Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Rechtslage in der Causa Wulff: Vorteilsnahme, Untreue, Nötigung
> Hat der Bundespräsident in den letzten Jahren rechtswidrig gehandelt?
> Nein, sagt er selbst. Bisher läuft auch noch keinerlei förmliches
> Verfahren gegen Wulff.
Bild: Wulff bei der Vereidigung zum Bundespräsidenten. Auch sonst schwört der…
FREIBURG taz | Christian Wulff will Bundespräsident bleiben. Er hat zwar
seine Glaubwürdigkeit als Politiker und seinen Nimbus als moralisches
Vorbild verloren, doch die Rufe nach einem Rücktritt ignoriert er.
Schließlich habe er nicht rechtswidrig gehandelt. Wirklich? Ein Überblick
über die rechtlichen Maßstäbe.
##
Am gefährlichsten ist für Wulff der strafrechtliche Vorwurf der
Vorteilsannahme - ein Korruptionsdelikt, das im Strafgesetzbuch (§ 331)
geregelt ist. Danach ist es strafbar, wenn ein Amtsträger für die
Dienstausübung einen Vorteil annimmt. Die Dienstausübung kann dabei
durchaus rechtmäßig sein (ist sie rechtswidrig, liegt das schwerwiegendere
Delikt "Bestechlichkeit" vor). Früher galt als Korruption nur die Gewährung
von Vorteilen für konkrete Amtshandlungen. Doch seit 1997 ist es schon
strafbar, wenn ein Vorteil für die Dienstausübung im Allgemeinen
versprochen wird. So sollte auch erfasst werden, dass sich jemand das
generelle Wohlwollen eines Amtsträgers erkauft.
Damit entstanden aber große Abgrenzungs- und Beweisprobleme, die bisher
auch der Bundesgerichtshof noch nicht lösen konnte. Letztlich gibt das
Rechtsgefühl von Staatsanwälten und Richtern im Einzelfall den Ausschlag.
Bei Christian Wulff stehen derzeit drei Konstellationen möglicher
Vorteilsannahmen zur Diskussion:
2008 machte das Ehepaar Wulff Urlaub in einer Villa des
Versicherungsmanagers Wolf-Dieter Baumgartl in Italien. Zuvor hatte sich
die niedersächsische Landesregierung für die Steuerfreiheit der Erträge aus
Lebensversicherungen eingesetzt. Baumgartl war zum Zeitpunkt des Urlaubs
Aufsichtsratsvorsitzender der Talanx-Gruppe und mit Wulff wohl erst
befreundet, seit jener Macht und Einfluss hatte.
Ebenfalls 2008 nahm Wulff von der befreundeten Unternehmergattin Edith
Geerkens ein zinsgünstiges Darlehen über 500.000 Euro an. Später flog ihr
Mann Egon Geerkens drei Mal in Wulffs Delegation bei Auslandsreisen mit.
Geerkens hat die Reisen allerdings bezahlt und ist schon lange mit Wulff
persönlich befreundet.
2010 ersetzte Wulff den Geerkens-Kredit durch einen Kredit der BW-Bank,
wiederum zu günstigen Konditionen. Zuvor hatte Wulff als Mitglied des
VW-Aufsichtsrats geholfen, Porsche zu retten. Porsche war ein wichtiger
Kunde der LBBW-Bank, der Mutter der BW-Bank. Bei der Staatsanwaltschaft
Hannover gingen mehrere Strafanzeigen gegen Wulff ein. Doch laut Spiegel
sah diese bisher keinen Grund, Ermittlungen aufzunehmen.
##
Im Zusammenhang mit dem Wulff-Kredit gingen bei der Staatsanwaltschaft
Stuttgart auch Strafanzeigen gegen Mitarbeiter der BW-Bank ein. Wenn Wulff
ungerechtfertigte Vorteile erhalten hat, könnte dies eine Untreue zu Lasten
der Bank sein. Wulff könnte hierzu Beihilfe geleistet haben. Anfang Januar
teilte die Staatsanwaltschaft aber nur mit, sie prüfe die Einleitung eines
Ermittlungsverfahrens.
##
Als niedersächsischer Ministerpräsident war Wulff an das dortige
Ministergesetz gebunden. Dessen Paragraph 5 Absatz 4 besagt: "Die
Mitglieder der Landesregierung dürfen, auch nach Beendigung ihres
Amtsverhältnisses, keine Belohnungen und Geschenke in Bezug auf ihr Amt
annehmen." Eine Verwaltungsvorschrift erläutert, dass dazu auch
"zinsbegünstigte" Darlehen gehören. In Betracht kommen im Fall Wulff die
gleichen drei Vorfälle wie bei der Vorteilsannahme.
