| # taz.de -- Ex-"Bild"-Chef Röbel über Schlagzeilen: "Wulff ist für 'Bild' ei… | |
| > Der Krimi-Autor und frühere "Bild"-Chef Udo Röbel über die Folgen der | |
| > Wulff-Affäre, wütende Anrufe Mächtiger und die Strategie seines | |
| > Nachfolgers Diekmann. | |
| Bild: Was für die Bild ein Gewinn ist, ist es für andere noch lange nicht. | |
| taz: Ein Mann kommt am Flughafen an und hört seine Mailbox ab. Darauf droht | |
| ihm ein anderer Mann mit "Krieg". Sie sind Krimiautor, Herr Röbel. Ist das | |
| ein idealer Krimieinstieg? | |
| Udo Röbel: Es könnte ein idealer Krimieinstieg sein. Dramaturgisch eine | |
| interessante Szene, in der eine Story spannend angerissen wird. Jetzt kommt | |
| es nur noch darauf an, welcher Plot sich da entwickelt. | |
| Ist der Plot, dass ein Schurke auf der Mailbox die Pressefreiheit bedroht | |
| hat? | |
| Mächtige, die bestimmte Veröffentlichungen verhindern wollen – das ist ja | |
| nichts Neues, sondern fast ein eigenes Genre. Die Frage ist, wie weit gehen | |
| diese Mächtigen: Bringen sie den Journalisten womöglich um? Wäre es ein | |
| Krimi, könnte der Einstieg auch sein, dass die Polizei eine Leiche findet. | |
| Und dann stellt sich heraus: Die Leiche war ein Journalist. | |
| Kai Diekmann, der Bild-Chef? | |
| Zum Beispiel. Aber die eigentliche Causa Wulff, auf die Sie hinauswollen, | |
| taugt nicht zum Krimi. In Weißrussland wäre das etwas anders, aber in | |
| Deutschland sehe ich den Anruf nicht als unmittelbaren, die Person direkt | |
| bedrohenden Angriff. Hier geht es um etwas anderes: Ein Bundespräsident hat | |
| keinen Chefredakteur anzurufen. Punkt. Weder den von Bild, noch den der SZ. | |
| Das ist mit dem Amt und dessen Würde nicht vereinbar. | |
| Als Bild-Chef hatten Sie mal einen tobenden Helmut Kohl am Apparat. Worum | |
| ging es? | |
| Es war 2000 und Kohl war schon nicht mehr Kanzler, sondern einfacher | |
| Abgeordneter. Wir hatten an dem Tag eine nette, fast liebevolle Geschichte | |
| über die Straße gemacht, in deren Nähe er in Berlin eine neue Wohnung | |
| bezogen hatte. "Hier ist Ihr Bäcker, hier Ihr Kiosk." Und so weiter. Da | |
| stellt meine Sekretärin mittags Kohl durch. | |
| Und dann fing der schon an zu schimpfen: Schweinejournalist, Drecksblatt. | |
| Als ich zu Wort kam, sagte ich: Worum geht es denn, Herr Kohl? Aber die | |
| Stimme überschlug sich. Ich konnte ihn kaum verstehen, und irgendwann | |
| dachte ich: Ja, leck mich doch am Arsch. Und legte auf. | |
| Scheint, als hätten Sie damals einen Angriff auf die Pressefreiheit | |
| verpennt. | |
| Nein, das war kein Angriff auf die Pressefreiheit. Aber Kohls ungehobeltes | |
| Verhalten mag ein Beleg sein für das innere Verhältnis von Politikern | |
| dieser Geisteshaltung zur Presse. | |
| Sie kannten diese Geisteshaltung damals schon? | |
| Ja, ich machte 1998, als er noch Kanzler war, meinen Antrittsbesuch als | |
| Bild-Chef bei ihm in Bonn. Ich quäle mich drei Stunden durch ein Interview, | |
| teils in Pfälzisch, ich komme ja auch aus der Pfalz. Als es endlich vorbei | |
| ist, gehen wir ins Vorzimmer. Er öffnet einen Schrank, holt ein schwarzes | |
| Kunstleder-Portemonnaie raus mit dem Wappen der Bundesrepublik und drunter | |
| in Silber seine Unterschrift. | |
| Und dann sagt er in pfälzischem Du: "Jetzt fahrschd du zurück nach Hamburg | |
