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# taz.de -- EU-Regelungen für klinische Studien: Mehr Transparenz bei Pharmate…
> Die Veröffentlichung der Daten von klinischen Studien soll nach EU-Recht
> nun doch verpflichtend sein. Auch eine Genehmigung der Ethikkommission
> ist vorgesehen.
Bild: Mund auf: Arzneimitteltests sollen transparenter werden.
BERLIN taz | Die Pharmaindustrie verliert eines ihrer bestgehüteten
Geheimnisse: Künftig soll sie die Clinical Study Reports, also die sehr
ausführlichen Studienberichte zu Planung, Durchführung und Analyse
klinischer Arzneimittel-Studien, in einer für jeden Bürger zugänglichen
EU-Datenbank veröffentlichen müssen. Das hat der Umwelt- und
Gesundheitsausschuss des Europäischen Parlaments am Mittwochabend in
Brüssel beschlossen.
Das Votum gilt als richtungweisend für die noch ausstehende Abstimmung im
Europäischen Parlament über den Entwurf der EU-Kommission für eine
„Verordnung über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln“ im Herbst. M…
Übergangsfristen könnte die neue Regelung ab 2017 greifen.
Künftig müsste die Industrie dann ein Jahr nach Abschluss der klinischen
Prüfung beziehungsweise 30 Tage nach Marktzulassung ihre Studienberichte
der Öffentlichkeit übermitteln.
„Der Wunsch nach mehr Transparenz ist berechtigt“, sagte der
[1][gesundheitspolitische Sprecher der EVP-Fraktion, Peter Liese]. Bislang
verfügen Patienten und Ärzten, die die Medikamente schlucken oder
verordnen, nur über eine eingeschränkte Datenauswahl.
## Tödliche Nebenwirkungen lange verschwiegen
Diese mitunter lückenhafte Darstellung klinischer Prüfungen hatte in der
Vergangenheit zu Gefahren für Patienten geführt: In den 90er Jahren etwa
wurde das Schmerzmittel Vioxx zugelassen; es galt als gut verträglich.
Wenige Jahre später musste es vom Markt genommen werden, weil bei den
Patienten gehäuft Schlaganfälle auftraten.
Es stellte sich heraus, dass diese Nebenwirkungen bereits während der
klinischen Prüfungen im Vorfeld der Zulassung aufgetreten waren – die
Ergebnisse aber wurden verheimlicht. Künftig sollen die Studienberichte
selbst dann öffentlich werden, wenn die klinischen Prüfungen schlussendlich
nicht zur Zulassung führten.
Eine gesetzliche Klarstellung ist nötig: Derzeit sind beim Europäischen
Gerichtshof zwei Klagen pharmazeutischer Hersteller anhängig. Sie wollen
mit Verweis auf Geschäftsgeheimnisse verhindern, dass die europäische
[2][Zulassungsbehörde für Arzneimittel (EMA)] entsprechende Daten an Dritte
herausgibt. Per einstweilige Verfügung ist ihnen dies Ende April zunächst
gelungen.
Die EMA teilte daraufhin am Mittwoch mehreren Wissenschaftlern, darunter
dem US-Gesundheitswissenschaftler Peter Doshi, per Brief mit, dass sie bis
zur endgültigen Entscheidung in dem Rechtsstreit auch in anderen Fällen
keine Auskunft zu Studienergebnissen mehr geben werde.
Kritische Wissenschaftler, etwa von der Cochrane-Gesellschaft, hatten zuvor
in einer [3][Online-Petition] neben den Studienberichten auch die
Herausgabe der Rohdaten, also der anonymisierten Ergebnisse der einzelnen
Patienten, gefordert. Dem wollten sich die EU-Ausschussmitglieder
mehrheitlich nicht anschließen „mit Rücksicht auf den Schutz von
Geschäftsgeheimnissen und persönlicher Daten“, wie es in Brüssel hieß.
## Ethikkommission muss prüfen
Die viel kritisierte, von der EU-Kommission geplante Aufweichung ethischer
Standards bei der Durchführung klinischer Studien wurde in einigen Punkten
durch den Umwelt- und Gesundheitsausschuss gestoppt: So soll auch künftig
jeder Prüfplan von unabhängigen Ethikkommissionen geprüft werden müssen.
Diese waren im Verordnungsentwurf formell gar nicht vorgesehen. Bundestag,
Bundesrat, Bundesärztekammer und selbst der „Verband forschender
Arzneimittelhersteller“ waren dagegen Sturm gelaufen.
Zudem schrieben die Ausschussmitglieder in letzter Minute und auf massiven
Druck des [4][Weltärztebunds (WMA)] hin fest, dass die ethischen Standards
klinischer Prüfungen nicht hinter die Deklaration von Helsinki zurückfallen
dürften. Dort ist festgeschrieben, dass jeder Prüfplan von einer
Ethikkommission nicht bloß geprüft, sondern auch genehmigt werden muss.
Die Rechte von Kindern und Menschen mit geistiger Behinderung bei der
Teilnahme an klinischen Studien wurden gegenüber dem Kommissionsvorschlag
ebenfalls gestärkt, „so dass es hier zumindest keine Abschwächung der
bestehenden Rechtslage gibt“, sagte Liese.
## Eingeschränkte Patientenrechte
Geschwächt wurden dagegen die Patientenrechte bei Anwendungsbeobachtungen.
Das sind Studien, die die Wirkung bereits zugelassener Arzneimittel in der
routinemäßigen Anwendung durch Arzt und Patient ermitteln sollen. Ein- und
Ausschlusskriterien existieren schon heute selten, meist gibt es nicht
einmal einen Prüfplan.
Künftig aber sollen Patienten nicht einmal mehr um Zustimmung gefragt
werden müssen, wenn sie an solchen Anwendungsbeobachtungen teilnehmen. Für
den Weltärztebund, zuständig für die Definition ethischer Standards in der
Medizin, ein Tabubruch: „Dies gefährdet die Patientensicherheit und die
Glaubwürdigkeit von Forschung in Europa“, warnte der Weltärztebund am
späten Dienstagabend, wenige Stunden vor der Abstimmung, in einer
Brand-E-Mail an den Ausschuss.
Erfolglos. Mit diesem Streitpunkt soll sich nun das Europäische Parlament
befassen.
30 May 2013
## LINKS
[1] http://peter-liese.de/
[2] http://www.ema.europa.eu
[3] http://www.alltrials.net/
[4] http://www.wma.net
## AUTOREN
Heike Haarhoff
## TAGS
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