Strittig ist vor allem, ob Wulff dabei "Belohnungen und Geschenke" erhalten
hat und ob dies "in Bezug" auf sein Amt geschah. Um dies zu klären, könnte
ihn der niedersächsische Landtag mit Zwei-Drittel-Mehrheit beim
niedersächsischen Staatsgerichtshof in Bückeburg anklagen. Dieser müsste
dann prüfen, ob Wulff "in Ausübung des Amtes" vorsätzlich ein Gesetz
verletzt hat. Da die CDU einen solchen Antrag wohl kaum mittragen wird,
wurde Wulff schon empfohlen, selbst beim Staatsgerichtshof einen Antrag auf
Überprüfung der Vorwürfe zu stellen. Auch das ist nach Artikel 40 der
Landesverfassung möglich. Bei einer Verurteilung könnte das Gericht Wulff
das niedersächsische Regierungsamt entziehen. Da er es aber gar nicht mehr
inne hat, wäre die Verurteilung nur von politischem und symbolischem
Gewicht.
##
Der einzige rechtliche Vorwurf, der Wulffs Amtszeit als Bundespräsident
betrifft, bezieht sich auf die Anrufe bei Bild-Chefredakteur Kai Dieckmann
und Springer-Chef Mathias Döpfner. Ob hier eine versuchte Nötigung vorliegt
– was ebenfalls eine Straftat wäre (§ 240 Strafgesetzbuch) - hängt zum
Beispiel davon ab, was Wulff wohl mit dem angedrohten "Krieg" gemeint hat.
Wenn er dabei eine rechtswidrige Benachteiligung meinte, ginge dies in
Richtung Nötigung, wenn aber nur der Entzug bisheriger Privilegien gemeint
war, wäre dies zulässig.
Auch hier könnten - nach Strafanzeigen oder aus eigenem Antrieb -
Staatsananwälte ermitteln. Dieses Verhalten könnte parallel aber auch zum
Anlass für eine Anklage des Bundespräsidenten beim Bundesverfassungsgericht
genommen werden. Karlsruhe könnte ihm möglicherweise das Amt entziehen.
Zuvor müssten aber (laut Artikel 61 Grundgesetz) zwei Drittel der
Bundestagsabgeordneten oder zwei Drittel der Bundesrats-Mitglieder die
Anklage unterstützen. Bisher denkt aber nur Die Linke über diesen Schritt
nach.
9 Jan 2012
## AUTOREN
Christian Rath
## ARTIKEL ZUM THEMA
Chronologie der Vorwürfe gegen Wulff: Reisen, Privatkredite, Bonusmeilen
Im Wochentakt werden Vorwürfe gegen den Bundespräsidenten erhoben. Da kann
man schon mal die Orientierung verlieren. Wir geben einen Überblick der
möglichen Verfehlungen Wulffs.
Die Affäre Wulff: Mea culpa – so what?
Nicht Entschuldigungen machen Affären vergessen, sondern Erklärungen. Warum
es so wohlfeil ist "Verzeihung" zu sagen und warum wir mehr wollen als
billige Gesten.
Ex-"Bild"-Chef Röbel über Schlagzeilen: "Wulff ist für 'Bild' ein Sechser im…
Der Krimi-Autor und frühere "Bild"-Chef Udo Röbel über die Folgen der
Wulff-Affäre, wütende Anrufe Mächtiger und die Strategie seines Nachfolgers
Diekmann.
Christian Wulff im Amt: Die Sitzenbleiber
Sie fragen sich, warum Christian Wulff einfach im Amt sitzen bleibt? Ganz
einfach: Er beherrscht das Einmaleins des Aussitzens - eine deutsche Kunst
und Tradition.
Debatte um Bundespräsidenten: Wasser, Wein und Wulff
Würdelos bleibt Christian Wulff im Amt. Doch was bedeutet das nicht bloß
für das Ansehen der Regierung, sondern für die Zukunft unserer Demokratie?
Affäre Wulff: Debatte um Nachfolger beginnt
SPD und Grüne bieten Merkel an, gemeinsam einen neuen Präsidenten zu
wählen. Vor Bellevue demonstrieren 400 Menschen gegen Wulff. Doch der will
bleiben.
Wulffs Gratis-Urlaube: Kleine Geschenke unter Freunden
Gab es doch Gegenleistungen für Wulffs Gratis-Urlaube? Von seinem Einsatz
für die Steuerfreiheit profitierte der Talanx-Konzern seines Freundes
Baumgartl.
Video der Woche: I solve problems, Mr. Bundespräsident
Es gibt Dinge, für die braucht man einfach Experten – gerade im Umgang mit
der Öffentlichkeit. Will man, dass die erst gar nichts erfährt, braucht man
Mr. Wolf.
Essay zu Christian Wulff: Der theoretische Bundespräsident
Christian Wulff will im Amt bleiben. Doch seine Leidenschaft richtet sich
auf die eigene Person, nicht auf das Amt. Denn das nutzt er nur als
Karriereplattform.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.