| und sagschd deim Vorstand än scheene Gruß vun mir, unn er soll dir immer | |
| schee Bimbes (Geld, d. Red.) noi mache." | |
| Kohl-Humor? | |
| Ja, es sollte wohl ein Scherz sein. Aber welches Verständnis von Presse und | |
| speziell vom Springer-Verlag steckte dahinter? Ich kam nur zu einem | |
| Schluss: Der Kanzler denkt wohl, Journalisten muss man in schöne Positionen | |
| bringen, mit Geld stopfen und sie wissen lassen, wer sie da reingebracht | |
| hat – dann spuren die. Und das ist ihre Aufgabe: zu spuren. | |
| Das dachte Wulff auch? | |
| Es könnte sein Unverständnis erklären und seinen Wutausbruch: Wie können | |
| die das machen, wo ich mit denen so viele tolle Deals gemacht habe? | |
| Ist die Geschichte für Sie wenigstens spannend? | |
| Nein, das finde ich nicht mehr spannend. Spätestens seit dem | |
| Fernsehinterview von Wulff wirkt es abstoßend auf mich. Ich fand es beim | |
| Zusehen extrem unbehaglich, dass der Mann, der mein Land in der Welt | |
| repräsentiert, sich so einer Art Fernsehgericht stellen muss. | |
| Beim normalen Krimi weiß jeder sofort, wer der Schurke ist und wer für | |
| Wiederherstellung des Guten zuständig. Im Fall Wulff wird der vermeintliche | |
| Gute plötzlich von einem weiteren Schurken als Schurke entlarvt, was diesen | |
| wiederum zum Guten werden lassen soll? | |
| Sie können die Frage stellen, aber ich werde Ihnen nicht recht geben, dass | |
| Diekmann ein Schurke ist. Ich sage es so und wieder als Krimi-Autor: Vom | |
| Setting her ist die Häutung eines Schurken immer reizvoll. Und gänzlich weg | |
| von Ihrer Frage: Wer bekommt schon solch eine Chance, ein negatives Bild so | |
| zu revidieren? Besser geht es ja gar nicht. | |
| Jetzt ist der Bundespräsident der Böse und die Bild-Leute sollen die Helden | |
| sein – da gerät nicht nur für uns von der taz die Welt aus den Fugen. | |
| Die Welt ist nicht wegen Wulff aus den Fugen. Sie ist grundsätzlich aus den | |
| Fugen geraten. Wir haben längst zwei mediale Welten. Das Kapitel Wulff wird | |
| ja im Internet mit ganz anderen Prioritäten diskutiert. | |
| Etwa über die Vergangenheit der Frau des Bundespräsidenten, Bettina Wulff, | |
| das hat Wulff im Fernsehen selbst thematisiert. | |
| Wir haben Geschichten, die nur im Internet stattfinden und sich offenbar im | |
| rechtsfreien Raum bewegen. Da werden Grenzen überschritten. | |
| Als Bild-Chef haben Sie doch auch Grenzen überschritten. Sie haben Opfer | |
| mit Namen und Foto gezeigt und die Privatsphäre missachtet. | |
| Manchmal. Vielleicht. Aber es gab eine Autobahn mit Leitplanken, die ich | |
| versucht habe einzuhalten. | |
| Das Internet ist schlimmer als Bild? | |
| Nein, das sage ich nicht. Es ist nur so, dass ich zunehmend Schwierigkeiten | |
| habe, mit zwei medialen Welten klarzukommen, wo journalistische Regeln und | |
| Gesetze ein paar Mausklicks weiter außer Kraft sind – und keiner sich | |
| wehrt. | |
| Wer gegen Gerüchte im Internet juristisch vorgeht, riskiert, dass dann die | |
| Presse einsteigt und über diese Reaktion berichtet. Taktisch könnte das | |
| Selbstmord sein. | |
| Ach? Wenn Bild was schreibt, sofort Unterlassung, Schmerzensgeld, Rüge vom | |
| Presserats – und ein paar Klicks weiter wäre es Selbstmord, das zu | |
| verfolgen? Das kann es doch nicht sein. Ein überwiegender Teil der | |
