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# taz.de -- Allergika-Spritze „Anapen“ zurückgerufen: Für Fehler zahlt de…
> Eine Medizinfirma ruft ein Allergika-Medikament zurück, doch die Kosten
> für den Ersatz zahlen Patienten und Krankenkassen. Möglich macht das eine
> Gesetzeslücke.
Bild: Jetzt erst recht nicht stechen lassen!
BERLIN taz | Der Vergleich mit dem Airbag trifft die Sache gut.
Sicherheitshalber ist er immer im Auto, aber nur bei einem Unfall entfaltet
sich der Kunststoffsack. Was, wenn nun der Kfz-Hersteller einen
Konstruktionsfehler entdecken würde? Richtig: der Airbag würde
zurückgerufen. Und die Kosten hierfür, inklusive Einbau eines neuen
Airbags, trüge der Hersteller – und nicht der Kunde.
Bei Arzneimitteln dagegen verhält es sich genau umgekehrt mit der Haftung.
Hier tragen im Zweifel die Patienten und ihre Krankenversicherungen die
Kosten für Fehler der Industrie. Aktuell trifft dies Tausende
Insektenstich- und Nahrungsmittel-Allergiker. Die müssen nach dem Rückruf
ihres bisherigen Notfallmedikaments nicht nur auf ein Ersatzmittel
ausweichen, sondern dieses auch selbst bezahlen.
Die britische Pharmafirma Lincoln Medical Limited hat vorige Woche ihr
Medikament „Anapen“ europaweit zurückgerufen. „Anapen“ ist ein
Adrenalin-Autoinjektor, eine Notfallspritze, die Menschen bei sich tragen,
die allergisch reagieren auf Bienen- oder andere Insektenstiche, aber auch
auf Erdnüsse oder Fisch.
„Anapen“ soll tödliche Schocks aufgrund einer Eiweiß-Überempfindlichkeit
verhindern. Lincoln Medical Limited hatte nun bei Prüf- und
Forschungsarbeiten Fehler beim Injektionssystem festgestellt. Fehler, die
„in Einzelfällen“, so das Unternehmen, dazu führen könnten, dass der
Wirkstoff nicht schnell genug oder nicht in ausreichender Menge beim
Patienten ankommt – das heißt, den drohenden Schock nicht zu verhindern
vermag.
## Allergiker brauchen schnellstmöglich Ersatz
Das deutsche Vertriebsunternehmen von Lincoln Medical Limited, Dienstsitz
Hamburg, und die Hamburger Gesundheitsbehörde riefen daraufhin „alle noch
haltbaren Chargen Anapen“ zurück – per Rote-Hand-Brief. Diese Post erreicht
deutschlandweit alle Ärzte und Apotheker, die nun aufgefordert sind, ihre
Patienten zu kontaktieren. Denn die Allergiker brauchen schnellstmöglich
Ersatzmedikamente. Die gibt es auch, allerdings kosten sie um die 100 Euro
und sind – wie „Anapen“ – verschreibungspflichtig.
Der Allergiker muss also zum Arzt gehen. Dort bezahlt er zehn Euro
Praxisgebühr, der Arzt stellt das Rezept für die alternative Notfallspritze
aus und rechnet gegenüber der Krankenkasse ein ärztliches Beratungsgespräch
ab. In der Apotheke bezahlt der Allergiker dann knapp zehn Euro
Rezeptgebühr. Die restlichen Kosten für die Spritze (etwa 90 Euro) gehen zu
Lasten der Krankenversicherung.
Bei 2,5 Millionen Insektengiftallergikern (Schätzung: Stiftung Warentest)
in Deutschland kommen da schöne Summen zusammen, selbst wenn diese nicht
alle unbedingt Anapen bei sich tragen. Der Deutsche Allergie- und
Asthmabund schätzt, dass bis zu 15 Prozent der Bevölkerung bereits einen
lebensbedrohlichen allergischen Notfall er- und überlebten. Und die
Pharmafirma? Zahlt von all diesen Folgekosten ihres ureigenen Fehlers:
nichts.
Das sei „üblich“, bestätigt der Spitzenverband der gesetzlichen
Krankenkassen. Es handele sich um eine seltene Form der Schädigung.
Geschädigt seien nur diejenigen, die Anapen bei sich gelagert, aber noch
nicht verbraucht hätten. Folglich müssten diese sich ihr Geld für die
Praxis- und Rezeptgebühr individuell beim Hersteller zurückholen. Die
Kosten für das neue Medikament trage stets die GKV.
## Eine „Regelungslücke“
„Völlig absurd“, entgegnet Ilona Köster-Steinebach vom
Verbraucherzentrale-Bundesverband. „Natürlich darf das nicht zu Lasten der
Patienten gehen. Aber: Wir haben hier eine gesetzliche Regelungslücke.“
Tatsächlich finden Rückrufaktionen von Medikamenten im Normalfall zwischen
Herstellern und Apothekern oder deren Großhändlern statt – in diesem Fall
erstattet der Hersteller etwaige Kosten für Einkauf und Lagerung. Bereits
ausgelieferte Medikamente dagegen werden in der Regel schnell verbraucht.
Entschädigung gibt es dann höchstens in Form von Schmerzensgeld – für
etwaige medikamentös bedingte Schäden.
Die deutsche Vertriebsfirma von Lincoln Medical bittet derweil um
Verständnis, weshalb sie sich derzeit mit Anfragen der Presse nicht
beschäftigen könne: „In der gegenwärtigen Situation sind wir bemüht, die
Anfragen von Patienten, Ärzten und Apothekern zu beantworten. Dies stellt
unser Unternehmen vor eine große Herausforderung.“
4 Jun 2012
## AUTOREN
Heike Haarhoff
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