonzerne | |
Es ist ein schwerer Rüchschlag für westliche Pharmakonzerne. Indien sieht | |
die kostenlose Abgabe nachgeahmter Medikamente, sogenannter Generika, vor. | |
BGH-Urteil zu Pharma-Geschenken: Keine Strafe für bestechliche Ärzte | |
Ärzte dürfen für die Verordnung von Medizin Bestechung in Form von | |
Geschenken von Konzernen annehmen, hat der BGH geurteilt. Grund: Sie seien | |
keine „Amtsträger“. | |
Allergika-Spritze „Anapen“ zurückgerufen: Für Fehler zahlt der Kunde | |
Eine Medizinfirma ruft ein Allergika-Medikament zurück, doch die Kosten für | |
den Ersatz zahlen Patienten und Krankenkassen. Möglich macht das eine | |
Gesetzeslücke. | |
Geplantes Gesetz zu Patientenrechten: Bayern fordert Entschädigungsfonds | |
Den Opfern von Ärztefehlern will Bayern mit einem Entschädigungsfonds | |
helfen. Gesundheitsminister Bahr (FDP) widerspricht. Er fürchtet mehr | |
Bürokratie. | |
Evaluationsbericht der Gesetzlichen Kassen: Arme sparen sich den Arzt | |
Die Praxisgebühr spült Geld in die Krankenkassen. Die Eigenverantwortung | |
und das Kostenbewusstsein der Versicherten werden jedoch nicht gestärkt. |