| Bevölkerung ist längst in der anderen Medienwirklichkeit angekommen. | |
| Schizophren: wir reden darüber, ob es presserechtlich zu verantworten ist, | |
| dass Bild diesen Mailboxanruf veröffentlicht. Und woanders im Internet wird | |
| das Persönlichkeitsrecht mit Füßen getreten – und keiner diskutiert | |
| darüber. | |
| Scheint ja ein neues Betätigungsfeld von Bild-Chefs oder Ex-Bild-Chefs zu | |
| sein, für Pressefreiheit und gegen mediale Verfehlungen zu kämpfen. Sind | |
| Sie da der Richtige? | |
| Ich kann für mich nur reklamieren, dass ich zehn Jahre aus dem Job bin und | |
| mir aufgrund meiner Erfahrung Gedanken mache über die heutige | |
| Medienwirklichkeit. Und: Dagegen war die Zeit, als ich Bild-Chef war, | |
| Steinzeit. Im Vergleich zum Internet könnte man ja fast sagen, dass Bild | |
| zahnlos geworden ist. | |
| Verkauft sie sich deshalb so schlecht? | |
| Selbst wenn Bild bewusst Grenzen überschreiten wollte – das bringt doch | |
| nichts mehr. Da schließt sich der Kreis zum Internet. Bild verliert | |
| Auflage. Selbst Exklusivität ist kein Verkäufer mehr, weil die Leute gar | |
| nicht mehr wissen, was exklusiv ist. Bild bildet nur noch ab und braucht | |
| auch nicht mehr zu haben als andere in einer Gesellschaft, die sich | |
| hauptsächlich zwischen Bohlen und Dschungelcamp bewegt. Bild hätte durch | |
| boulevardeskes Verhalten überhaupt keinen Vorteil mehr. | |
| Und erfindet sich als politisch-moralisches Medium neu? | |
| Sagen wir so: In dem Moment, in dem alte Geschäfts- und Gefechtsfelder | |
| nichts mehr bringen, muss ich mich nach neuen Feldern umsehen. Bild hat | |
| sich gefragt: Okay, wo sind unsere öffentlich-medialen Bedeutungsfelder? | |
| Antwort: Politik. Deswegen hat Bild sich nicht nur in den Berliner | |
| Politikbetrieb integriert, sondern alles daran gesetzt, die Führung zu | |
| übernehmen oder zumindest den Anschein zu erwecken, Agendasetter zu sein. | |
| In diesem Bestreben ist die Wulff-Jagd ein Meilenstein? | |
| Ja. Die Wulff-Affäre ist ein Sechser im Lotto für Bild. Sie enthüllt – und | |
| das hat bei der Veröffentlichung bestimmt im Hinterkopf mitgeschwungen – | |
| unsaubere Kredite des Präsidenten. Nicht Spiegel. Oder Stern. Sondern Bild! | |
| Ein Coup. Und durch Wulffs blöden Umgang mit der Affäre steht Bild jetzt | |
| als Gralshüter der Pressefreiheit da. | |
| Sind Sie traurig, dass Sie jetzt nicht mehr vorn mitmischen? | |
| Überhaupt nicht. Ich habe ja nicht als Bild-Chef angefangen. Meine | |
| Leidenschaft war es, Reporter zu sein. Mit ein paar Sidesteps wurde ich | |
| dann Redaktionsleiter, stellvertretender Chefredakteur und irgendwann Chef. | |
| Und immer habe ich einen Wunsch verschoben, den ich mir jetzt erfülle: | |
| Krimis schreiben. | |
| Gerade ist Ihr neuer Roman "Der rote Reiter" rausgekommen, für den Sie | |
| jahrelang in Archiven recherchiert haben. Wie geht es Ihnen besser? Als | |
| Chefredakteur oder als Romanautor? | |
| Als Autor. Das ist mir viel lieber. Heute läuft das Tagesgeschäft doch nur | |
| noch wie eine Nachrichtenverarbeitungsfabrik. Da drin zu stehen und | |
| Informationen so zu verpacken, dass sie noch über den Tag hinaus Bestand | |
| haben, das bringt mir nichts mehr. | |
| 11 Jan 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| G. Löwisch | |
| P. Unfried | |
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